Unterschiedliche Erwartungen

Unterschiedliche Erwartungen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Radio 100,7 verlieh am Mittwochabend zum dritten Mal einen Preis für das beste Hörspielmanuskript, das in der Folge vom Sender produziert wird. Das vorgegebene Thema "Great Expectations" führte zu grundverschiedenen, spannenden Resultaten.

Radio 100,7 verlieh am Mittwochabend zum dritten Mal einen Preis für das beste Hörspielmanuskript, das in der Folge vom Sender produziert wird. Das vorgegebene Thema „Great Expectations“ führte zu grundverschiedenen, spannenden Resultaten.

Ob – wie es der Titel des Hörspiel-Wettbewerbs vermuten lassen könnte – zumindest auf nationaler Ebene wirklich große Erwartungen an den „100,7 radiopräis“ gekoppelt waren, bleibt wohl ungewiss, denn der Ansturm im Mudam hielt sich dann doch eher in Grenzen.

Neben den Jurymitgliedern Carole Lorang und Sébastien Thiltges (Oliver Garofalo ließ sich entschuldigen) reihten sich einige (mehr und auch weniger) hochrangige Mitglieder des Radiosenders sowie deren vom Premierminister Gesandter ein. Sie teilten sich mehr als die Hälfte der besetzten Ränge mit den Verfassern und Verfasserinnen der insgesamt sieben eingereichten Manuskripte (samt Anhang). Auch konnte die Präsenz eines Vertreters des Kulturministeriums vernommen werden.

Politisch und sozialkritisch

Dass die Veranstaltung nicht auf größeres Interesse stieß, ist eigentlich bedauerlich, denn durch die seit nunmehr drei Jahren stattfindende Preisverleihung wird die luxemburgische Hörspielgeschichte zwar nicht neu, aber dafür wenigstens (gemeinsam mit anderen Akteuren) weitergeschrieben.

Verglichen mit anderen nationalen Erzeugnissen in diesem Bereich können die bisher von Radio 100,7 produzierten Hörspiele als überwiegend politisch und sozialkritisch gelten. War es 2015 noch um Flucht gegangen, so standen 2016 Social Media im Vordergrund. Frédéric Zeimet hatte als erster Gewinner des Preises unter dem Titel „JRRUE“ eine spannende Story rund um einen Journalisten entwickelt, der in einem luxemburgischen Dorf in eine Konfrontation zwischen Geflüchteten und Dorfeinwohnern gerät.

Vielfältige Interpretationsmöglichkeiten

2016 fertigte der Gymnasiallehrer Charles Meder dann mit „CyberTrappEd“ ein sehr intimes Porträt einer jungen Frau an, die sich online ihr eigenes, teils sehr düsteres Universum schafft. Bei der Ausschreibung 2017 standen dann Erwartungen, Visionen und ein (nicht zwingend optimistischer) Blick in die Zukunft im Fokus. Das Thema, das sich perfekt in das Wahljahr sowie in eine Zeit starker politischer Umbrüche einfügt, hatte gestandene Autorinnen und Autoren angelockt, jedoch befanden sich unter den Teilnehmenden beispielsweise auch eine Grafikerin, eine Bibliothekarin sowie eine Gesangslehrerin.

Im Gegensatz zu den vorherigen Ausgaben wurden dieses Mal Auszüge aus allen Einreichungen präsentiert, welche mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besprochen und dann vorgetragen wurden. Dies erlaubte einen Einblick in die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten in Bezug auf das Thema. Denn hier stieß die philosophierende chinesische Putzfrau auf den aus dem All Liebesbriefe versendenden Astronauten, und neben humorvollen mehrsprachigen Gesprächen über das luxemburgische Wetter rangierten Reflexionen eines jungen Mannes, der sich fragt, ob er homosexuell ist, weil er Gefühle für einen Roboter entwickelt, der ihm ähnelt. Bei mehr als nur einem Text hoffte man, dass er, wenn auch nicht als Hörspiel, so doch über andere Wege ans Publikum gelangen wird.


Der Gewinner

Bernd Marcel Gonner

Jahrgang 1966
in Baden-Württemberg lebender Luxemburger
Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte
sowie Deutsch als Fremdsprache (DaF)
Seit 2009 selbstständig im Bereich DaF und als freier Schriftsteller tätig
Publizierte Lyrik, Prosa, Kinderliteratur und Theaterstücke in deutscher Sprache
Erhielt beim Concours littéraire national in Luxemburg 2016 den ersten Preis im
Bereich Kinderliteratur für den Text „Pirat“ sowie 2017 den 2. Preis für den
Kurzgeschichtenband „Volk der Freien“

Der im Titel befindliche Terminus „Grimmia sessitana“ mag wohl wenigen ein Begriff sein. Hierbei handelt es sich um eine Art Moos, die laut der Hauptfigur Serge, einem jungen gerade promovierenden Biologen, geeignet ist, um im All verpflanzt zu werden. Der junge Dreadlocks tragende Wissenschaftler wird jedoch auf dem Weg zu Astrobiologen von der Polizei in Metz festgehalten, da sie ihn verdächtigt, die Pflanze nicht ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden.

Es fehlt der Geschichte keineswegs an witzigen Momenten, denn Bernd Marcel Gonner bedient sich eines subtilen Humors, aber sein Ziel ist es keineswegs, schlichte Unterhaltungsliteratur zu verfassen. Der Alternativtitel „Einfache Seligpreisungen“ verrät bereits, dass der Autor sowie natürlich auch seine Hauptfigur sich existentiellen Fragen widmen und diese auf eine durchaus poetische Art und Weise zu beantworten versuchen.

Dass es sich bei Serge gewissermaßen um eine Person „vom Rand der Gesellschaft“ handelt, spielte für Gonner eine grundlegende Rolle: „Diese Perspektive ist mir sehr wichtig, da Personen ‚aus der Mitte‘ heutzutage ohnehin sehr viele Stimme haben und immer mehr Echoraum bekommen. Ich kenne relativ viele Menschen, die eine großartige Arbeit leisten, aber, sag ich mal, eher ‚schräge Gestalten‘ sind und dadurch immer wieder nur in das mittlere Rauschen geraten und andere einen Bogen um sie machen. Ich möchte gerade ihnen eine Stimme geben.“