Jesus im Pinkelglas wurde erneut zerstört

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(dpa)

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Die Fotografie eines in Urin versenkten Kruzifixes erzürnt seit Jahren fundamentalistische Christen. Jetzt wurde das Werk des New Yorker Künstlers Andres Serrano erneut Ziel einer Attacke.

Große Kunst oder verabscheuungswürdige Blasphemie? In Frankreich sorgt seit Wochen eine Fotografie des New Yorker Künstlers Andres Serrano für böses Blut. Jetzt zerstörten Unbekannte das in einem Kunstzentrum in Avignon hängende Werk. Nach den Protesten in der jüngsten Vergangenheit zweifelt niemand daran, dass die Täter aus dem Milieu fundamentalistischer Christen kommen.

Auf den ersten Blick wirkt das bereits 1987 entstandene Foto wenig anstößig. Ein Kruzifix ist etwas unscharf in gelblich-rötlichem Licht zu sehen. Der gekreuzigte Christus wirkt so, als wäre er auf dem Grund eines Sees oder dem Meeresboden mit einer besonderen Aufnahmetechnik fotografiert worden. Nur der Bildtitel verrät mehr: „Piss Christ“ hat Serrano sein 1,80 x 1,20 Meter großes Werk genannt. Nach eigenen Angaben pinkelte er in ein Glas und versenkte dann das Kruzifix darin.

Ultra-konservative über „Piss Christ“ entzürnt

Christliche Fundamentalisten zürnen angesichts solcher Werke. „Stellen Sie sich vor, jemand nimmt eine Mohammed-Figur und taucht sie in Pisse“, kommentiert die Priesterbruderschaft St. Pius X. auf ihrer Internetseite die neue Ausstellung. Selbst Liberale würden dies als Angriff auf den Glauben der Moslems und als menschenverachtend werten. Wenn so etwas mit dem heiligsten Symbol der Christenheit geschehe, herrsche aber Schweigen. Auch der Erzbischof von Avignon, Jean-Pierre Cattenoz, nannte das Werk eine Schande und forderte, das Bild abzuhängen.

Zum Höhepunkt der mehr oder weniger friedlichen Proteste kam es am vergangenen Samstag. Nach Museumsangaben demonstrierten rund 800 Ultra-Konservative gegen die Schau im Kunstzentrum Lambert. Das Museum für zeitgenössische Kunst musste vorübergehend geschlossen werden.

„Das ist das Mittelalter“

Am Tag darauf überraschte dann die Attacke zweier Unbekannter das Ausstellungshaus. Während der normalen Öffnungszeit bearbeiteten sie das Bild „Piss Christ“ mit Schneide- und Schlagwerkzeugen. Drei Museumswärter, die eingreifen wollten, wurden von den Tätern bedroht. Auch ein zweites Bild Serranos fiel der Attacke zum Opfer – es zeigt den Schoß und den Oberkörper einer meditierenden Ordensschwester.

Ausstellungsorganisator Yvon Lambert gibt sich angesichts der Taten fassungslos, muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, mit dem skandalträchtigsten Bild seiner Schau heftig Werbung gemacht zu haben. „Das ist das Mittelalter, das in großen Schritten wiederkommt“, sagte der Sammler und Kunsthändler. Schon vor der Zerstörung der Bilder habe er rund 30.000 E-mails bekommen und sei am Telefon belästigt worden.

„Zerstörung nicht hinnehmbar“

Der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand sagte, er könne verstehen, dass das Bild „Piss Christ“ schockieren könne, aber wer sich verletzt fühle, müsse sich an die Justiz wenden. „Jede Art von Gewalt, Zerstörung und Intoleranz ist nicht hinnehmbar.“

Für Serrano, der sich immer wieder auf drastische Art mit Religion und Sexualität auseinandergesetzt hat, sind aggressive Reaktionen auf seine Arbeiten nichts Neues. Sammlern sind seine Fotografien dagegen bisweilen mehr als 100.000 Euro wert. Ausstellungsleiter Lambert sagt sich daher wohl nun erst recht – und lässt den schwer beschädigten „Piss Christ“ hängen.