Großbritannien„Zufriedene Mitarbeiter leisten bessere Arbeit“: Vier-Tage-Woche mit ermutigenden Ergebnissen

Großbritannien / „Zufriedene Mitarbeiter leisten bessere Arbeit“: Vier-Tage-Woche mit ermutigenden Ergebnissen
In vielen europäischen Ländern wird im Zuge der Erfahrung während der Corona-Pandemie über neue Arbeitszeitmodelle nachgedacht – auch in Luxemburg Foto: Editpress/Julien Garroy

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Cambridge – mehr als 800 Jahre alte Universitätsstadt, Traumziel junger Leute aus aller Welt, Sitz bedeutender Institute und ihrer erfolgreichen Kommerz-Unternehmen. Der Landkreis der boomenden Stadt erhält bei Umfragen regelmäßig Bestnoten, wenn es um die Bezirke mit der höchsten Lebensqualität in Großbritannien geht.

Nun hat es die Landkreis-Verwaltung sogar in die Schlagzeilen der überregionalen Presse geschafft. Auf Initiative der örtlichen Liberaldemokraten beteiligt sich der Bezirk Süd-Cambridgeshire, so sein offizieller Name, nämlich an einem Experiment, das auf der Insel eine Vielzahl von Firmen und öffentlichen Verwaltungen beschäftigt: Was geschieht, wenn Arbeitgeber die übliche Fünf-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung auf vier Tage zusammenstreichen?

Eine lächerliche Idee, sagen viele, die erstmals davon hören. Der rechtsgerichtete Thinktank Taxpayers’ Alliance beklagte lautstark die vermeintlichen Einbußen für die örtlichen Steuerzahler. Den örtlichen Parlamentsabgeordneten Anthony Browne empörte „die linke Horrorshow“ so sehr, dass er seine rechtskonservative Regierung zum Eingreifen aufforderte. Und tatsächlich ordnete der zuständige Londoner Regional-Staatssekretär unter Verweis auf angebliche rechtliche Probleme die Beendigung der Probephase an.

Die gewählte Leiterin der Bezirksregierung, Bridget Smith, gibt sich unbeirrt. Der Landkreis habe sich für das Experiment am Standort Cambourne mit 450 Mitarbeitern in Schreibtischjobs vor allem aus einem Grund entschieden: Immer wieder gibt es Probleme damit, gute Leute für freigewordene Positionen zu gewinnen und auch auf Dauer zu halten. Kürzere Arbeitszeiten können manche in der wachsenden Gruppe von Menschen anlocken, denen eine gesunde Work-Life-Balance wichtig ist.

Die Landkreis-Verantwortlichen haben es seit Beginn des Experiments geschafft, neun von 23 dauerhaft verwaisten Positionen zu besetzen. Dadurch spare man allein in diesem Jahr umgerechnet 631.000 Euro für Zahlungen an Arbeitsagenturen, die kurzfristige Aushilfskräfte zur Verfügung stellen. „Wir würden dem Staatssekretär gern unsere Motivation und bisherigen Ergebnisse persönlich vortragen“, sagt Smith. Der Landkreis will die kürzeren Arbeitszeiten trotz des ministeriellen Einspruchs mindestens bis kommenden März aufrechterhalten.

Das ist Musik in den Ohren jener Wissenschaftler und Organisatoren, die im vergangenen Jahr erstmals einen Versuch mit der Vier-Tage-Woche zu gleichem Lohn propagierten. „Wir arbeiten durchschnittlich länger als die meisten Länder in Europa, liegen bei der Produktivität aber weit hinten“, begründet Joe Ryle vom gewerkschaftsnahen Thinktank Autonomy die Initiative. Tatsächlich wuchs die Produktivität im Königreich Jahrzehnte lang um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr. Seit dem Finanzcrash von 2008 hat sich das Tempo erheblich verringert; zwischen 2010 und 2019 betrug die Steigerung nur noch jährlich 0,75 Prozent.

Steigerung der Produktivität

Grundlage des Feldversuchs, der auch von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurde, war der Grundsatz: 100 Prozent Lohn für 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit, solange die Produktivität weiterhin 100 Prozent beträgt. Zunächst beteiligten sich 70 Firmen mit insgesamt rund 3.300 Mitarbeitern. Darunter waren eine Fish&Chips-Ladenkette in der ostenglischen Grafschaft Norfolk ebenso wie Marketingfirmen im Norden Englands, in London eine Brauerei ebenso wie ein Finanzberater – überwiegend kleinere und kleine Unternehmen, häufig Start-ups, sowie Wohlfahrtsorganisationen wie lokale Büros der Bürgerberatung Citizen’s Advice.

Am Ende der sechsmonatigen Testperiode wollten 92 Prozent der übriggebliebenen 61 Firmen mit der neuen Arbeitszeit-Regelung weitermachen. Beinahe drei Viertel der befragten knapp 3.000 Arbeitnehmer freuten sich über reduzierte Stressgefühle und fühlten sich gesünder. „Die bessere Work-Life-Balance macht die Leute fröhlicher und weniger gestresst. Und zufriedene Mitarbeiter leisten bessere Arbeit“, berichtete Claire Daniels von der digitalen Marketingagentur Trio Media im nordenglischen Leeds der BBC.

Knapp die Hälfte der teilnehmenden Firmen stellten sogar eine Produktivitätssteigerung fest. Wie bei Trio Media, wo die dreißigminütige Dienstbesprechung im Stehen kurzerhand abgeschafft wurde, ermutigten viele Chefs ihre Mitarbeiter, Meetings abzusagen oder sofort zu verlassen, sobald ihre eigene Arbeit nicht mehr zur Debatte stand. Anderswo einigten sich Teams auf größere Konzentration am Arbeitsplatz: vier Stunden lang pro Tag keine E-Mails, keine Telefonate, keine WhatsApp-Nachrichten. „Deep work time“ nennt man das beispielsweise beim Hautcreme-Hersteller Five Squirrels im südenglischen Hove. Die neue Arbeitszeitregelung, heißt es bei der Firma, mache es einfacher, neue Mitarbeiter zu gewinnen.

Traditioneller Arbeitstag nicht mehr zeitgemäß

Den Fachleuten zufolge ist gerade unter jüngeren Menschen die Nachfrage nach flexibleren Arbeitszeitmodellen groß, zumal seit der Corona-Pandemie und der Arbeit im Homeoffice. Der traditionelle Arbeitstag von 9 bis 17 Uhr sei an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß, glaubt Professorin Abigail Marks von der Uni Newcastle: „Die Leute merken, dass lange Arbeitszeiten nicht gesund und auf Dauer nicht durchzuhalten sind.“

Freilich gab es im Feldversuch auch eine Handvoll Firmen, die mit der Umstellung nicht gut zurechtkamen. Werkzeug-Hersteller Allcap im westenglischen Gloucester musste feststellen, dass die Kundennachfrage nach Komponenten in der Bau- und Maschinenbranche in der kürzeren Arbeitszeit nicht zu bewältigen war. Dabei hatte Unternehmenschef Mark Roderick aus Vorsicht bereits statt einer Vier-Tage-Woche nur alle 14 Tage einen zusätzlichen freien Tag vorgesehen. „Aber statt zehn normalen Arbeitstagen hatten die Mitarbeiter neun extreme und waren am zehnten, ihrem freien Tag, erschöpft.“

Kürzere Arbeitszeit in Luxemburg?

Im Zuge der Parlamentswahlen äußern sich die teilnehmenden Parteien ebenfalls zu ihren Vorstellungen in Sachen Arbeitszeitgestaltung. Die CSV steht betrieblich vereinbarten Arbeitszeitverkürzungen offen gegenüber, will dies jedoch nicht gesetzlich einführen. Die DP, die Piratenpartei und die ADR wollen an der 40-Stunden-Woche festhalten, sprechen sich aber für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit aus. „déi gréng“ wiederum tasten sich an das Thema heran, sind offen für betriebliche Vereinbarungen und wollen im Rahmen eines „Pilotprogramms“ neue Arbeitszeitmodelle testen. Für eine klare Arbeitszeitverkürzung auf 38 Stunden pro Woche spricht sich die LSAP aus. Die KP orientiert sich an der französischen 35-Stunden-Woche, während „déi Lénk“ für die Einführung der Vier-Tage- oder 32-Stunden-Woche eintritt. (Red.)

Burn Out
26. September 2023 - 8.53

Noch zufriedener wären sie sicher wenn sie gar nicht mehr arbeiten müssten. Bei vollem Lohnausgleich natürlich.