(Halb)nackte Heilige

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Werke des Fotografen Giovanni Gastel aus mehr als 25 Jahren werden derzeit in der Galerie Clairefontaine ausgestellt. Eine Betrachtung.

An den mehr als 25 Jahre umfassenden Werken, die derzeit in der Galerie Clairefontaine ausgestellt werden, kann man nicht nur beobachten, wie der Fotograf Giovanni Gastel seinen ganz persönlichen Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie vollzog, sondern auch, wie sich sein Blick auf Weiblichkeit veränderte und sich dies in der bildlichen Umsetzung niederschlug.

Von Anne Schaaf

Während man in der Manchester Art Gallery vor Kurzem ein Bildnis weiblicher Nacktheit abhängte, um die Debatte über die Herangehensweise, derartige Inhalte zu zeigen, zu fördern, entschied man sich in der hauptstädtischen Galerie Clairefontaine dafür, die Damen der Schöpfung zu erheben und das Gespräch anders zu führen.
Seit fast 40 Jahren fängt der italienische Fotograf Giovanni Gastel Frauen ein. Diese wirken gleichwohl nicht so, als fühlten sie sich eingesperrt in seinen Momentaufnahmen. Vielmehr scheint es umgekehrt so zu sein, dass es die Damen sind, die ihn in ihren Bann ziehen.
Hatte er sich zu Beginn seiner Laufbahn eher Stillleben zugewendet, so wurde Gastel ein wichtiger Karriereschritt Anfang der 1980er gewährt, als er tief in die Welt der Modefotografie eintauchen durfte und begann, sie auf seine eigene Art zu interpretieren. Seitens der Moskauer Lumiere Brothers Gallery, in der er voriges Jahr ausstellte, heißt es, Giovanni Gastel sei sich des Täuschungsversuchs, welcher von der Modefotografie ausgehe, vollends bewusst und spiele gerne mit eben dieser Tatsache, indem er durch seine Fotos andere Perspektiven auf die allgemeine Konzeption von Schönheit eröffne. Und das keineswegs ohne Ironie.

Seinen Fotografien wohnt ohne Zweifel etwas Freches inne, so gab er beispielsweise der italienischen Schauspielerin Luisa Ranieri 2012 einen Rasierer in die Hand, damit sie sich, nur zum Schein, ihr zartes Gesicht rasieren konnte, oder hielt 1990 die Androgynität Lynne Koesters in einem ansprechenden Schwarz-Weiß-Porträt fest.

Gastel bewegt sich mit seiner Ästhetik jedoch stets in einem Rahmen, der auf die ein oder andere Art konsensfähig bleiben kann. Jener Schritt, der zur Eskalation führen könnte, wird nicht gemacht. Der Betrachter ist potenziell irritiert, aber das abstoßende, entrüstete Moment bleibt aus. Daher wäre es auch übertrieben, ihn als subversiv zu bezeichnen. Gastel scheint in der Fashion Photography ein Refugium gefunden zu haben, in dem er zwar experimentieren kann, aber trotzdem niemand ein politisches Statement von ihm verlangt.

In manchen Kurzbiografien wird Giovanni Gastels poetische Ader angepriesen, habe er doch schließlich bereits im Alter von 16 Jahren seinen ersten Lyrikband veröffentlicht. Auch dichtet man ihm in Bezug auf sein handwerkliches Vorgehen eine gewisse lyrische Kompetenz an und doch scheint er in einem gewissen Reimschema gefangen, benutzt ein bestimmtes Arsenal an Symbolen und überschreitet bei näherer Betrachtung nicht wirklich Grenzen. Ein Beispiel hierfür ist seine augenscheinliche Vorliebe für Schmetterlinge, die unter anderem in seiner angeblich an Kafka angelehnten Serie „Metamorphoses“ immer wiederkehren. Das Verwenden des Falters, der eigentlich als Inbegriff der Transformation gilt, unterliegt aber keinem Wandel, da das Insekt meist auf den Augen der Fotografierten verweilt.

Auch folgen seine rezenten Engelsdarstellungen einem recht konservativen, gar langweiligen Kanon. Seine Bildsprache verlässt somit selten die Ebene des „premier degré“ und verfällt zuweilen in eine Art Kitsch.

Auf einem Foto aus dem vergangenen Jahr hat Gastel Lisa Graham einen Ammoniten aufgesetzt und verfasst damit quasi eine Ode an den Goldenen Schnitt. Gastels Faible für Symmetrie wird immer wieder lobend in der Fachpresse hervorgehoben, jedoch ist es genau sie, die verhindert, dass seine Bilder spannende Ecken und Kanten aufweisen. Die Models wirken in ihrer überperfekten Darstellung unantastbar und trotz oder gerade wegen ihrer formvollendeten Schönheit unmenschlich.

Was man Giovanni Gastel indes zugutehalten kann, ist, dass die Frau vor seiner Linse niemals etwas weniger Wertiges oder Unterwürfiges hat. Sie tritt nicht hinter der getragenen Mode zurück und mutiert zum Kleiderständer. Ganz im Gegenteil vermittelt sie zu jedem Moment, unabhängig davon, wie viel oder wenig sie bekleidet ist, Stärke, die in nicht wenigen Bildern sogar in Dominanz übergeht. Gastel wirft einen respektvollen Blick auf die Frauen, den man mancherorts wohl erst wieder erlernen muss.