Beim Europäischen Monat der Fotografie nimmt das Casino – Forum d’art contemporain mit einer Sammelausstellung teil, die in Anlehnung an Edward Steichens „The Bitter Years“ entstanden ist. Während Steichen für seine Ausstellung, die im Jahre 1962 im MOMA in New York gezeigt wurde, einige Jahre Abstand hatte, um ein amerikanisches Bild der großen Wirtschaftskrise, die auf den Schwarzen Donnerstag 1929 folgte, zu zeichnen, ahnten die Kuratoren des Casino, als sie vor gut zwei Jahren begannen, die Ausstellung „Great Expectations“ zu planen, noch nichts davon, dass das Wort „Wirtschaftskrise“ bei der Eröffnung der Ausstellung wieder in aller Munde sein würde.
| Great Expectations Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain Kuratoren: Paul di Felice, Pierre Stiwer und Enrico Lunghi Wann und wo? Bis zum 14. Juni auf 41, rue Notre-Dame, 2013 Luxembourg Internet: www.casino-luxembourg.lu |
Die ausgestellten Werke der 22 jungen Fotografen sind Ausschnitte aus der komplexen Globalität in der wir heute leben. Sie alle haben in der Fotokunst die Möglichkeit gefunden, den Status quo der Gesellschaft darzustellen und zu hinterfragen. Realitätsnah und schonungslos legen sie Missstände bloß und halten ihr Objektiv auf Szenen, deren Anblick weh tut.
Der deutsche Fotograf Kai Wiedenhöfer reiste in den Nahen Osten, um sich mit der israelischen Mauer auseinanderzusetzen. Als Berliner selbst ein Kind der Mauer, hinterfragt er mit seinen Fotografien den Sinn einer solchen Konstruktion und führt ihn ad absurdum. Beinahe dreimal so lang und doppelt so hoch wie die Berliner Mauer, wird das israelische Pendant als noch menschenverachtender und grausamer dargestellt. Klein und zerbrechlich wirkt der Mann, der mit Stock und Turban beinahe von der Mauer erdrückt wird, surreal wirken daneben die rosa Blümchen an der Hausfassade.
Auch die Fotografien der Amerikanerin Suzanne Opton überzeugen durch ihre Schonungslosigkeit. Ihre Werke zeigen Portraits von amerikanischen, aus dem Irak oder Afghanistan heimgekehrten Soldaten. Doch bildet sie diese nicht typisch in Uniform ab, sondern positioniert ihre meist kahl geschorenen Köpfe auf einer Tischplatte. Dadurch verstärkt sich die Wirkung ihres Gesichtsausdrucks, die Augen stechen hervor, ihre Mimik erzählt Geschichten. „Ich wollte Gesichter von Menschen beobachten, die Sachen erlebt haben, die sie nie wieder vergessen werden“, beschreibt die Künstlerin in einem Interview ihre Motivation.
Wenn Bilder lügen
Doch besticht die Ausstellung „Great Expectations“ nicht nur durch ihre realitätsnahen, unverschleierten Darstellungen, sondern vor allem auch dadurch, dass sie den Wahrheitsgehalt von Fotografien hinterfragt. Bilder können täuschen, das zeigt besonders eindrucksvoll das Werk von Eric Baudelaire, der sich in „Dreadful Details“ mit der Möglichkeit von Fälschungen auseinander setzt.
Hier ein amputiertes Körperteil, dort ein schreiendes Kind, Blut, Rauch, Qualm: Die mehrere Meter große Fotografie zeigt ein „klassisches“ Kriegsgeschehen mit exemplarischen Elementen – allerdings ist der Schauplatz nicht, wie es scheint, eine Straße in Bagdad, sondern ein Hollywoodstudio.
Für sein Werk hat Baudelaire Szenen nachgestellt, die den Betrachter nicht nur mit den grausamen Bildern des Krieges konfrontieren, sondern vor allem auch seine Wahrnehmungsmechanismen hinterfragen. Alle Assoziationen, die der Betrachter mit Krieg hat, werden bedient, alle Erwartungen erfüllt. Und dennoch ist das Bild gestellt, zeigt Schauspieler statt Soldaten, Bühnenbilder statt zerbombter Häuser. Baudelaire ist es gelungen den Krieg, oder besser gesagt, unsere Vorstellung davon, als Mythos zu entlarven.
Dieser trügerische Aspekt, den die Ausstellung immer wieder aufgreift macht aus den Fotografien Kunst. Und zwar indem Fotografien in die Grauzone zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen Montage und Reportage, zwischen Wahrheit und Lüge verschoben werden und den Betrachter deshalb dazu zwingen, sich nicht nur mit der Welt, sondern auch mit sich selbst auseinanderzusetzen.
De Maart
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