Tief empfundene Phrasierungskunst

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Bereits ab den ersten Takten der 1. Ballettsuite von Dimitri Schostakowitsch spürte man es: Dieser Dirigent weiß was er will, er hat das Orchester im Griff und die Musiker folgen ihm mit großem Einsatz./Alain Steffen

Kazushi Ono, seit dieser Spielzeit Chefdirigent an der Oper von Lyon und zuvor GMD an der Brüsseler Monnaie, ist ein Dirigent, der gleich zur Sache geht. Die Präzision war sofort da, die Artikulation sehr deutlich und die Dynamik exakt auf Schostakowitschs Musik abgestimmt. Keine dunkle Schatten, keine unterschwelligen politischen Kritiken waren da zu hören, sondern durchaus heitere Musik, beschwingt und lustvoll gespielt.
Das OPL begann das Konzert mit einem erstaunlich virtuosen und flexiblen Spiel, das sich dem flotten Dirigat Onos bestens anpasste. Auch im brillanten 1. Cellokonzert von Camille Saint-Saëns erwies sich die Zusammenarbeit und das Verständnis zwischen Dirigent und Musiker als optimal. Aber hier galt das Hauptinteresse dem viel gelobten Cellisten Daniel Müller-Schott, der an diesem Abend sein erstes Konzert in Luxemburg gab.

PhänomenaleTechnik

Und in der Tat war ein Ausnahmemusiker zu hören, der sein Publikum einerseits durch eine phänomenale Technik, andererseits durch eine sehr lyrische Interpretation begeisterte. Irgendwie erinnerte Müller-Schotts Spiel an den einzigartigen Belcanto-Gesang des großen Carlo Bergonzi, dessen Stimme einmalig war und dessen Vortragsstil, ein Musterbeispiel an intelligenter und tief empfundener Phrasierungskunst, noch bis heute unerreicht ist.
Müller-Schott setzte sein Instrument ähnlich wie die menschliche Stimme ein, brachte Saint-Saëns Musik zum Schwingen und berührte die Menschen mit seinem volltönenden, aber schlichten und humanem Klang. Schöner und besser kann man dieses Werk wirklich nicht spielen. Eine Zugabe von Maurice Ravel stellte noch einmal Müller-Schotts Kunst auf eindringlichste Weise unter Beweis. Harte Kost war nach der Pause angesagt. Peter Tschaikowskys gewaltige Manfred-Symphonie ist mit knapp 55 Minuten ein für die damalige Zeit extrem langes Werk. Weniger eingängig als seine sechs Symphonien und seine Konzerte, hat Manfred nie seinen Platz im Repertoire gefunden. Zu Recht, möchte man meinen; wer aber die Interpretation von Kazuchi Ono und dem OPL gehört hat, der wird seine Meinung bestimmt revidieren. Ono kennt die Problemzonen des Werkes und wirkt der orchestralen Zellulitis bewusst entgegen. Der japanische Dirigent strafft die Linien. Obwohl er das Tempo nicht unbedingt anzieht, setzt er auf Transparenz.
Ono lockert das kompakte Orchesterbild auf, arbeitet schlanke Linien heraus und gibt ihm eine eigene Dynamik. Nicht mehr pastose, gewaltige Massen trüben Manfreds dramatische Entwicklung, sondern feingliedrige Melodien, auf die Natur bezogene, durchaus romantische Bilder und dezent in Szene gesetzte seelische Abgründe lassen die Musik an Relief und somit auch an Tiefe gewinnen.
Dass diese Aufführung zu einem wirklichen Ereignis wurde, lag aber nicht nur an Kazushi Onos gekonntem Dirigat, sondern ebenfalls an dem flexiblen, klangschönen und farbenreichen Spiel des Orchesters. Ein Konzert, das wieder einmal die Klasse unserer Musiker zeigte und das bewies, wie wichtig eine konstruktive Kommunikation zwischen dem Dirigenten, dem Solisten und den Musikern ist.

 Anspieltips


Daniel Müller-Schott:

• E. Elgar & W. Walton: Cellokonzerte; Oslo Philharmonic Orchestra, Sir Andre Previn; 1 CD Orfeo C 621 06

 D. Schostakowitsch: Cellokonzerte Nr. 1 &2; Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Yakov Kreizberg; 1 CD Orfeo C 659 061

Kazushi Ono:

 G. Mahler: Symphonie Nr. 2; S. Chilcott, V. Urmana, Orchestre Symphonique et Choeurs de la Monnaie; 2 CD Warner 5050466 2079-5 1