Zum 150. Todestag von Wilhelm Grimm: „Das Böse kann besiegt werden“

Zum 150. Todestag von Wilhelm Grimm: „Das Böse kann besiegt werden“

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Gemeinsam mit seinem Bruder Jacob schuf Wilhelm Grimm eine einzigartige Volksmärchensammlung, die zum Unesco-Welterbe gehört. Grimm-Experte Steffen Martus hat eine Biografie des Brüderpaars geschrieben.

Der Froschkönig ist in Wahrheit ein Prinz, das weiß heute die ganze Welt dank der Brüder Grimm. Das bedeutet: Der Schwache behauptet sich gegen den Starken. Er zerhackt den Lindwurm, bis er nicht mehr zuckt, tötet den Drachen mit einem Schwertstreich, vertreibt den Wolf und andere Ungeheuer, wird auch mit der Hexe fertig.

In „Grimms Märchen“, wie die Sammlung kurz heißt, leuchtet die hoffnungsvollste aller Menschheitserfahrungen auf: Das Böse kann besiegt werden, das Gute setzt sich am Ende durch.

Am Ende wird alles gut

Noch nie war diese Botschaft so wichtig. In der Heimatlosigkeit unserer Epoche, in der Neurobiologen selbst die Seele vermessen und das Mysteriöse und Wunderbare als Popanz darstellen, lehren uns Märchen, dennoch an das Gute, Erlösende und Glückliche zu glauben. Wie der Prinz, der die unglückliche Prinzessin aus einem hundertjährigen Schlaf holt, wie das arme Aschenputtel, das einen König heiratet, wie Hänsel und Gretel, die sich im tiefen Wald verirren und doch wieder herauskommen. Märchen sind sturmgeschützte Zonen der Innerlichkeit, die uns zeigen: Am Ende wird alles gut. Woher haben Wilhelm (1786-1859) und Jacob (1785-1863) Grimm diese Märchen? Man stellt sich vor, dass sie über Land liefen und in Gasthöfen, bei Mägden und Knechten die Geschichten fanden, die sie aufschrieben. Die Brüder Grimm wurden in Hanau geboren, lebten aber auch in Steinau an der Straße, Marburg, Kassel, Göttingen und Berlin, wo Wilhelm am 16. Dezember vor 150 Jahren starb.

Sie spazierten zwar gelegentlich, doch „zusammen sind sie nie gegangen“, berichtet der Kieler Germanist und Grimm-Experte Steffen Martus in seiner jetzt erschienenen Biografie des wohl wundersamsten Paars der deutschen Kulturgeschichte.

Alte Texte, besser erzählt

Wilhelm, der Jüngere, lief langsam und bedächtig, Jacob schritt mit schnellen Schritten aus. Das unterschied die Bibliothekare auch in ihrer Arbeit: Wilhelm war gründlich, nachhaltig und stets kränkelnd, Jacob verschroben, schnell zornig und in seiner Arbeit zupackend.
Dennoch gab es, so Martus, eine „innere Einigkeit der Gegensätze“. „Denn, lieber Wilhelm, wir wollen uns einmal nie trennen“, schrieb Jacob. Kein einziges Märchen wurde den Brüdern von Älteren vorgelesen, kein einziges erfanden sie im ursprünglichen Sinne.

Die Grimms nutzten Texte aus zweiter Hand, entnahmen sie Anthologien und vergessenen Schriften, rafften sie zusammen aus anderen Ländern, vor allem Frankreich, aber auch aus dem alten Persien und der Antike, verdichteten sie in Neufassungen. Ihre wirkmächtige Methode war die Hervorbringung des besonderen Märchentons, sie machten aus oft glanzlosen Texten Poesie. Wilhelm war federführend, seine Sprache schlank und mit volkstümlichen Redewendungen („Ei, freilich“) durchsetzt. Er sorgte auch dafür, dass die Märchen von Ausgabe zu Ausgabe immer weiter verfeinert wurden. „Unsere Schriftsprache“, erklärte Wilhelm Grimm einmal, „reinigt sich selbst, erfrischt sich und zieht Nahrung aus dem Boden, in dem sie wurzelt.“

So entstanden Märchen, die in alle Weltsprachen und viele kleinere Sprachen übersetzt wurden, keineswegs nur für Kinder, auch für Erwachsene. „In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass selbst die Sonne, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, so oft sie ihr ins Gesicht schien.“

Auch für Erwachsene

Was für ein Einstieg in eine Geschichte! Welche Spannung wird erzeugt, was schwingt in so einem Eingangssatz alles mit. Diese Poesie nimmt noch heute gefangen, verzaubert und weckt Sehnsucht. So stark, dass selbst Träume wahr zu werden scheinen und stets in der Hoffnung, dass alle Not überwunden werden kann. Selbst wenn der dukatenscheißende Esel ins Spiel gebracht werden muss.

Märchen zeigen uns, wovor wir uns fürchten, was wir schaudernd begehren und was uns zusteht, wenn wir gute Menschen sind. Da öffnen sich verbotene Türen („Dornröschen“), führt das Festklammern an langen Haaren zur Geliebten („Rapunzel“) und wird eine böse Stiefmutter am Giftmord gehindert („Schneewittchen“).

Märchen sind eine Schule des Herzens und befreien die Seele von ihrer Angst. Auch und gerade noch in unserer Zeit. Roland Mischke, Berlin