Preise lügen nicht

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Nun ja. Es ist entschieden. Die internationale Jury der diesjährigen Berlinale hat die Bären verteilt. Aber es ist nicht viel mehr geworden, als wenn der Kleeschen Bonbons unters Volk streut: Es gab ein bisschen was für fast alle./ Von unserer Redakteurin Heike Bucher, Berlin

Ganz subjektiv wollten sie entscheiden, meinte Tilda Swinton, schottische Schauspielerin, Oscar-Preisträgerin und Jury-Präsidentin der Berlinale 2009, auf der Eröffnungspressekonferenz am Donnerstag vorletzter Woche.
Das klang gut, kompetent und ernsthaft interessiert. Denn allein die Einsicht, dass eine Gruppe von sieben zusammengewürfelten Leuten keine gesellschaftsrepräsentativen Entscheidungen treffen kann, säte Zuversicht in die Glaubwürdigkeit der Jury. Die Ernte allerdings fiel überraschend dürftig aus, als am Samstagabend die Gewinner der Bären bekannt gegeben wurden, weil sie offenbarte, wie schwierig es letztendlich gewesen sein muss, sich zu einigen.
Wie sollte man es sonst deuten, wenn von achtzehn im Wettbewerb stehenden Filmen neun mit einer Auszeichnung bedacht werden? Oder anders herum: Weshalb hatte sich offensichtlich kein Favorit herausgepellt, der mit mehr als einem Bären nach Hause geht?
Na gut, es gab zwei Filme, die mehrmals bedacht wurden: „Gigante“, der erste Spielfilm des jungen Regisseurs Adrián Biniez aus Uruguay, erhielt den Preis für das beste Erstlingswerk, den Alfred-Bauer-Preis für neue filmische Ausdrucksmöglichkeiten und mit dem großen Preis der Jury einen silbernen Bären.

 
Die Preisträger der 59. Berlinale

Die internationale Jury hat am Samstagabend die Preisträger der 59. Berlinale bekannt gegeben. Die Jury habe sich dazu entschlossen, die Filme und Künstler auszuzeichnen, denen es gelingt, politisches Statement und poetische Form in ein ausgeglichenes Verhältnis zu setzen, hieß es in einer Erklärung.

 Goldener Bär für den besten Film: „Die Milch des Leidens“ („The Milk of Sorrow“) (Peru/Spanien) von Claudia Llosa
 Silberner Bär/Großer Preis der Jury zu gleichen Teilen an: „Gigante“ (Uruguay/Deutschland/Argentinien/Niederlande) von Adrian Biniez (Argentinien) und „Alle Anderen“ (Deutschland) von Maren Ade
 Silberner Bär für die beste Regie: Asghar Farhadi für „About Elly“ („Über Elly“) (Iran)
 Silberner Bär für die beste Schauspielerin: Birgit Minichmayr in „Alle Anderen“ (Deutschland) von Maren Ade
 Silberner Bär für den besten Schauspieler: Sotigui Kouyate in „London River“ (Algerien/Frankreich/Großbritannien) von Rachid Bouchareb
 Silberner Bär für das beste Drehbuch: Oren Moverman und Alessandro Camon für „The Messenger“ (USA) von Moverman
 Silberner Bär für herausragende künstlerische Leistung (Sounddesign): Gabor Erdelyi und Tamas Szekely für „Katalin Varga“ (Rumänien/Großbritannien/Ungarn) von Peter Strickland
 Alfred-Bauer-Preis für innovativen Film zu gleichen Teilen an: „Gigante“ (Uruguay/Deutschland/Argentinien/Niederlande) von Adrian Biniez (Argentinien) und „Tatarak“ („Der Kalmus“) (Polen) von Andrzej Wajda
 Bester Erstlingsfilm (mit 50.000 Euro dotiert): Adrian Biniez (Argentinien) für „Gigante“ (Uruguay/Deutschland/Argentinien/Niederlande)

Weitere Preise:Goldener Bär für besten Kurzfilm: „Please Say Something“ von David OReilly (Irland) Silberner Bär:„Jade“ von Daniel Elliott (Großbritannien)Preise unabhängiger Jurys:Preis der Ökumenischen Jury: „Lille Soldat“ von Annette K. Ohleson (Dänemark)Preise der Fipresci Jurys (Internationaler Verband der Filmkritik):„Die Milch des Leidens“ (“The Milk Of Sorrow“) von Claudia LlosaPreis der Gilde deutscher Filmkunsttheater: „Sturm“ von Hans-Christian SchmidTeddy Awards:Spielfilm: „Raging Sun, Raging Sky“ von Julián Hernández Dokumentarfilm: „Fig Trees“ (“Feigenbäume“) von John Greyson Kurzfilm : „A Horse Is Not A Metaphor“ von Barbara HammerCaligari-Filmpreis: „Ai no mukidashi“ (“Love Exposure“) von Sono SionFriedensfilmpreis:„The Messenger“ von Oren MovermanAmnesty International Filmpreis: „Sturm“ von Hans-Christian SchmidPanorama Publikumspreis: „The Yes Men Fix The World“ von Mike Bonanno, Andy Bichlbaum, Kurt Engfehr
http://www.berlinale.de

Ein Angestellter einer Sicherheitsfirma verliebt sich in eine Putzfrau, die er per Überwachungskamera beobachtet. Ein ruhiger Film, in dem weniger gesprochen als zugesehen wird.
Der deutsche Beitrag der jungen Regisseurin Maren Ade „Alle Anderen“ erhielt den großen Preis der Jury und einen silbernen Bären für die beste Schauspielerin Birgit Minichmayr. Diese Entscheidung war fast zu befürchten (und würde an dieser Stelle am liebsten ganz subjektiv ignoriert werden) und wirft kein gutes Licht auf den neuen deutschen Film. Denn die Geschichte eines Paares im Urlaub auf Sardinien ist nicht viel mehr als ein zweistündiges Epos über selbst fixierte Leute, die man gar nicht kennen lernen möchte, weil man in Wahrheit schon genügend davon kennt. Journalisten in Deutschland liebten diesen Film und interpretierten in die angestrengten Dialoge eine tiefere Ebene hinein. Die Jury liebte ihn anscheinend auch.
Aber nicht nur diesen: Ein anderer sehr umstrittener Film war der peruanische Beitrag „The Milk of Sorrow“. Einstimmig hatte die Jury beschlossen, ihn zum besten Film des Festivals zu erklären und der Regisseurin Claudia Llosa den goldenen Bären mit nach Hause gegeben. Der Film erzählt die Geschichte von Fausta, einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter plötzlich lernen muss, für sich selbst verantwortlich zu sein. Mit einer Kartoffel in ihrer Vagina will sie eventuellen Infektionen oder Angriffen zuvorkommen, denn Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen gehören zum Alltag in Peru. Der Film, der überwiegend mit Laiendarstellern gedreht wurde, hat fast schon dokumentarischen Charakter. Ihm fehlt jegliche erzählerische Leichtigkeit und die ganze Geschichte kommt sehr schwerfällig daher. Aber politisch motivierte Festivals wie die Berlinale müssen solchen Filmen wohl Tribut zollen, weil er außerhalb Perus sonst kaum Aufmerksamkeit finden wird.

Keine Anerkennung für Hollywood

Unterhaltung gibt es in den Kinos ohnehin genug und aufwändig ausgestattete Filme mit Hollywoodstars brauchen keine Anerkennung, scheint sich die Jury gesagt zu haben. Denn nur eine der potenziell erfolgreichen Produktionen wurde mit einem Bären ausgezeichnet. „The Messenger“, der – ganz subjektiv – mit Abstand beste Film des Festivals, erhielt den Bären für das beste Drehbuch.
Die beiden wunderbaren Filme „Chéri“ von Stephen Frears und „My One and Only“ von Richard Loncraine waren jedoch sicherlich nicht einmal in die nähere Auswahl gerutscht und auch der besonders berührende Beitrag des deutschen Regisseurs Hans-Christian Schmid „Storm“ ging leer aus. Ohne Zweifel sind das aber genau die Produktionen, die an der Kinokasse ein großes Publikum finden werden. Warum aber werden solche Filme zur Berlinale in den Wettbewerb eingeladen, wenn sie bei der Preisvergabe stets unberücksichtigt bleiben?
Die Frage lässt sich leicht beantworten, wenn man sieht, wie groß der Rummel in Berlin ist, wenn Stars wie Michelle Pfeiffer, Demi Moore oder Renée Zellweger die Filmfestspiele besuchen. Da sind dann auch jedesmal die Pressekonferenzen mit Journalisten aus aller Welt gut gefüllt, von denen sich viele nur für die kosmetischen oder romantischen Geheimnisse der Schönheiten interessieren.
Publicity scheint eben immer willkommen und nützlich zu sein, auch im Leben der politisch ambitionierten Berlinale. Die Preise jedoch bekommen die anderen, wie Sotigui Kouyate für seine Rolle in dem Drama „London River“. Der 73-jährige Schauspieler aus Burkina Faso spielt darin einen muslimischen Vater, der nach den Terroranschlägen in London im Juli 2005 seinen Sohn sucht.
Der hochgewachsene Mann hat sicherlich eine ganz eigene Leinwandpräsenz, der Preis für sein Schauspiel war jedoch eine der größten Überraschungen. Katja Nicodemus, Filmkritikerin der Wochenzeitung „Die Zeit“, unkte gleich nach der Preisverleihung, Kouyate sei mit dem Bären für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden und nicht für diesen einen Film. Das stimmt wahrscheinlich, spielt aber keine Rolle, denn Preise können sowieso nicht lügen.