„In den Gängen“: Berührender Social Realism im Großmarkt

„In den Gängen“: Berührender Social Realism im Großmarkt

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Die Wettbewerbsauswahl der Berlinale schloss dieses Jahr mit „In den Gängen“, einem der schönsten Werke der 68. Auflage der Filmfestspiele, ab. Regisseur Thomas Stuber zeigt, wie der schüchterne, wortkarge Christian in einem Großmarkt eine Arbeit als Stapler in der Getränkeabteilung findet, Freundschaft mit seinem älteren Arbeitskollegen Bruno knüpft und sich in Marion aus der Süßwarenabteilung verliebt – die aber (unglücklich) verheiratet ist.

Obwohl sich das Ganze im Resümee genauso spannend wie Christians Job selbst liest, gelingt dem Film ein fesselndes Porträt einer Arbeiterklasse, die sich zwar nicht mehr als solche sieht (dafür fehlt mittlerweile die ideologische Solidarität), die nichtsdestotrotz aber zusammenhält. „In den Gängen“ zeigt schonungslos ein Leben in der ästhetischen und finanziellen Misere, ohne in die manchmal zu plakative Kritik des Social Realism oder in eine ästhetische Transzendenz zu verfallen.

Social Realism à l’allemande

Die Kamera zeigt die Hässlichkeit des Großmarktes, den Skandal der Lebensmittelverschwendung (all die kaum abgelaufenen Produkte, die im Mülleimer landen), aber auch die Mühe, mit der sich die Arbeiter durch Freundschaft und Vorstellungskraft das Leben aufbessern. Wenn Bruno, der Christian stoisch-zynisch durch die Arbeitswelt leitet, von den verschiedenen Fehden und Streitigkeiten zwischen den unterschiedlichen Abteilungen um die limitierte Anzahl an Gabelstaplern erzählt, ist das sowohl trist als auch ermunternd: Es ist die Belastbarkeit dieser Figuren, ihr Humor und die Empathie, mit der das Drehbuch, die Schauspieler und der Regisseur ihr Leben darstellen, die den Streifen zu einem diskreten Meisterwerk machen. Ohne in das etwas Dösige eines Philippe-Delerm-Buches oder das Naive einer Amélie Poulain zu verfallen, gelingt es dem Film, sowohl die Simplizität dieser Existenzen wertzuschätzen, als auch ihre Tristesse einzufangen.

„In den Gängen“ ist ein delikater, behutsamer Film, der das graue Alltagsleben in Ostdeutschland zu keinem Zeitpunkt poetisiert, dem es aber trotzdem gelingt, zu bewegen. Der Film kommt ohne große Worte aus, die kargen Figuren sind in dem Ausdrücken ihrer Gefühle unbeholfen, was die Momente der Emotionsausbrüche dann, ein bisschen wie in einem Roman von Kazuo Ishiguro, umso berührender macht.