„Wir sind 15.000“: So lief der Schülerstreik am Freitag ab

„Wir sind 15.000“: So lief der Schülerstreik am Freitag ab

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zwischen 7.500 und 15.000 Schüler haben am Freitag für ihre Zukunft demonstriert. Parolen rufend und Plakate schwingend sind sie vom Glacis bis zum Knuedler marschiert.

Freitag, kurz vor 10.00 Uhr in Esch. Es regnet und stürmt. Die Schüler des „Lycée de garçons Esch“ warten in der Eingangshalle darauf, dass es klingelt. Nur die abgehärteten Raucher stehen vor der Tür. Es ist der große Tag. Der 15. März. Der Tag, an dem Tausende Schüler in Luxemburg und in 125 anderen Ländern weltweit für ihre Zukunft auf die Straße gehen. Sie wollen den Entscheidungsträgern die Augen öffnen, sie wachrütteln, damit sie endlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen.

Vom Kampfgeist dieses Vorhabens ist in Esch noch nicht viel zu spüren. Als es klingelt, machen sich die Schüler des „Jongelycée“ entspannt auf den Weg in Richtung Bahnhof. „Was für ein scheiß Wetter“, sagt ein Mädchen zu seiner Freundin. In einer Gruppe von Jungen, die alle Baseballkappe und Jogginghose tragen, meint einer ganz cool: „Ich geh doch nicht streiken.“ Vor dem Escher Bahnhof haben sich Polizisten aufgestellt. Damit die Jugendlichen sicher über die Straße gelangen. Neben dem regulären Zug in die Hauptstadt steht noch ein weiterer extra für die Schüler bereit. Die sind immer noch ganz entspannt. Nur sehr wenige haben Plakate gebastelt, keiner ruft Parolen. Einige zweigen sich ab.

Im Zug bleibt es weiterhin ruhig. Während ein Schüler am Telefon erklärt, wie er jemand anderen fertigmachen will, diskutieren zwei über den Künstler Banksy. Klima ist nicht das Top-Thema. Eine Gruppe sieht jedoch motiviert aus. Das Mädchen mit rot gefärbten Haaren meint: „Es ist mir sehr wichtig, heute dabei zu sein.“ Der Junge, der ihre Hand hält, stimmt zu: „Das Wetter ist uns so was von egal, es geht um unsere Zukunft.“ Dennoch befürchtet er, dass wegen des Regens viele nicht kommen.

Bunte Demoplakate gegen tristen Himmel

Am Hauptbahnhof steigen die Schüler aus und verteilen sich. Viele gehen zu Fuß zum Glacis, einige nehmen den Bus. In der Hauptstadt ist die Atmosphäre schon etwas revolutionärer. Ein Mädchen mit einem Megafon führt eine Parolen rufende Gruppe in Richtung Glacis an. Dort ist es um 11.00 Uhr noch sehr ruhig. Unter einem blauen Zelt haben die Organisatoren von „Youth for Climate Luxembourg“ einen Workshop auf die Beine gestellt. Hier können sich alle, die wollen, last minute ein Schild aus Karton basteln. Mit grüner Farbe schmieren sich einige Kriegsbemalungen ins Gesicht.

Bei der Kreativität ihrer Demoplakate überbieten sich die Schüler gegenseitig. Langsam treffen immer mehr Teilnehmer auf dem Glacis ein. Und mit ihnen immer mehr Farbe, die dem tristen Himmel die Stirn bietet. Auf den sozialen Medien waren die Jugendlichen mehrfach dazu aufgefordert worden, sich für ihre Plakate Inspiration bei vorangegangenen Klimastreiks zu holen. „There is no Planet B“, „Make Love not CO2“ oder „Pardon, ech kann elo net an d’Schoul, ech muss meng Zukunft retten“ sind nur einige Beispiele der Sprüche, die sie in bunten Buchstaben in die Luft hielten. Elie Sinner ist seit Januar im Organisationsteam des Klimastreiks. Um die Aufmerksamkeit seiner Altersgenossen zu erlangen, stellt sich der 16-Jährige kurzerhand in die Mitte einer großen Pfütze auf dem Glacis.

Elie ruft die ersten Parolen in sein Megafon und fordert alle Anwesenden auf, mit einzustimmen. Er trägt einen quietschgelben Regenmantel, robuste Outdoorschuhe, eine blaue Fischermütze und seinen Pfadfinderschal. Um ihn und die Pfütze herum bildet sich ein Kreis. „Macht mit: Et un, et deux, et trois degrés, c’est un crime contre l’humanité!“, ruft Elie in sein Megafon. Zaghaft stimmen ein paar umstehende Schüler ein. „Na los, das könnt ihr besser“, feuert er sie an. Eine mitreißende Dynamik entsteht. Die Menschentraube um Elie und die anderen Organisationsmitglieder, die sich inzwischen auch in die Pfütze gestellt haben, wächst und wächst. Die Parolen werden immer lauter: „Mir sinn hei, mir sinn haart. Well dir näischt fir d’Klima maacht!“

Sogar die anfangs nur mäßig motivierten Schüler aus Esch lassen sich inzwischen mitreißen. Wer sich umschaut, sieht in motivierte, schreiende und entschlossene Gesichter. Die Atmosphäre einer großen Gruppe, die sich für eine gemeinsame Sache einsetzt – ihre Zukunft –, verursacht Gänsehaut.

Partystimmung auf dem Knuedler

Kurz vor 12.30 Uhr setzen sich die Menschenmassen in Bewegung. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele genau gekommen sind. Die Polizei spricht von 7.500 Teilnehmern, die Organisatoren von 15.000. In dem Moment fühlt es sich eher wie Letzteres an. „Ich hoffe, dass viele Erwachsene den Streik sehen und auf das Problem aufmerksam werden“, sagt Silvia Almeida, ebenfalls Mitglied des Organisationsteams von „Youth for Climate Luxembourg“. Sie freut sich, dass es jetzt endlich losgeht, und ist schon ganz hibbelig. Die Route geht vom Glacis bis auf den Knuedler. „What do we want?“, fragen die Anführer des Streiks. „Climate justice!“, brüllen Tausende Menschen. „When do we want it?“ – „Now!“, lautet die klare Antwort. Immer wieder legt der Zug eine Pause ein und alle hocken sich hin.

„On est assis, assis, assis pour le climat“, lautet die Devise. Dann springen alle jubelnd auf: „On est debout, debout, debout pour le climat.“ Ein beeindruckendes Bild, wenn Tausende Jugendliche im selben Moment aufspringen und leidenschaftlich losschreien. Nur wenige Erwachsene streiken mit. Tatsächlich sind sehr wenige Erwachsene gekommen. Die Jugendlichen wissen, wie sie auf sich aufmerksam machen. Ganz ohne ihren Kritikern noch mehr Zündstoff zu geben: Nur sehr wenige sind mit einer Flasche Bier unterwegs, alles läuft friedlich ab und sie wissen ganz genau, wieso sie dort stehen. Nur hier und da steigt einem der süßlich-würzige Geruch von Marihuana in die Nase – aber wer weiß, vielleicht ist es ganz legales CBD.

Dass die Schüler genau wissen, wofür sie streiken, wird spätestens auf dem Knuedler klar. Gegen 14.00 Uhr treffen sie dort ein. Auf einer kleinen Bühne haben die Organisatoren ein „Open Mic“ verkündet. Jeder, der etwas zu sagen hat, darf das hier spontan und öffentlich tun. Die engagierten Reden der unterschiedlichsten Schüler sind geschickt durch Musikeinlagen unterbrochen. Dann kommt richtige Partystimmung auf. Der Knuedler tanzt. Dass es immer noch in regelmäßigen Abständen regnet, stört schon lange niemanden mehr.

Roujan: „Ich bin nur ein Kind“

Am „Open Mic“ schafft der 13-jährige Roujan es besonders, die Menge zu begeistern. Er ist vor fast vier Jahren mit seinen Eltern aus Syrien nach Luxemburg geflüchtet. Seine Rede hält er auf Deutsch. „In Syrien habe ich mit meinem Vater Fische gefangen, die Plastik anstelle der Organe hatten“, erinnert er sich. Er will, dass das aufhört. „Ich bin nur ein Kind“, wiederholt er immer wieder. Und doch sieht er all diese Dinge, die derart falsch sind und gegen die niemand etwas tut. Manchmal stottert Roujan und stolpert über seine Worte, sein Deutsch ist nicht perfekt. Aber der Menge ist das egal. Sie feiert den 13-Jährigen. „Es war das erste Mal, dass ich vor so vielen Menschen geredet habe“, erzählt er nach seinem Auftritt. „Ich konnte es nicht glauben. Ich werde in der Schule gemobbt. Als ich so viele gesehen habe, die mir zujubeln und fröhlich sind, dachte ich, ich träume.“

Melusine geht es ähnlich. Sie ist Teil des Organisationsteams und hat nach dem Streik nur noch eine krächzende Stimme. So laut hat sie ins Megafon geschrien, um alle anzufeuern. „Ich bin so glücklich“, sagt die 15-Jährige aufgeregt und mit einem breiten Lachen im Gesicht. „Normalerweise bin ich sehr schüchtern. Ich traue mich oft nicht, Dinge zu tun. Ich bin froh, dass die anderen mich heute dazu motiviert haben, mitzumachen.“ Georg und Lucie sind beide 13 Jahre alt und besuchen die Europaschule. Sie wollten eigentlich das „Open Mic“ nutzen. Leider erlaubt die Zeit es nicht mehr, die Organisatoren schicken sie weg.

„Unsere Message war im Grunde, dass wir und auch niemand sonst mehr den Klimawandel ignorieren kann. Wir brauchen jetzt Veränderung. Die Politiker schlafen und wir müssen sie wecken.“ Mit so vielen Leuten für das gleiche einzustehen hat sich für Georg fantastisch angefühlt. Der Mitorganisator und lauteste Anführer des Streiks, Elie Sinner, hat ebenfalls eine sehr angeschlagene Stimme. Er zieht eine erste Bilanz: „Es war echt viel Arbeit, das alles auf die Beine zu stellen.“ Die Faschingsferien haben die 15 Mitglieder des Organisationskomitees von „Youth for Climate Luxembourg“ komplett für die Vorbereitung des Schulstreiks geopfert. Auch die Abende gingen für Telefonate und E-Mails drauf. „Aber es hat sich echt gelohnt. Wir hätten nicht erwartet, dass 15.000 Menschen kommen. Ich glaube, wir konnten unsere Message rüberbringen.“

Das Gefühl, so eine Masse an Menschen anzuführen und zu motivieren, bezeichnet er als „extremst krank und unbeschreiblich“. „Es war ein befreiendes Gefühl, plötzlich zu wissen, wir sind nicht mehr nur 15, wir sind 15.000.“