Wie die Dienstleistungswirtschaft die Städte in Luxemburg verändert hat

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Das 21. Jahrhundert wird auch als Jahrhundert der Städte bezeichnet. Dies ist eine Entwicklung, die noch vor 30 bis 40 Jahren so kaum vorhersehbar war, als man Städte wie New York oder London, aber auch viele altindustrielle Zentren als beispielhaft für den Niedergang des urbanen Raums angesehen hat. Dazu hat insbesondere der Strukturwandel weg von der Industrie und hin zur Dienstleistungswirtschaft beigetragen.

Interessanterweise waren es ökonomische Prozesse wie die Globalisierung und der Welthandel, der technische Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation sowie der nahezu ubiquitäre Ausbau der Infrastrukturen (Flughäfen, Autobahnen, Satelliten, Nachrichtenverbindungen), die nicht zur Auflösung des Städtischen, sondern zu einer Neubewertung und Stärkung des Urbanen geführt haben.

Von Markus Hesse, Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg, Institut für Geografie & Raumplanung

Die Forschertagung

Vom 4. bis 9. August findet an der Uni Luxemburg das Jahrestreffen der IGU Urban Geography Commission statt. Diese Forschertagung wird zum ersten Mal in Luxemburg organisiert wird. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in den nächsten Tagen mehrere Beiträge von Forschern des Instituts für Geografie und Raumplanung der Uni Luxemburg.

Zwei Schlüsseltechnologien haben die globale Ökonomie in ihrer heutigen Form möglich gemacht: das Internet und das globale Finanzsystem, das sowohl die Gesamtwirtschaft koordiniert als auch mit dem Finanzmarkt einen eigenen Zweig der weltweit vernetzten Ökonomie bildet. In der neuen Geografie der Globalisierung sind es nicht mehr nur die Metropolen an sich, die wirtschaftliche Stärke und kulturelle Bedeutung konzentrieren, sondern zunehmend auch kleinere Standorte, die sich erstaunlich schnell auf der globalen Landkarte positionieren konnten. Luxemburg ist ebenso idealtypisch hierfür wie viele andere schnell wachsende Kleinstaaten.(1)

Dies hat in besonderem Maße mit der Rolle des Landes als europäisches und zunehmend globales Finanzzentrum zu tun, ebenso mit der Entscheidung der EU, Luxemburg neben Brüssel und Straßburg zu ihrem dritten Sitz zu machen. Der Finanzmarkt hat dem Land schnelles Wachstum und außerordentlich großen wirtschaftlichen Erfolg beschert. Mittlerweile ist das Großherzogtum weltweit Nummer zwei der Investmentfonds nach den USA, ein gefragter Standort für Banken und weitere Finanzdienstleistungen oder Versicherungen. Allein der Finanzmarkt beschäftigt im Land ca. 40.000 Personen. Bedeutender noch als sein Anteil von fast zehn Prozent an der Gesamtbeschäftigung des Landes ist sein Beitrag zu Sozialprodukt und Steuereinnahmen. Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen und -zentralen sowie Forschungseinrichtungen sind weitere wichtige Elemente der Dienstleistungsökonomie.

Räumlicher Fußabdruck

Mit Blick auf die Umwelt hinterlässt die jüngere Spezialisierung des Landes und seiner Hauptstadt auf die Anziehung hochwertiger Dienstleistungsarbeitsplätze einen deutlich anderen räumlichen Fußabdruck, als dies die Schornsteinindustrien der Vergangenheit getan haben. Nicht mehr großflächige Werkshallen auf roter Erde und die Massenströme der Industrie prägen das Bild, sondern Bürogebäude, Gewerbegebiete, Einkaufszentren und Tankstellen sowie Autobahnverteiler. Hatte man ausgangs der 1980er Jahre noch Hoffnungen auf sogenannte ökologische „Gratiseffekte“ durch den strukturellen Wandel (durch Ablösung des produzierenden Gewerbes), wurden solche Erwartungen relativ bald enttäuscht. Denn manche Belastungen wurden durch die Abwanderung der Industrien in Schwellenländer nur räumlich verlagert; hinzu kommt, dass die Dienstleistungswirtschaft selbst in erheblichem Umfang Flächen benötigt und aufgrund ihrer spezialisierten Arbeitsplätze ein großer Verkehrserzeuger ist (Pendler!). Digitale Dienste, wie etwa die auch in Luxemburg zunehmend populären Datenzentren, benötigen zudem große Mengen an Energie, sind also in dieser Hinsicht ökologisch keineswegs neutral.

Der Strukturwandel hin zu Dienstleistungen hat auch das bauliche Erscheinungsbild von Luxemburg erheblich verändert. Waren Abriss und Neubau von gründerzeitlichen Gebäuden am hauptstädtischen Boulevard Royal noch von kritischen Kommentaren begleitet, ist die städtebauliche Veränderung in den meisten Gemeinden eher schleichend verlaufen, aber nicht weniger prägend. Neben der peripheren Ansiedlung von verdichteten Bürokomplexen in Gewerbezonen wie Münsbach, Leudelingen (Am Bann) oder Bartringen (Bourmicht) sowie der eher schleichenden Umwandlung von Wohnraum in Büros in hauptstädtischen Quartieren wie Limpertsberg oder Belair waren große städtebauliche Vorhaben ein zentraler Hebel dafür, dass dem Finanzplatz, der Europäischen Union und Anwaltskanzleien oder Technologiefirmen der benötigte Raum geboten werden konnte. Dies gilt nicht nur, aber vor allem für das Plateau Kirchberg, das seit Beginn der 1960er Jahre aufgesiedelt wurde.

Auf Anforderungen reagiert

Der Kirchberg hat eine wegweisende Rolle für die planerische Entwicklung Luxemburgs gespielt. Er zeigte, dass das Land durch die Planung von Großprojekten zügig, aber bestimmt auf die Anforderungen der Institutionen und Unternehmen reagieren konnte. Solche durchgeplanten, sehr umfassenden und einseitig wirtschaftlich ausgerichteten Standorte sind allerdings auch mit strukturellen Problemen und Herausforderungen verbunden. Zum einen sind sie nur lebensfähig, wenn sie stetig mit Arbeitskräften versorgt werden – das kleine Land hat sich wirtschaftlich so erfolgreich entwickelt, dass es auch auf diesem Gebiet längst nicht mehr Selbstversorger sein kann. Es bedarf der permanenten Zufuhr von qualifiziertem Personal von außen; das damit verbundene Verkehrsproblem ist indes erheblich, sowohl mit Blick auf die reine Transportfunktion wie auch im Licht der geringen Stadtverträglichkeit des (Auto-)Verkehrs.

Zum anderen geht die einseitige Orientierung am Büroraum, oft in Form von großen Vorhaben realisiert, auf Kosten eines Städtebaus im kleinteiligen, „humanen“ Maßstab und ihrer Integration in bestehende Stadtstrukturen. Es fehlen die Mischung unterschiedlicher Funktionen und die nicht erwerbstätige Wohnbevölkerung (die z.B. abends den öffentlichen Raum belebt), es fehlen Handel und kleinteiliges Gewerbe, das die Stadt ebenso braucht wie Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Mittlerweile wird mehr als 30 Jahre an der Urbanisierung des Kirchberg gearbeitet: durch Umbau der Avenue Kennedy von einer Stadtautobahn in einen mehr oder minder urbanen Boulevard, Erweiterung der Infrastrukturen des Kirchberg sowie Erhöhung des Wohnanteils auf dem Plateau. Allein diese Tatsache zeigt die strukturellen Probleme, die in der einseitigen Dienstleistungsorientierung der Stadtentwicklung angelegt sind.

Hoher Anspruch an Belval

Aktuelle bzw. zukünftige Projekte wie Belval, Cloche d’Or oder Esch-Schifflange, die gewissermaßen in der Nachfolge des Plateau Kirchberg stehen, müssen den Beweis noch erbringen, dass sie Luxemburg einem nachhaltigen Stadtmodell näherbringen. Man hört ja gelegentlich, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt würde. Während das Projekt Cloche d’Or nach Meinung vieler Beobachter ein weiteres Beispiel funktionalistischen, renditeorientierten Städtebaus darstellt, sind die Meinungen mit Blick auf Belval gespalten. Das Projekt hatte den Anspruch, vieles besser zu machen als der Kirchberg. Relativ rasch realisiert, ist es jedoch noch weit weg vom Ideal des lebendigen Stadt- und Universitätsquartiers – eine Kritik, die in jüngster Zeit auch von offizieller Seite geteilt wird.

Unter Druck des anhaltenden wirtschaftlichen Erfolgs sind die Gemeinden des Großherzogtums erheblich herausgefordert, die Standortbedingungen der Unternehmen und internationalen Organisationen weiter zu verbessern, ohne dass dies zulasten der Lebensqualität bzw. der Umwelt oder auf Kosten der Wohnbevölkerung geht. Dies ist eine Quadratur des Kreises, die unter der Bedingung weiteren Wachstums von Wirtschaft und Bevölkerung kaum machbar erscheint. Bei der Beurteilung solcher Fragen hilft jedenfalls die Rede vom Jahrhundert der Städte wenig. Städte sind weder per se gut noch schlecht; viele Städte leiden unter Niedergang oder Stagnation, andere sind durch die Folgen wirtschaftlichen Erfolgs und Wachstums gefordert. Für die Lösung der damit verbundenen Probleme gibt es keine allgemeinen Rezepte, trotz anhaltender Konjunktur sogenannter guter Beispiele („best practice“). Stadt und Raum planen heißt in erster Linie konkurrierende Flächennutzungen zu regulieren und dabei die Vor- und Nachteile einzelner Pläne jeweils sorgfältig abzuwägen. Es bedeutet nicht, dass es für jedes Problem eine allein seligmachende Lösung gibt.

Strategische Weitsicht

Die in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl kleineren Gemeinden Luxemburgs brauchen mehr strategische Weitsicht, Planungskapazität und auch größeren Mut zu Eigensinn, um aktuelle und künftige Konflikte zu lösen. Statt primär die anhaltende Nachfrage des Marktes nach Flächen und (großen) Projekten zu befriedigen, würde es sich lohnen, kleinteiliger und flexibler zu planen, auch Gruppen jenseits des Immobilienmarkts anzusprechen und vor allem das Ungleichgewicht zwischen Arbeitsmarkt einerseits und Wohnen bzw. öffentlichem Raum andererseits besser auszubalancieren. Bei dieser Aufgabe müssten Staat und Gemeinden besser als bisher kooperieren, unterstützt und gefordert von einer starken Zivilgesellschaft.

(1) Mehr Informationen zu diesem Prozess der „Metropolisierung“ findet sich in einem Beitrag, der im letzten Heft der Zeitschrift forum (Heft 379) erschienen ist.

Müller jang
7. August 2019 - 16.06

Es gibt noch eine Menge Platz für viele Krähne!