Filin hofft in Aachen auf rasche Genesung

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Gezeichnet von einem Schwefelsäure-Anschlag verlässt der Chef des Bolschoi-Balletts nach zwei Wochen die Moskauer Klinik. Nun hofft Filin auf rasche Genesung und Aufklärung des Verbrechens.

Deutsche Ärzte des Aachener Klinikums sollen Moskaus Ballettchef Sergej Filin wieder fit machen für seine Arbeit am weltberühmten Bolschoi Theater in Moskau. Der 42-Jährige ist auch zwei Wochen nach dem Anschlag mit Schwefelsäure schwer gezeichnet. Erstmals zeigen Bilder den Leiter der mit mehr als 200 Tänzern größten Balletttruppe der Welt mit Glatze, geschwollenem Gesicht und den verätzten Augen. Es sei ihm egal, wie er aussehe, notfalls werde er entstellt und ohne Haare – als „Frankenstein“ – das weltberühmte Corps de Ballet leiten, sagt er dem Staatsfernsehsender Westi.

Als Filin am Montag das Krankenhaus in Moskau verlässt, trägt er eine große Sonnenbrille – zum Schutz der Augen – und eine Mütze. Leibwächter begleiten den Künstler zu einem Privatjet, der ihn nach Deutschland fliegen soll. „Ich habe noch nie so viel Kraft in mir gefühlt wie jetzt“, sagt er. Filin wird gestützt von seiner Frau und der Bolschoi-Sprecherin Katja Nowikowa.

Absagen

Auch zwei Wochen nach dem Anschlag können viele in Moskau – Journalistinnen und Fans – ihre Gefühle nicht verbergen und weinen. Als Folge des Angriffs hat das Bolschoi einen Festivalreigen zu Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“ (Frühlingsopfer) auf unbestimmte Zeit verlegt – bis Filin wieder am Haus ist. Auch habe etwa der britische Starchoreograf Wayne McGregor ein Gastspiel abgesagt – „aus Sorge um seine Sicherheit“, wie die Zeitung „Iswestija“ unter Berufung auf Ruslan Pronin vom Bolschoi schreibt.

Filin sagte nach Gesprächen mit internationalen Kollegen, dass der Anschlag von Mitte Januar wie ein Erdbeben die vermeintlich friedliche und schöne Welt des Tanzes erschüttert habe. Moskaus Feuilletons sind voll von Horrorgeschichten um das russische Ballett – angefangen bei früheren Anschlägen des sowjetischen Geheimdienstes KGB auf Tänzer, die auf Gastspielen im Westen flüchten wollten, bis hin zu Glasscherben in Ballettschuhen. Es sind Geschichten von Neid, Eifersucht und Rache.

Harmlose Attacken

Auch Filin kenne Gemeinheiten unter Tänzern aus seiner Karriere, heißt es da. Doch stets seien dies nur die harmloseren Angriffe gewesen: pieksende Nadeln in Kostümen oder zerschnittene Pantalons. Medien berichten zudem von toten Katzen, die auf die Bühne geworfen werden, und von klingelnden Weckern, um Tänzer in Momenten höchster Konzentration aus der Fassung zu bringen. Die Welt des Tanzes sei brutal, betont etwa der Starsolist Nikolai Ziskaridse.

Der auf der Bühne oft in der Rolle des Bösewichts besetzte Tänzer beteuert in Interviews seine Unschuld. Er sei zwar nie Filins Freund gewesen, aber einen Säureanschlag wünsche er niemandem. Ziskaridse berichtet auch, dass ihn die Polizei zu dem Anschlag befragt habe wie Hunderte andere Künstler des Bolschoi. Dem Vernehmen nach machen die Ermittler Fortschritte bei der Aufklärung dieses bisher beispiellosen Ballettthrillers.

Heilung und Arbeit

Filin und die Fahnder betonen am Montag, dass der Name des Verdächtigen erst bekanntgegeben werde, wenn er verhaftet sei. Er wolle sich in den kommenden Monaten in der Aachener Klinik auf die Heilung und Arbeit konzentrieren. „Es gibt viele Ideen und Pläne. Ich möchte nur so schnell wie möglich auf meinen Arbeitsplatz zurückkehren“, sagt der Ballettchef vor seinem Abflug.

Vertretungsweise leitet die frühere Primaballerina Galina Stepanenko (46), Filins Ex-Frau, die Truppe. Doch allem Anschein nach tobt hinter den Kulissen des Musentempels der Machtkampf weiter. Ziskaridse wirft seiner früheren Tanzpartnerin vor, mit einem schriftlichen Appell an die Truppe seine Entlassung voranzutreiben.

Er sei tief enttäuscht von seiner einst guten Freundin, aber das sei wohl der Preis für einen solchen Bolschoi-Posten, meint Ziskaridse. Bislang habe kein einziger Tänzer den Appell unterschrieben.