Holpriger Start in die neue Spielzeit der Philharmonie: Waleri Gergijew und das Mariinsky-Orchester wirken farblos und uninspiriert

Holpriger Start in die neue Spielzeit der Philharmonie: Waleri Gergijew und das Mariinsky-Orchester wirken farblos und uninspiriert

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Die 15. Spielzeit der Luxemburger Philharmonie begann am vergangenen Sonntag mit einem Konzert des Mariinsky-Orchesters unter der Leitung seines langjährigen Chefdirigenten Waleri Gergijew. Für die einen ein Konzert von Weltniveau, für die anderen sicherlich eines, dem man sich besser kritisch nähern sollte.

Von Alain Steffen

Waleri Gergijew, Putin-Freund und gefragtester Maestro unserer Zeit, ist ein umstrittener Dirigent. In den letzten Monaten gab es Proteste gegen seine anscheinend homophobe Haltung, sein Debüt als Tannhäuser-Dirigent auf dem Grünen Hügel war für Bayreuth-Verhältnisse ein Debakel und auch seine unseriöse Arbeitsweise – wie ich aus internen Kreisen erfahren habe, hatte er keine einzige Probe mit seinen Sängern selbst geleitet – stieß auf Unmut.

Gergijew ist ein Workaholic, der als fliegender Dirigent von Konzert zu Konzert rast und immer weniger überzeugende und ausgefeilte Interpretationen bietet. Trotzdem: Gergijew war zumindest einmal ein ganz großer Interpret und viele, die mit ihm gearbeitet haben, sind von ihm nach wie vor begeistert. Und wie Lang Lang ist die Marke Gergijew Garant für einen vollen Konzertsaal. Kein Konzerthaus, das etwas auf sich hält, kann sich erlauben, den Namen Waleri Gergijew nicht auf seiner Künstlerliste zu verzeichnen. Als Rezensent tue ich mich schwer mit dem russischen Maestro.

Vor 20 Jahren habe ich viele seiner Opernaufführungen mit dem Mariinsky-Orchester erlebt und war jedes Mal begeistert von der Musikalität, Innenspannung und spieltechnischen Qualität, die er mit seinem Orchester erreichte. Heute bin ich von der Oberflächlichkeit seiner zum Teil sehr plakativen Interpretationen meistens enttäuscht. Mit nicht allzu hohen Erwartungen ging ich dann auch zu diesem ersten Konzert der Jubiläumsspielzeit 19/20.

Routiniert und uninspiriert

Auf dem Programm standen Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, Nikolai Rimski-Korsakows symphonische Suite aus „Le Coq d’or“ (Der goldene Hahn) und die 4. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch. Die beiden letzten Werke waren in ihrer Zeit von der Zensur betroffen, die politisch-satirische Oper „Le Coq d’or“ (1908) wurde von der zaristischen Zensur verboten, weil der Komponist sich weigerte, ihm vorgegebene Änderungen durchzuführen, Schostakowitschs 4. Symphonie dann auch aus politischen Gründen.

Obwohl sich eine Großzahl von russischen Zuhörern im Saal befanden, war der Begrüßungsapplaus für das Mariinsky-Orchester und Waleri Gergijew eher lau. Es wurde dann auch ein Konzert, das man wohl unter „ferner liefen“ einstufen muss und über das es eigentlich recht wenig zu schreiben gibt. Farblos und uninspiriert erklang Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, die als Opener ein Orchester in den Mittelpunkt stellte, das mit seinem erdigen, dunklen Klang und seinem zu wenig differenzierten Spiel dem Werk nicht gerecht wurde.

Gut, aber nicht herausragend gespielt das berühmte Flötensolo. Weiter ging es dann mit Rimski-Korsakows Suite „Le Coq d’or“, die wenig inspiriert und etwas gelangweilt von den Mariinsky-Musikern gespielt wurde. Gergijew, zumindest in seinen Aufnahmen oft ein Meister der Klangfarben, beließ es dann auch bei einer sehr routinierten Wiedergabe, die keinen wirklich überzeugen konnte. Mit nur höflichem Applaus entließ das Publikum die Musiker dann in die Pause.

Fragwürdige Schostakowitsch-Interpretation

Schostakowitschs 4. Symphonie ist für mich eines der herausragenden symphonischen Werke des 20. Jahrhunderts, authentisch und düster, dramatisch und innerlich zerrissen. Das hatte das Lucerne Festival Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin vor drei Wochen anlässlich des „Lucerne Festival“ gezeigt und das Werk einerseits sehr analytisch und transparent, anderseits sehr pessimistisch und emotionsgeladen interpretiert, und das mit einer Intensität, die das Publikum fast in einen Schockzustand versetzte. Von dieser Tiefe und Tragik war bei Gergijew wenig zu spüren.

Was zur Frage führt, ob ein Anhänger des Putin-Regimes wirklich ein idealer Interpret für die regimekritische und somit äußerst tragische Musik eines Komponisten wie Dimitri Schostakowitsch sein kann. Gergijews Interpretation blieb dann auch hinter allen Erwartungen zurück. Er ließ das Werk sehr ungefährlich erklingen, verneinte quasi seine Modernität und inszenierte es in der Tradition eines Tschaikowski oder Rimski-Korsakow. Das sonst hervorragende Mariinsky-Orchester spielte an diesem Abend korrekt, aber ohne viel Engagement und mit einem sehr pauschalen Klang, was eindeutig zu wenig war.

Und um die musikalische Botschaft des Komponisten noch zu verniedlichen – eigentlich verbietet es der gute Geschmack, auf ein Werk wie diese Vierte eine Zugabe zu spielen – beendeten Gergijew und das Mariinsky-Orchester das Konzert trotz des weiterhin mäßigen Applauses mit dem Schluss aus Strawinskis „Feuervogel“. Ein tragisches, regimekritisches und dabei sehr persönliches Werk wie Schostakowitschs 4. Symphonie in zwei bzw. drei märchenhafte Kompositionen einzubetten und dann auch interpretatorisch nur gefällig zu bleiben, ist dann schon etwas fragwürdig und hinterlässt zumindest bei mir einen bitteren Beigeschmack.