Das Scouting bei der FLF„Wir müssen Geduld haben“

Das Scouting bei der FLF / „Wir müssen Geduld haben“
Manuel Cardoni ist seit etwas mehr als drei Jahren Technischer Direktor der FLF Foto: Editpress/Alain Rischard

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In einer siebenteiligen Serie blickt das Tageblatt hinter die Kulissen der nationalen Fußballschule. Das flächendeckende Scouting spielt in der Ausbildung eine sehr wichtige Rolle. Manuel Cardoni, der Technische Direktor der FLF, erklärt, wie die FLF auf die Suche nach den Nationalspielern der Zukunft geht.

Tageblatt: Herr Cardoni, wie ist das Scouting der FLF-Fußballschule ganz generell organisiert?

Manuel Cardoni: Wir haben vier regionale Stützpunkte im Süden, Zentrum, Norden und Osten. Insgesamt kommen dort rund 100 Spieler der Kategorie U10 und U11 zusammen. Das war nicht immer so. Vor Jahren mussten alle Spieler hier in Monnerich vorspielen. Um ehrlich zu sein war es unmöglich, bei einer solchen Masse an Spielern die richtigen Entscheidungen zu treffen. Heute gehen unsere Stützpunkttrainer vor allem zu den Spielen des LaLux-Cups, weil man dort viele Mannschaften sieht und beim Vier-gegen-vier auch relativ schnell Talent entdecken kann. Danach werden die ausgewählten Spieler zu den Stützpunkten eingeladen. Die dort verantwortlichen Trainer suchen ihre besten Spieler aus, die dann in Monnerich vorspielen. Viele Talente werden aber auch durch unsere Trainerausbildung oder später durch Scouting bei den Meisterschaftsspielen der Jugendkategorien entdeckt. Mittlerweile melden sich viele Trainer bei uns und weisen auf ihre Spieler hin. Wir brauchen die Vereine. Als Fußballschule wollen wir uns auf keinen Fall von den Vereinen loslösen. Mein Anliegen ist es, die Zahl der einheimischen Spieler in der Meisterschaft um 25 Prozent zu erhöhen. Das geht nur dadurch, dass bessere Trainer ausgebildet werden und wir den Vereinen bei dieser Aufgabe helfen.

Die Stützpunkttrainer haben demnach eine große Verantwortung beim Scouting im Kinderbereich. Wie werden sie auf diese sehr wichtige Aufgabe vorbereitet?

Wir haben einen sogenannten Scouting-Report mit Sterne-Bewertung. Uns ist es zum Beispiel wichtig, dass wir in jeder Mannschaft Linksfüßler haben. Wir versuchen, einen roten Faden zu haben, aber schlussendlich bewertet jeder den Spieler auf eine andere Art und Weise. Geduld spielt bei der Bewertung der Spieler eine sehr große Rolle. Wir müssen lernen, mit Schwächen bei Spielern umzugehen. Unsere Stützpunkttrainer haben die Möglichkeit, die Talente ein ganzes Jahr zu beobachten und können am besten bewerten, wie sich ein Spieler innerhalb von zwölf Monaten entwickelt. Es gibt auch oft Spieler, die körperlich ihren Alterskollegen hinterherhinken. Wenn wir sehen, dass sie fußballerisch talentiert sind, lassen wir ihnen Zeit, sich zu entwickeln. Wir müssen die Jugendlichen und Kinder willkommen heißen. Vor dem Fußballer steht der Mensch. Es ist wichtig, dass wir eine persönliche Beziehung zu ihnen aufbauen– auch wenn das ab und zu bei der Masse an Spielern sehr schwer ist. Beim Scouting werden auch in Zukunft Fehler passieren. Als Trainer müssen wir es akzeptieren, wenn wir jahrelang einen Spieler nicht als stark genug eingeschätzt haben und er dann auf einmal gut genug ist. Man muss über den Dingen stehen.

In den vergangenen Jahren fiel auf, dass es in Luxemburg sehr viele zentrale Spielertypen gibt und nur wenige Stürmer oder Flügelspieler. Wird momentan nach einem bestimmten Typen gescoutet?

Wenn ich Ajax Amsterdam bin und ein Spielertyp mir fehlt, dann verpflichte ich ihn von einem anderen Verein. Das können wir nicht machen. In verschiedenen Kategorien sind wir zentral, in anderen Mannschaften sind wir auf den Flügeln besser besetzt. Es ist auch oft so, dass die talentiertesten Spieler in den Vereinen zentral eingesetzt werden und sie entwickeln sich dann in eine bestimmte Richtung. Insgesamt hat sich auch unsere Wahrnehmung geändert. Vor zehn Jahren war unsere Auswahl deutlich kleiner als heute. Die Resultate der A-Nationalmannschaft bringen andere Anforderungen an die Talente mit sich. In Luxemburg reden wir oft darüber, einen richtigen Stürmer zu finden. Aber auch Nationen wie Deutschland haben keinen Stürmer wie Robert Lewandowski. In Frankreich gibt es auch keinen legitimen Nachfolger für Olivier Giroud. Deshalb ist es für Luxemburg sehr schwer, einen genau solchen Spielertypen zu haben. In der A-Nationalmannschaft haben wir viele Spieler mit Torinstinkt wie Gerson Rodrigues, Danel Sinani oder Yvandro Borges. Das kann auch eine gute Lösung sein.

Wie werden Ihre Talente von den ausländischen Profivereinen gesichtet?

Wir haben in den vergangenen Jahren ein sehr großes Netzwerk aufgebaut. Es kommt sehr oft vor, dass Vereine nach einem bestimmten Spielertypen, zum Beispiel einem Linksfuß, suchen und dann bei uns nachfragen. Die Vereine schicken dann Scouts zu unseren Spielen vorbei. Wir füllen oft die Lücken, die es in diesen Nachwuchsleistungszentren gibt. Es gibt aber auch Talente, die halb Fußball-Deutschland will. Warum ist das so? Weil sie diesen bestimmten Spielertypen nicht haben. Bayern München hat uns kürzlich zu einem Trainingsspiel eingeladen. Nicht weil wir gute Jungs sind, sondern weil sie an einer Handvoll unserer Spieler aus demselben Jahrgang Interesse haben. Das zeigt, welcher Respekt uns mittlerweile entgegengebracht wird.

Wir dürfen uns den Luxus nicht erlauben, Tipps nicht ernst zu nehmen und dadurch ein Talent nicht zu entdecken

Manuel Cardoni, Technischer Direktor der FLF

Wurde das nationale Torwartproblem durch gute Sichtung gelöst?

Auf die Größe eines Torwarts haben wir bekanntlich keinen Einfluss, aber wir haben vor fünf Jahren das Projekt „Let’s Goalie“ ins Leben gerufen. Bei diesem können sich Spieler an den Stützpunkten als Torwart versuchen. Zudem haben wir mittlerweile in jeder Altersklasse und an den Stützpunkten Torwarttrainer. Dadurch hat sich die Situation geändert. Mit Tiago Pereira (Borussia Mönchengladbach/D), Noah Scheidweiler (UN Käerjeng), Eldin Latik (Progrès Niederkorn), Lucas Fox (1. FC Bocholt/D) oder Ben Kohnen (VfL Wolfsburg/D) haben wir derzeit eine ganze Reihe von talentierten Torhütern im Alter von 17 bis 23 Jahren. 

Gibt es Talente, die aus Gründen wie Disziplin oder schlechten körperlichen Voraussetzungen nicht berufen werden?

Wenn ein Spieler augenscheinlich undiszipliniert auf dem Platz agiert, holen wir ihn trotzdem zu uns und beobachten, wie er sich entwickelt. Es gibt jedoch Sachen, die ganz klar nicht gehen. Wer in den Umkleidekabinen Sachen klaut, muss die Fußballschule verlassen. Wenn die Schule einen Spieler aus disziplinarischen Ursachen nicht gerne freistellen will, dann geht er nicht mit zu den Spielen. Wir haben ein besseres Druckmittel als die Schulen. Alle Jungs spielen gerne Fußball und wollen nicht darauf verzichten. Bei unserem letzten Scouting ist uns ein Spieler aufgefallen, der sehr talentiert ist, aber einige Kilos zu viel hat. Auch diese Spieler bekommen eine Chance. Wir versuchen, die Kinder und die Eltern auf eine gesunde Ernährungsweise aufmerksam zu machen. Auf die Umsetzung haben wir jedoch nicht viel Einfluss. 

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man nicht unbedingt in der Lage ist, in der BGL Ligue zu spielen, wenn man das „Centre de formation“ in Monnerich durchlaufen hat. Woran liegt es, dass Talente, die gesichtet wurden, an diesem Level scheitern?

Wir haben hierzulande einen sehr schlechten Übergang. Wenn die Jungs 16 oder 17 Jahre alt sind, traut sich fast kein Trainer, sie aufzustellen. Viele Vereine verpflichten lieber einen 35-Jährigen als auf die eigene Jugend zu setzen. Ich verstehe diese Gedanken auch, denn für diese Vereine geht es um Titel oder den Europapokal. Im Grunde genommen wird aber in solchen Fällen nur der kurzfristige Erfolg gesucht. Ein anderer Faktor ist, dass die Jungs Träume haben. Einige gehen zu Bundesligisten und andere erhalten keine Angebote aus dem Ausland und kommen auch in ihrem Verein nicht zum Zuge. Die Karriere gerät ins Stocken und die Spieler haben Probleme damit. Ich hoffe, dass in Zukunft wieder mehr Bewusstsein für die Jugendarbeit entsteht.

Was muss im Scouting noch verbessert werden?

Der liechtensteinische Verband hat zehn Vollzeit-Trainer, vier davon gehen in die Vereine und helfen in den Vereinen, ihre Philosophie umzusetzen. So etwas Ähnliches wäre sehr interessant. Ich denke aber, dass unser Scouting-Netzwerk sehr gut aufgestellt ist. Erst kürzlich habe ich vier Spieler empfohlen bekommen. Wir dürfen uns den Luxus nicht erlauben, Tipps nicht ernst zu nehmen und dadurch ein Talent nicht zu entdecken. Wir müssen Geduld in allen Bereichen haben und langsam wachsen – auch wenn wir ab und zu Ziele am liebsten von heute auf morgen erreichen möchten.

Die Serie

27. Januar: Entstehung und heute: das Konzept des CFN
31. Januar: Wie funktioniert das Scouting?
3. Februar: Der organisatorische Alltag
7. Februar: Hinter den Kulissen: Physio, Studien und Fußball
10. Februar: Transport: Unterwegs mit den Talenten
14. Februar: Die Mädchenabteilung
17. Februar: Das sagen die Absolventen

Bei der Bewertung der Spieler sind viele unterschiedliche Charakteristiken wichtig
Bei der Bewertung der Spieler sind viele unterschiedliche Charakteristiken wichtig Foto: Editpress/Alain Rischard