Experte gibt RatschlägeWie erkläre ich meinem Kind den Krieg? 

Experte gibt Ratschläge / Wie erkläre ich meinem Kind den Krieg? 
„Wieder müssen sich Kinder fragen, wissen die Erwachsenen eigentlich, was sie da tun?“: Pädagoge Menno Baumann plädiert dafür, Kindern vor allem in diesen Zeiten mehr Verschnaufpausen zu gönnen Foto: Armand Back

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Wie erklärt man den Kindern den Krieg? Der Intensivpädagoge Menno Baumann, Professor an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf, rät Eltern, ehrlich zu sein. Schon Fünfjährige würden mitbekommen, was derzeit in der Ukraine geschehe.

Tageblatt: Herr Professor Baumann, wie erklärt man Kindern den Krieg in der Ukraine?

Menno Baumann: Sie treffen den entscheidenden Punkt: Wie erklärt man Kindern, was man selber nicht in Worte gefasst bekommt? Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Eltern authentisch mit ihren eigenen Gefühlen umgehen. Dabei nicht dramatisierend oder dämonisierend, sondern klar sagend, das ist eine unsichere Situation, ich fühle mich auch nicht gut damit, ein bisschen Angst habe ich selber. Kinder spüren solche Dinge bei ihren Eltern. In solchen Situationen ist Ehrlichkeit wichtig. Ich verwende immer das Bild von den Pfützen: Kinder hüpfen teilweise in die Angst hinein, aber genauso wieder hinaus.

Ist das nicht zu viel verlangt, eigene Ängste mit den Kindern zu teilen?

Wer selbst merkt, dass er nicht die Kraft hat, ruhig zu bleiben, weil er sehr starke eigene Ängste hat, sollte Bekannte, Verwandte, Partner hinzuziehen oder bitten, mit den Kindern zu sprechen. Ich meine auch nicht, den Kindern Angst zu machen, indem man sagt, ich habe auch Angst. Aber zu sagen, ich weiß auch nicht genau, ich hoffe nicht, ich glaube nicht, ist eine ehrliche Herangehensweise.

Kinder haben eine direkte Art. Sie fragen in diesem Krieg nach dem, was sie aufschnappen. Wie sollte man damit umgehen?

Kinder bekommen inzwischen sehr früh und sehr ungefiltert Information. Ein wichtiger Hinweis an Eltern ist daher: Sorgen Sie dafür, dass Kinder zumindest auch gute Informationen erhalten. Es gibt Kindernachrichten, die Sendung mit der Maus hat Links veröffentlicht, auch auf YouTube gibt es spezielle und gute Formate. Damit kommen Kinder auf einen Sachstand, auf den sie sich verlassen können.

Was ist mit Medienabstinenz?

Bei so einem Thema bekommt man ein Kind nicht isoliert. Es gilt aber, zu filtern. Auch würde ich die Kinder dazu einladen, wenn sie etwas Verstörendes gesehen haben, es zu zeigen. Handykontrolle macht keinen Sinn, Verbote bringen in der heutigen Welt auch nichts mehr, dann erzählen es eben Freunde.

Ab welchem Alter sollte man mit seinem Kind über den Krieg sprechen?

Zunächst würde ich das davon abhängig machen, ob man als Vater oder Mutter das Gefühl hat, dass das Kind etwas mitbekommt. Ab fünf, sechs Jahren kann man sich dessen sicher sein. Dann muss man fragen: Was bekommst Du mit aus der Ukraine? Hast Du Fragen? Wenn man beispielsweise bei einer Dreijährigen glaubt, da ist was, die hat eine Idee davon, was gerade passiert, dann sollte man das auch thematisieren. Sie aktiv darauf zu stoßen, würde ich bei der jetzigen Lage nicht unbedingt tun.

Wichtig ist, dass nicht gegen Russland oder gar Russen gehetzt wird und man den Kindern sagt, wenn ihr russische Mitschüler in eurer Klasse habt, die haben damit nichts zu tun

Viele nehmen ihre Kinder mit zu Friedensdemos. Ist das ein mögliches Ventil für Ängste?

Wenn wie am Wochenende das Motto einfach lautet „Stoppt den Krieg“, das kann ein Kind verstehen, dann kam man das auch machen. Soll heißen: Ein Kind muss das Motto der Demo nachvollziehen können und darf nicht instrumentalisiert werden für Slogans, mit denen es nichts anfangen kann. Wichtig ist, dass nicht gegen Russland oder gar Russen gehetzt wird und man den Kindern sagt, wenn ihr russische Mitschüler in eurer Klasse habt, die haben damit nichts zu tun.

Gibt es Rituale, um Ängste abzubauen?

Ja. Kerzen in die Fenster zu stellen, kann für Kinder eine sehr beruhigende Wirkung haben. Oder dass man ihnen Geschichten erzählt von Menschen, die Krieg und Flucht erlebt haben. Nicht, um ihnen Angst zu machen. Sondern um ihnen zu sagen, es gibt Menschen, die haben das erlebt und überstanden. Oder wenn man religiös ist, kann man Friedensgebete und Lichterketten nutzen. Das ist für Kinder sehr hilfreich.

Erst Corona, jetzt der Krieg, was macht das alles mit den Kindern?

Ein nicht geringer Teil von Kindern ist bereits emotional verunsichert durch Corona. Jetzt kommt eine zweite Bedrohung hinzu, die genauso unberechenbar ist, aber vielleicht noch etwas konkreter. Alles, was Kinder stabilisiert, nutzt. Damit meine ich, ihnen Leistungsdruck zu nehmen, Dinge zu tun, die schön sind und Spaß machen, ihnen aber auch Gesprächsangebote zu unterbreiten. Die Verunsicherung wird sich auf alle Fälle verstärken. Und zwar auch bezüglicher der Kompetenz der Erwachsenen. Wieder müssen sich Kinder fragen, wissen die Erwachsenen eigentlich, was sie da tun?