ItalienWie die Mafia-Clans am Krieg in der Ukraine verdienen

Italien / Wie die Mafia-Clans am Krieg in der Ukraine verdienen
Demonstrantin mit „Kein Krieg“-Maske in Rom: Die Clans von Camorra, Cosa Nostra oder Ndrangheta sehen die Sache anders – und machen Geschäfte  Foto: AFP/Filippe Monteforte

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Wo immer es in der Welt zu Spannungen mit militärischen Auseinandersetzungen kommt, Italiens Mafia-Clans sind vor Ort. Ob in Nahost, in Nord- und Mittelafrika oder wie aktuell in der Ukraine: Die Clans von Camorra, Cosa Nostra oder Ndrangheta wittern Geschäfte und knüpfen Kontakte.

Italiens nationaler Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho zeigt sich alarmiert: „Wir haben beobachtet, dass in Fällen gesellschaftlicher Umbrüche oder Unruhen das organisierte Verbrechen stets vor Ort ist und die komplizierten Situationen für seine Geschäfte ausnutzt.“ Cafiero de Raho erinnerte an den Zusammenbruch des kommunistischen Systems nach dem Fall der Berliner Mauer vor dreißig Jahren. „Das Mantra der Mafien hieß damals, kaufen, kaufen, kaufen.“

Ähnliches beobachten Ermittler von Carabinieri, Finanzpolizei und Polizei auch heute. In wenigen Wochen wurden Geldtransaktionen zwischen Italien und Russland in Höhe von 13 Milliarden Euro entdeckt, so die Staatsanwaltschaft. Etliche dieser Transaktionen konnten mit Aufträgen russischer Oligarchen in Verbindung gebracht werden, die damit offensichtlich westeuropäische Sanktionen und Kontensperrungen umgehen wollten. Die Ermittler gehen wie meist in solchen Fällen davon aus, dass nur ein Teil der wirklichen Geldgeschäfte aufgedeckt und erhebliche Summen an jeglicher Kontrolle vorbei transferiert wurden.

Waffen- und Drogenhandel

Ein lukratives Geschäft ist der illegale Handel mit Kriegswaffen. Auf diesem Gebiet ist vor allem die kalabrische Ndrangheta involviert. Dies bestätigt auch der Antimafia-Staatsanwalt in Reggio Calabria, Nicola Gratteri. „Unseren Ermittlungen zufolge gewinnen solche Waffendeals vor allem dann an Umfang und Qualität, wenn die ‚Ware‘ mit Drogen, so zum Beispiel mit Kokain, bezahlt wird. Dann können noch extra Konditionen ausgehandelt werden, die zu weiteren Gewinnen führen.“

Gratteri verwies in einem Gespräch mit der römischen Tageszeitung La Repubblica darauf, dass die Clans in solchen Krisenzeiten auch gern die eigenen Waffenarsenale auffrischen. „Eine ähnliche Entwicklung konnten wir im Bosnien-Krieg der neunziger Jahre beobachten. Bei Razzien finden die Spezialeinheiten noch heute Waffen, die aus jenem Konflikt stammen.“

Menschenhandel und Prostitution

Ein weiteres Gebiet der Mafia-Aktivitäten betrifft den Menschenhandel und die illegale Prostitution. Mit Beginn des Ukraine-Krieges haben sich Tausende Frauen und Kinder auf die Flucht ins Ausland begeben. Hier setzen die Aktivitäten der Clans ein: Als private Hilfsorganisationen getarnt, nehmen sie nicht nur Teile der Unterstützungsgelder ein – in Italien wurden bislang 428 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Spekulativ rechnen die Clans hier auch mit weiteren Einnahmen aus den angekündigten Hilfsfonds der EU in Höhe von 3,5 Milliarden Euro, die auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden.

Bereits jetzt sind die Spuren Hunderter ukrainischer Frauen und ihrer Kinder verloren

Federico Fossa von der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen UNHCR

Zudem „sorgen“ sich die Vertreter des organisierten Verbrechens auch direkt um die Flüchtlinge. Vor allem Frauen werden angesprochen, auf dem illegalen Arbeitsmarkt vermittelt oder in die Prostitution getrieben. Ein großes Geschäftsfeld scheint auch der Markt illegaler Adoptionen solcher Kinder zu sein, die im großen Flüchtlingsstrom untergehen und verschwinden. Darüber berichtete Federico Fossa von der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen UNHCR. Nach Fossa sind bereits jetzt „die Spuren Hunderter ukrainischer Frauen und ihrer Kinder verloren“. Während die vor allem jungen Frauen zur illegalen Prostitution angehalten werden, verschwinden ihre von ihnen getrennten Kinder auf einem internationalen Adoptionsmarkt. Das Hohe Flüchtlingskommissariat appelliert an alle europäischen Staaten, ein sofortiges Adoptionsmoratorium einzuleiten.

Italiens Justizministerin Marta Cartabia erklärte, die Regierung sei sich bewusst, dass die organisierte Kriminalität versuchen wird, den Ukrainekonflikt im internationalen Kontext zu nutzen. Dagegen müsse man eine Präventivstrategie erarbeiten, meint auch Staatsanwalt Cafiero de Roha. „Weil die Mafien immer nach vorne blicken: Während wir an das denken, was heute passiert, arbeiten sie bereits an dem, was morgen passieren wird.“

Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, desto stärker werden sich die Clans in die Geschäfte einbinden, so befürchten die italienischen Ermittler.