„Pouvoir prendre son temps“

„Pouvoir prendre son temps“
(Tageblatt/Hervé Montaigu)

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Mit 59 Jahren nimmt der Direktor des „Centre culturel de rencontre Abbaye Neumünster“, Claude Frisoni, Abschied vom Berufsleben. Seine Zukunft als Pensionär betrachtet der quirlige Kulturschaffende wie einen Neubeginn.

Mein Beruf ist das Schreiben, alle anderen Aktivitäten waren in erster Linie dazu da, mich und meine Familie zu ernähren. Vielleicht weil ich zu feige war, um vom Schreiben allein zu leben.“

Noch hat das neue, beschaulichere Leben offensichtlich nicht angefangen. Wie eh und je sprudeln bei Claude Frisoni die Ideen und Überlegungen, das auf eine knappe Stunde angesetzte Interview wird zu einem politischen, kulturellen und persönlichen Rundumschlag.

Frisonis Aussagen sind bunt, leicht ironisch, gespickt mit Zitaten und Hinweisen, getragen von einer hervorragenden Kenntnis und messerscharfen Analyse der luxemburgischen Gesellschaft. Sie führen unmittelbar zu der Frage, wie dieser dynamische Mann, der seine Rolle als Kenner und Kreisel der kulturellen heimischen Szene offensichtlich liebt und genießt, künftig ohne diese leben wird.

Die Befürchtungen scheinen unbegründet. Mit der gleichen Begeisterung wie über die Abtei Neumünster – „un endroit magique“ – spricht er über den französischen Périgord, wo er den nächsten Abschnitt seines Lebens verbringen will. „Nach 12 Jahren muss man etwas Neues machen. Sonst gehen einem die Ideen aus.“

Eine Herzenssache

Von Mai bis nach der Steinpilzernte – die ist im September oder Anfang Oktober – will Frisoni mit Ehefrau Fabienne, die ebenfalls zum Jahresende in Rente geht, in Saint-Julien-de-Lampon, bleiben. Sein Haus in dem 600-Seelen-Dorf – „von denen ich zurzeit nur höchstens 15 Bewohner kenne“ – ist zwar eine Herzensangelegenheit seiner Frau, die Entscheidung für das Périgord jedoch kommt von Frisoni. Die Familie seiner Mutter stammt aus dem Lot-et-Garonne, seinen Vater hatte es nach der Demobilisierung von 1940 dorthin in den Maquis verschlagen. „Trotz der schweren Zeit hat er stets davon geschwärmt“, erzählt Frisoni und verzaubert auch gleich seine eigenen Zuhörer, wenn er von dem rauen „pays de l’homme“ spricht, in dem er seine neue Heimat gefunden hat, von den „richtigen Jahreszeiten“, die es dort noch gibt, der Landwirtschaft, die Wein zieht, Trüffel sucht und Enten oder Gänse stopft und von dem zähen Menschenschlag, der dort beheimatet ist.

In eine neue Hyperaktivität will Claude Frisoni nicht mehr verfallen. „Zeit für mich finden, schreiben, Pilze sammeln, Rad fahren, mich um meinen Enkelsohn kümmern – an dem ich gutmachen möchte, was ich meinen Kindern schuldig blieb – und auch einmal nichts machen dürfen“, so das Programm. Schreiben will Frisoni täglich mindestens drei Stunden lang: Er bleibt seiner Kolumne im Le Jeudi treu und widmet sich auch weiterhin dem Theater. „Schreiben ist mein Beruf. So gesehen ist die Rente ein finanzielles Polster, mit dem ich in aller Ruhe arbeiten kann“, definiert er sein neues Leben.

Nabelschnur bleibt

Die Verbindung mit Luxemburg wird auch nicht gekappt. Claude Frisoni bleibt Präsident der Vereinigung, die sich um das Victor- Hugo-Haus in Vianden kümmert und Ehrenpräsident des TOL. Über das Amt des Ehrenkonsuls eines Landes aus dem Maghreb, das ihm angeboten wurde, will er noch nachdenken.

Doch auch in Saint-Julien-de-Lampon gibt es Pläne, allerdings keine politischen. Frisonis einzige politische Erfahrung war in der Tat kein Hit. Er hatte sich 2009 an der Seite der LSAP für die Europawahlen engagiert „um damit mein Engagement als europäischer Bürger zu dokumentieren“. Das war in gewissen politischen Kreisen sehr schlecht angekommen und hätte den scheidenden Direktor um ein Haar seinen Posten gekostet.

„Das kann doch nicht sein“, ereifert sich der Mann, der zwar seine ganze berufliche Karriere in Luxemburg machte und länger in Luxemburg lebte, als er je in Frankreich gewohnt hat, jedoch nie daran gedacht hat, seine französische Staatsangehörigkeit aufzugeben. „Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre eine Überlegung wert gewesen“, meint er, um dann jedoch gleich wieder eine Bremse einzulegen. Eigentlich sei es völlig ungerecht, gleichzeitig in Frankreich und in Luxemburg politisch mitbestimmen zu wollen, überlegt er.

Kultureller Pakt

Politische Fäden hat Frisoni auch ohne Stimmrecht gezogen: Der kulturelle Pakt, der dem Regierungsprogramm zugrunde liegt, entstand in einer informellen Arbeitsgruppe, der auch der Direktor des CCRN angehörte. Er kennt auch die Kehrseiten der Politik und der Verwaltung. „Sie sind alle unabsetzbar und bis in alle Ewigkeiten auf ihrem Posten“, moniert er nicht ohne Bitternis.

„Wenn ich geblieben wäre, hätte ich mir nach zwölf Jahren eine andere berufliche Tätigkeit gesucht. Und das, obwohl ich diesen Ort liebe“, sagt der Mann, der 1995 den Erfolg des ersten Kulturjahres verbuchen kann und aus der Baustelle rund um das ehemalige Grund-Gefängnis, wo er 2002 sein Büro in einem Baucontainer aufmachte, eine lebendige Begegnungsstätte der Kulturen machte.

„Ich brauche keine Machtposition. Ich verstehe mein Amt als Dienst an der Allgemeinheit. Ich möchte des Vertrauens würdig sein, das man mir entgegenbringt“, sagt der Mann, der nicht weniger als 8.000 Ereignisse ausgerichtet hat, seit er an der Spitze der Abtei steht – und der seine Begeisterungsfähigkeit noch immer nicht verloren hat.