Die Poesie hat es schwer. Oft wird sie als elitäre Kunstform abgestempelt, der sich in Elfenbeintürmen sitzende Dichter widmen, die, meist depressiv und weltfremd, nichts anderes tun, als sich mit Worten um sich selbst zu drehen.
Dieser weit verbreiteten Auffassung wollte 1999 der damalige französische Kulturminister Jack Lang entgegenwirken und rief, in Anlehnung an die bereits 1980 gegründete „Fête de la musique“, den „Printemps des poètes“ ins Leben. Zwei Wochen im März – die Veranstaltungen sind in Frankreich zurzeit in vollem Gang – feiert das Land seitdem mit Lesungen, Ausstellungen, Plakaten, Flugblättern und Postkarten den Frühling der Dichter.
Im letzen Jahr nun haben sich eine Reihe poesiebegeisterte Luxemburger, unter ihnen Françoise Pirovalli von der Abtei Neumünster und die Schriftsteller Jean Portante und Nico Helminger, zusammengetan, um auch hier einen „Printemps des poètes“ auszurichten, der die Poesie aus ihrem Versteck holt und sie allen Menschen zugänglich macht.
Ehrengast:Jean-Pierre Siméon
Zur diesjährigen Vorschau vor der Presse haben die Verantwortlichen den künstlerischen Leiter des französischen „Printemps des poètes“ und Paten der luxemburgischen Ausgabe, den Dichter und Dramaturgen Jean-Pierre Siméon, eingeladen, der mit Leidenschaft und Überzeugungskraft Ziel und Zweck der Veranstaltung auf den Punkt brachte. „Poesie ist nicht elitär. Das zu zeigen, ist unsere Aufgabe. Die zeitgenössische Dichtung lebt um uns herum, wir müssen nur auf sie aufmerksam machen“, sagt Siméon.
Dabei ist es ihm allerdings wichtig, dass der „Printemps des poètes“ nicht zu einem gewöhnlichen Fest – denn Feste werden gefeiert, wie sie fallen – verkommt, sondern Menschen an poetische Werke heranführt, Dichter bekannt macht und Poesie im öffentlichen Raum sichtbar wird.
Zu diesem Zweck werden vom 24. bis 26. April etwa 15 Dichter aus dem In- und Ausland nach Luxemburg kommen, um in der Abtei Neumünster, in der Escher Kulturfabrik und in der hauptstädtischen Galerie Simoncini aus ihren Werken zu lesen und in direkten Kontakt mit dem Publikum zu treten. Sowohl Dichter aus der näheren Umgebung wie der Franzose Bernard Noël oder die beiden luxemburgischen Literaturgrößen Lambert Schlechter und Anise Koltz als auch Dichter aus fernen Welten wie die Iranerin Azadée Nichapour oder der Kurde Seyhmus Dagtekin werden dabei sein, um Poesie für jeden erlebbar zu machen. Zur musikalischen Begleitung haben sich bereits der luxemburgische Cellist André Mergenthaler und der argentinische Musiker César Stroscio angekündigt.
Zusammenarbeitmit Schulen
Neben der Musik ist auch die Zusammenarbeit mit den Schulen, die in diesem Jahr noch ausgebaut werden konnte, ein wichtiger Bestandteil des „Printemps des poètes“. Sowohl Schüler der „Ecole européenne“ als auch des „Lycée Vauban“ und des hauptstädtischen „Lycée de garçons“ werden, statt sich mit Grammatik und Vokabeln herumzuschlagen, in den Genuss kommen, den Reiz der Poesie unmittelbar zu erleben, indem sie die Dichter persönlich kennenlernen.
Dass Poesie weder weltfremd noch depressiv ist, beweist allein das diesjährige Motto. Denn was würde in Zeiten der schlechten Nachrichten – Bankrott hier, Entlassungen dort – besser passen als „En rire(s)“?
Schließlich hat ein bisschen Optimismus und Lebensfreude noch niemandem geschadet, erst recht nicht in Krisenzeiten. Und vor allem nicht, wenn die gute Laune vonseiten der Dichter kommt, denn wie Siméon treffend bemerkte: „Auch ein lachender Dichter bleibt ein Dichter: Er stellt die Welt infrage, rebelliert gegen sie und regt unser Bewusstsein an.“
3 FRAGEN AN Jean-Pierre Siméon „T“: Warum ist die Poesie für Sie persönlich so wichtig? J.-P.S.: „Durch die Poesie lebe ich intensiver. Dichter zu sein, ist eine Lebensart. Durch die Dichtung lebe ich in vollen Zügen. In Gedichten kristallisiert sich diese Intensität heraus, da die poetische Sprache großzügiger und feiner ist …“ „T“: … als die prosaische Sprache? J.-P.S.: „Ja genau. Prosaische Texte würde ich als linear beschreiben. Der Leser folgt einer Erzählung. Meist gibt es einen Anfang und einen Schluss. Bei der Poesie hingegen verläuft der Rezeptionsprozess vertikal. Damit meine ich, dass man bei jedem einzelnen Wort halt macht, in seine Tiefen absteigt, um auch die Ebenen unter dem bloßen Ausdruck wahrzunehmen, um die Andeutungen, die mitschwingen, zu verstehen. Hierfür bedarf es Geduld. Gedichte liest man nicht wie einen Roman oder eine Zeitung. Man braucht Zeit, um Gedichte zu verstehen. Eine Landschaft versteht man auch nicht, wenn man im TGV an ihr vorbeirauscht, sondern am besten zu Fuß, wenn man sie barfüßig langsam erläuft. Mit Gedichten ist es genau dasselbe.“ „T“: Was erhoffen |
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