Jugendschutz-SerieZwei Ex-Schülerinnen des LCD kämpfen gegen institutionellen Sexismus

Jugendschutz-Serie / Zwei Ex-Schülerinnen des LCD kämpfen gegen institutionellen Sexismus
„Lange Zeit wusste man nicht, an wen man sich mit einer Beschwerde wenden kann“, kritisiert eine Ex-Schülerin den Mangel an Informationen. Auch werden Opfer immer noch allzu oft mit Vorwürfen konfrontiert, anstatt ihnen ein offenes Ohr zu bieten. Foto: Shutterstock

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Jahrelang konnte ein Lehrer des „Lycée classique de Diekirch“ (LCD) ungestört seinen Schüler*innen private Nachrichten schicken. Die Schule will von den Vorwürfen nichts gewusst haben und die Betroffenen berichten von ergebnislosen Bitten nach Hilfe. Im vierten Teil unserer Jugendschutz-Serie: Zwei ehemalige Schülerinnen des LCD werden aktiv, als sie von den Belästigungsvorwürfen erfahren und verfassen ein Schreiben. Ein Gespräch mit einer der Co-Autorinnen.

Wenige Tage nachdem die ersten Screenshots der übergriffigen Chat-Verläufe veröffentlicht wurden, tun sich zwei ehemalige Schülerinnen des „Lycée classique de Diekirch“ (LCD) zusammen und schreiben einen offenen Brief. Darin fordern sie unter anderem eine schnelle und transparente Aufarbeitung der Vorfälle und einen offenen sowie fairen Dialog. Außerdem müsse man einen gesamtgesellschaftlichen Dialog starten. Nur so könnte der falschen Annahme, es würde sich um isolierte Einzeltaten handeln, entgegengewirkt werden.

Eigene Erfahrung

Die beiden Autorinnen wollen auch weiterhin anonym bleiben. Carole* hat 2015 ihren Abschluss am LCD gemacht und wurde selbst während ihrer Schulzeit von dem beschuldigten Lehrer kontaktiert. Nach einer jährlichen Kulturveranstaltung der Schule habe er sie auf Facebook angeschrieben. „Er wolle sich bei mir für mein nettes Lächeln bedanken. Das hätte ihn dazu motiviert, während seiner Darbietung sein Bestes zu geben“, erzählt Carole. „Er gehörte damals nicht zu meinen Lehrer*innen. Für mich war er ein fremder Mann und ich weiß bis heute nicht, wie er mich auf Facebook gefunden hat.“

Sie ist zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt und kann sich nicht daran erinnern, ihn an jenem Tag angelächelt zu haben: „Mittlerweile gehe ich davon aus, dass er noch andere Mädchen mit derselben Geschichte angeschrieben hat.“ Sie hätte sein Verhalten bereits damals ekelhaft gefunden, sagt aber, sie hätte den Ernst der Lage zunächst nicht verstanden. Ihr war zu dem Zeitpunkt auch noch nicht bewusst, dass es noch weitere Personen mit ähnlichen Erfahrungen gibt. Umso geschockter sei sie gewesen, als sie nach so vielen Jahren von den neuen Vorwürfen erfuhr.

Wut als Handlungsantrieb

„Ich war erst mal ratlos und wusste nicht, was ich machen soll. Als ich dann die ersten Artikel in der Presse gelesen habe, wurde ich immer wütender und verspürte den Drang, etwas dagegen zu unternehmen“, berichtet die ehemalige Schülerin. Oft würde man versuchen, solch komplexe Themen wie strukturellen Sexismus und Rassismus vereinfacht darzustellen. Doch die kleinen Häppchen an Informationen verhindern zielführende Dialoge.

Es wäre nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Gesamtheit des Problems noch nicht erkannt wurde. Carole und ihre Co-Autorin haben die Hoffnung, dass ihr Schreiben einen größeren öffentlichen Diskurs anregt. „Es geht nicht um diesen einen Lehrer, sondern um das System, das dahinter steckt und ein solches Verhalten akzeptiert“, so Carole.

Bereits die Thematisierung der Probleme kann zu deutlichen Verbesserungen führen: „Es herrscht ein riesiger Informationsmangel. Schüler*innen werden nicht ausreichend über ihre Rechte und Themen wie Missbrauch oder Belästigung aufgeklärt. Lange Zeit wusste man noch nicht einmal, an wen man sich mit einer Beschwerde wenden kann.“

Carole erwähnt außerdem, dass sie damals auch zum Teil aus fehlendem Wissen nicht gehandelt hat. Damit eine betroffene Person überhaupt reagieren kann, muss sie die Situation erst einmal einordnen können. Der nächste Schritt ist dann, dafür zu sorgen, dass Menschen in sozialen Berufen präzise Hilfestellungen bieten können oder wissen, an wen man sich mit solchen Vorfällen wenden kann. Ansonsten können Betroffene erneut zu Opfern fehlerhafter oder fehlender Strukturen werden.

Der falsche Fokus

Trauen sich die Betroffenen nach einigen Jahren doch mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit, werden sie für die Dauer ihres Schweigens kritisiert. „Immer wieder höre ich, dass ja nichts unternommen werden konnte, weil die Jugendlichen der Schulleitung oder dem Lehrpersonal nicht früher davon erzählt haben“, berichtet Carole. Das Hauptaugenmerk liegt ab diesem Moment nicht mehr auf dem Tatverdächtigen, sondern auf den Opfern, die nicht rechtzeitig gehandelt haben.

Schlimmstenfalls wird ihnen vorgeworfen, ihr Schweigen sei schuld daran, dass es jetzt noch weitere Opfer gibt. Vergessen wird, dass es eigentlich unnötig sein sollte, einer zivilisierten Person erklären zu müssen, dass sie nicht übergriffig werden darf. „Der Fehler kann nie bei den Jugendlichen, den Opfern liegen, sondern immer nur bei den Täter*innen und den Strukturen, die ein solches Verhalten erlauben“, erklärt Carole nachdrücklich. „Diese kritische Selbstreflexion und -erkenntnis fehlt mir bisher von den Schulen und dem Bildungsministerium.“

Die Ex-Schülerin sieht besonders bei der Politik Handlungsbedarf: „Wenn der politische Wille nicht da ist, wird sich auch in Zukunft nicht viel verändern.“ Es fehle an manchen Stellen noch die Einsicht, dass es auch in Luxemburg strukturellen Sexismus und Rassismus gebe. Das habe man auch während der Debatten zu „Black Lives Matter“ letztes Jahr beobachten können. Wenn man bereits mit der Einstellung diskutiert, dass es sich dabei um ein amerikanisches Problem handelt, könne man auch keine Veränderungen erwarten.

„Solange die Menschen in Machtpositionen von diskriminierenden Strukturen profitieren, ist es schwer, Wandel herbeizuführen“, überlegt Carole. Ihr ist es wichtig, dass es zu keinen Missverständnissen kommt. Ihr ginge es nicht darum, „alte, weiße Männer“ anzugreifen oder zu verteufeln. Es sei nur schwerer, Diskriminierung zu erkennen und gegen sie anzugehen, wenn man selbst noch nie Opfer einer solchen Diskrimination gewesen sei. Es gehe nicht darum, die Stimmen von älteren, weißen Männern zu unterdrücken, sondern darum, dass dieses Stimmbild diverser werden müsse.

Carole ist sich sicher, dass es einige sehr laute Stimmen aus der Zivilgesellschaft braucht, die Veränderung fordern, damit die Politik reagiert. Deshalb sei es auch besonders wichtig, dass wir uns über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten informieren und weiterbilden würden. So könne man Druck auf Politiker*innen ausüben und Fortschritt vorantreiben.

* Name von der Redaktion geändert