In Mexiko besitzen sowohl ArcelorMittal als auch Ternium Eisenerzminen. Diese befinden sich beide in indigenen Gemeinden. Es sei ein Umfeld extremer Gewalt, berichtet Alejandra Gonza von Global Rights Advocacy. „Für Menschenrechtsverteidiger wie für Journalisten ist es dort besonders gefährlich. Trotzdem gibt es einige Mutige.“ Die aus Argentinien stammende Rechtsanwältin weiß, dass die Region wie andere Bundesstaaten Mexikos im Würgegriff sich bekämpfender Kartelle und von „Autodefensas“ ist, nicht minder gewaltbereiten Bürgerwehren.
Alejandra Gonza vertritt die Angehörigen von António Díaz Valencia und Ricardo Lagunes Gasca. Der Lehrer und der Anwalt sind seit mehr als zwei Jahren verschwunden. Sie traten für die Interessen der Indigenen-Gemeinschaft von San Miguel de Aquila gegenüber Ternium ein, dessen Mine sich an dem Ort im mexikanischen Bundesstaat Michoacán befindet. Die Suche der Angehörigen der beiden Männer sowie von Menschenrechtsaktivisten ist bislang ohne Erfolg geblieben.
Die Gruppe um Alejandra Gonza und ist nun ein zweites Mal nach Luxemburg gekommen, um am Hauptsitz des argentinisch-italienischen Stahlkonzerns zu demonstrieren und die hiesige Regierung um ihre Unterstützung zu bitten. Mit dabei ist auch Keyvan „Tono“ Díaz. Er ist der Enkel von António Díaz Valencia. Aufgewachsen ist er bei seinem Großvater, den er wie einen Vater betrachtete. „Wir haben noch immer keine Spur von Ricardo und ihm“, sagt er. „Weder das Unternehmen noch die Ermittlungsbehörden gingen auf unsere Anfragen ein.“ Die Ungewissheit schmerzt.
Die Verschwundenen von Michoacán

Es war der 15. Januar 2023, als Díaz Valencia und Lagunes Gasca zum letzten Mal gesehen wurden. Sie kamen gerade von einer Gemeindeversammlung. Kurze Zeit später wurde ihr Pick-up mit platten Reifen und Einschusslöchern auf einer Landstraße zwischen den Bundesstaaten Colima und Michoacán gefunden. Bis heute ist das Schicksal der „Verschwundenen“ nicht geklärt.
Den Aktivisten der „Fair Steel Coalition“ bleibt einmal mehr nichts anderes übrig, als eine Nachricht am Firmensitz von Ternium zu hinterlassen, während der Konzern seine Generalversammlung abhält. Ein Besuch im luxemburgischen Innenministerium ist ebenso wenig ergiebig. Die hiesige Regierung fühlt sich nicht zuständig. Eine vage Hoffnung besteht darin, dass die Aktivisten am nationalen Kontaktpunkt der OECD eine Klage eingereicht haben. Jean-Louis Zeien, Co-Koordinator der mit den internationalen Menschenrechtlern verbündeten „Initiative pour un devoir de vigilance“ (IDV), spricht von einem „umfangreichen Dossier von mehr als 40 Seiten“.
In einem anderen Fall wurde Higinio Trinidad de la Cruz vor zwei Jahren in der Grenzregion zwischen den Bundesstaaten Jalisco und Colima tot aufgefunden. Nach Aussagen von Zeugen wurde der indigene Umweltaktivist von Mitgliedern der Organisierten Kriminalität gekidnappt. In der Region befindet sich gut die Hälfte der Eisenerzvorkommen Mexikos. Die örtliche Mine gehört jeweils zur Hälfte Ternium und ArcelorMittal. Zwischen den beiden Entführungsfällen gebe es Parallelen, so die Menschenrechtler.
Am zweiten Jahrestag des Verschwindens von Díaz Valencia und Lagunes Gasca im Januar beging die indigene Gemeinschaft von San Miguel Aquila einen Gedenktag und gab eine Erklärung ab, in der sie forderte, dass die Vermissten lebend gefunden werden. Unterdessen hielt in Luxemburg eine Gruppe von Menschenrechtlern vor dem Hauptsitz von Ternium am Boulevard Royal eine Art Mahnwache ab.
Nun steht Keyvan Díaz mit seinen Mitstreitern, einer Delegation von Menschenrechtlern und Umweltschützern, von NGOs unter anderem aus Brasilien, Mexiko, Liberia und Südafrika sowie der IDV, vor dem Hauptsitz von Ternium am Boulevard Royal und hält ein Transparent hoch, während eine Gruppe von Anzugträgern das Gebäude betritt. Der Konzern, der mehr als 20.000 Menschen beschäftigt, hält seine jährliche Generalversammlung ab.
Die gewaltigen Umweltschäden mit gravierenden Folgen für die jeweiligen örtlichen Bevölkerungen dürften bei dem Treffen der Aktionäre kaum eine Rolle gespielt haben. Bereits im Vorjahr fühlten sich die anwesenden Verantwortlichen, etwa der Financial Planning Director, nicht zuständig. Erst später ließ eine zwischengeschaltete PR-Agentur verlauten, dass der Konzern nichts mit dem Verschwinden der beiden Menschenrechtler zu tun habe. Man weise jegliche Spekulation zurück.
Hinterlassenschaft der Apartheid
Ein anderer Fall des Verstoßes gegen die Menschen- und Umweltrechte ist der von ArcelorMittal in Südafrika. Der Konzern betreibt dort das Stahlwerk Vanderbijlpark, das täglich eine derart große Menge Schwefelwasserstoff ausstößt, die weit über dem liegt, was die in Südafrika geltenden Luftqualitätsstandards zulassen sollten. Für die Menschen, die im Vaal-Dreieck am Stadtrand von Johannesburg leben, handelt es sich um eine Hinterlassenschaft der Apartheid-Ära. Jahrzehntelang wurden in der Region Luft, Boden und Wasser verschmutzt. Die in der Vaal Environmental Justice Alliance (VEJA) organisierten Gemeinden kämpfen seit fast 20 Jahren dagegen an, sagt Mdu Tshabalala, ein Aktivist der „Fair Steel Coalition“, die Maßnahmen zur Sanierung der verschmutzten Standorte fordert. Übrigens: ArcelorMittal Südafrika ist der drittgrößte Treibhausgasemittent des Landes.
Derweil versucht der Konzern in Liberia, die Produktion seiner Eisenerzmine zu verdreifachen. Es gibt jedoch nur wenig Informationen darüber, sagt John Brownell von der Agency for Economic Development and Empowerment (AEDE) in dem westafrikanischen Land. Die in den betroffenen Regionen befragten Stammesgemeinschaften berichten, dass die Mine nach und nach ihr Land und Wasser, ihre Wälder und traditionellen Lebensgrundlagen zerstört und sie langsam ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Derweil ist Santa Cruz ein Vorort im äußersten Westen von Rio de Janeiro, in dem eine überwiegend afrobrasilianische, einkommensschwache Bevölkerung lebt, die von den Behörden lange Zeit vernachlässigt wurde. Seit der 2010 erfolgten Ansiedlung des Stahlwerks von ThyssenKrupp, das 2017 von dem Konkurrenten Ternium übernommen wurde, verschärften sich die Umwelt- und Gesundheitsbelastungen für die Gemeinde. Aline Marins berichtet, dass seither „viele Bewohner erkrankten“, unter anderem an Krebs, aber auch an Atemwegserkrankungen und anderen Gesundheitsproblemen leiden. Die Luftqualität werde weder von dem Unternehmen noch durch den brasilianischen Staat gemessen.
Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Coletivo Martha Trindade, der Aline Martins angehört, spricht gar von einem Fall von Umweltrassismus. Denn die wohlhabenderen Gebiete der Stadt, wo vor allem Weiße wohnen, seien nicht davon betroffen. Die Aktivistin erzählt zudem von Wasserverschmutzung sowie von Überschwemmungen aufgrund von Flussumleitungen, aber auch täglichem Industrielärm. Und sie beschreibt den Silberstaub, den sie „silbernen Regen“ nennt, der mittlerweile zum Alltag gehört.
Es gibt kaum Daten, weil für die nötigen Studien das Geld fehlt
Das Coletivo Martha Trindade kämpft einen schwierigen Kampf um die Rechenschaftspflicht des Unternehmens und um angemessene Maßnahmen zur Behebung der Schäden, mit denen die Bewohner von Santa Cruz täglich leben, weiß Ana Luisa Queiroz vom Instituto Políticas Alternativas Para o Cone Sul (PACS) in Rio de Janeiro. „Es gibt kaum Daten, weil für die nötigen Studien das Geld fehlt“, sagt sie.
Sie beklagt zudem die mangelnde Transparenz. Das integrierte Stahlwerk am Rande der Millionenmetropole stößt mehr als 50 Prozent der gesamten Treibhausgase der Stadt aus. Der Bau des Werks und die Verschmutzung durch den Betrieb haben traditionelle Tätigkeiten wie Landwirtschaft und Fischerei bedroht. Doch die bisher eingereichten gerichtlichen Beschwerden haben bisher nichts bewirkt, obwohl es Beweise für erhebliche Schäden gibt. Die Aktivisten aus Brasilien und Mexiko oder aus Liberia und Südafrika, aber auch ihre Partner etwa in Bosnien und dem Westen Europas verbindet vor allem eines: der Kampf um die gemeinsame universelle Sache – die Menschen- und Umweltrechte, die von Staaten wie auch Unternehmen und Individuen respektiert werden müssen.
Warum erinnert mich Ternium und die Gruppe immer an Geldwäsche? Bitte um Nachhilfe, H. Kunzmann!