Montag3. November 2025

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Fake NewsWie die Schriftstellerin Elfriede Jelinek kurzerhand für tot erklärt wurde

Fake News / Wie die Schriftstellerin Elfriede Jelinek kurzerhand für tot erklärt wurde
Die österreichische Autorin und Dramatikerin Elfriede Jelinek, 2004 in ihrem Haus in Wien Foto: picture alliance / Roland Schlager

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Als am Dienstagnachmittag mehrere Medien den vermeintlichen Tod von Elfriede Jelinek vermeldeten, klapperten bereits die Tastaturen für die Nachrufe. – Halt! Es handelte sich um eine Fake News.

Die vermeintliche Nachricht auf X war falsch, der Hoax war anscheinend auf den italienischen Schriftsteller Tommaso Debenedetti zurückzuführen, der für gefälschte Nachrichten bekannt ist und bereits den inzwischen tatsächlich verstorbenen Papst Franziskus bereits für tot erklärt hatte. Jelineks Verlag entwarnte: Die Autorin sei am Leben, man sei mit ihr im Austausch. Jelinek meldete sich selbst zu Wort und sagte gegenüber AFP: „Es ist das zweite Mal, dass ich tot bin. Ist schon letztes Jahr passiert. Ich lebe doch.“

Ob der Meldung über ihr Ableben knallten womöglich bei einigen politischen Rechtsaußen in Österreich die Sektkorken. Schließlich ist DIE Jelinek seit Jahrzehnten ein „enfant terrible“ der deutschsprachigen Literatur und verhasst bei ihren Gegnern. Mit ihren Werken reizt sie Kleinbürger, Konservative und Rechtsradikale, aber auch Kritiker. Selbst kritisiert sie konsequent die kapitalistische wie auch patriarchalische Gesellschaft. Neben dem 1989 verstorbenen Grantler Thomas Bernhard gilt die 1946 in der Steiermark in einem bürgerlichen Elternhaus geborene und in Wien aufgewachsene Nobelpreisträgerin als große Nestbeschmutzerin Österreichs. Von sich selbst behauptet sie, die „meistgehasste Schriftstellerin“ zu sein.

Zu Hause ist Jelinek in vielen Kunstgattungen. Musikalisch an Klavier und Blockflöte sowie mit dem Abschluss als staatlich geprüfte Organistin ausgebildet, brach Jelinek, die außerdem Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften und Sprachen an der Wiener Universität belegte, ihre Studien ab und entschied sich für die Literatur. Der Musik blieb sie in ihrem schriftstellerischen Werk schon wegen der ausgeprägten Musikalität ihrer Texte treu. Häufig Collagen und Elemente aus Comics und Subkultur verwendend, folgten ihre Handlungsmuster nicht selten dem Trivialroman wie auch dem Horrorfilm. Die Verlogenheit der Massenmedien entlarvend, wo wir wieder bei den Fake News von heute wären, zeigt sie die Klassenunterschiede der Gesellschaft auf, wobei jede Klasse deformiert und korrupt ist.

Den Finger in die Wunde

Ihr Roman „Die Liebhaberinnen“ (1975) ist eine Anti-Love-Story, in der die Liebe als Waffe im Kampf um eine soziale Besserstellung eingesetzt wird. Der Roman „Die Klavierspielerin“ (1983), der erste, den der Rezensent von ihr gelesen hat, thematisiert u.a. die Macht und Demütigung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft. Besonders provokativ ist „Lust“ (1989), in dem ein Fabrikdirektor seine Frau brutal erniedrigt und seine Potenz an ihr auslebt. Frauen werden von den Männern auf ihre Funktion reduziert, gedemütigt und unterdrückt. Die Männer sind oft Alkoholiker und Vergewaltiger. Jelinek greift zudem immer wieder aktuelle politische Probleme und reale Ereignisse auf. Im Theaterstück „Stecken, Stab und Stangl“, 1996 uraufgeführt, fallen vier Roma im Burgenland einem Sprengstoffanschlag von Rechtsextremisten zum Opfer, als sie ein Schild entfernen wollen, auf dem „Roma zurück nach Indien“ steht.

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek
Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek Foto: Roland Schlager/epa/apa/dpa

In „Ein Sportstück“, 1998 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, entlarvt sie das Massenphänomen Sport als moderne Form des Krieges und als „Metapher für Dinge, unter denen sich Gewalt hereinschleicht“. In dem Stück „In den Alpen“ (2002) beschreibt sie die Brandkatastrophe in der Gletscherbahn von Kaprun zwei Jahre zuvor – aus der Sicht der Verunglückten. In dem von Christoph Schlingensief 2003 inszenierten „Bambiland“ geht es zur Zeit der US-amerikanischen Irak-Invasion um den Krieg aus der Perspektive eines Embedded Writers, mithilfe einer bereits von Aischylos verwendeten Technik. „Ulrike Maria Stuart“ hingegen dreht sich um die RAF-Terroristinnen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, deren Lebensläufe auf jene von Maria Stuart und Elisabeth I. gespiegelt werden.

In „Rechnitz (Der Würgeengel“), 2008 an den Münchner Kammerspielen erstmals gezeigt, greift Jelinek einmal mehr ein dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte auf: Im März 1945 feiert die Thyssen-Erbin Gräfin Margit von Batthyány in dem titelgebenden Schloss an der österreichisch-ungarischen Grenze ein Fest mit SS-Offizieren und Gestapo-Führern: Aus einer Laune heraus greift die Partygesellschaft zu den Gewehren und ermordet etwa 200 jüdische Zwangsarbeiter. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschwinden Zeugen des Massakers, das ungesühnt bleibt. 

Wie so oft hat Elfriede Jelinek den Finger in die Wunde der österreichischen Gesellschaft gelegt, die eine nationale Externalisierung der Mittäterschaft betrieb, diese verdrängte und sich stattdessen hinter einem Opfermythos versteckte, sich sogar als „erstes Opfer der Nazis“ identifizierte. Wie Bernhard ist die u.a. 1998 mit dem Georg-Büchner-Preis und 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Autorin als kritische, wenn auch für manche unangenehme Mahnerin unverzichtbar. Jedes Land braucht zwei, drei, viele Jelineks, heute mehr denn je.