Wenn Ausrutscher System haben

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Sie flirtet immer stärker am rechten Rande, doch gerade die Parteispitze will nicht so recht ins Bild passen: ADR-Präsident Jean Schoos (57) versucht, rechte Ausreißer in seiner Partei als Risiko einer "lebendigen Demokratie“ kleinzureden.

Jean Schoos ist in der falschen Partei. Und jeder weiß es. Neben Gast Gibéryen ist der Parteipräsident so ziemlich der einzige ADR-Politiker, der zumindest nicht auf Anhieb die nationalistischen Reflexe seiner Wähler pausenlos bedient. Ein waschechter Konservativer halt, der sich nicht mit der Multikulti-CSV abfinden kann. Doch es wäre verlorene Liebesmühe, den ADR-Politiker dazu zu ermutigen, zu seinen christlich-konservativen Wurzeln zurückzukehren – denn er war einst lange von einem dicken Schwall CSV-Weihrauch umhüllt. Der studierte Veterinär weiß um die vielen üblen Ausrutscher seiner Partei, die sich momentan darin übertrifft, entweder die skurrilsten Kandidaten auf Gemeindelisten hervorzubringen oder aber Abgeordnete von der Leine zu lassen, die in der digitalen Sphäre die Stimmung weit rechts aufheizen. Doch Schoos würde das nie zugeben. Während des ganzen Hintergrundgesprächs verliert er kein schlechtes Wort über seine Parteikollegen aus der Chamber.

Welche Kritik?

Dass jedoch verschiedene Kandidaten bei den Kommunalwahlen nicht weniger als ein Griff ins Klo sind, kann auch Schoos nicht schönreden. Er formuliert es diplomatisch: „Wir versuchen, unseren Sektionen die größtmögliche Gestaltungsfreiheit zu geben. Das hat natürlich auch Konsequenzen, wie wir sie dieses Jahr erlebt haben.“ Entscheide eine Sektion selber, müsse man gelegentlich böse Überraschungen in Kauf nehmen. „Wenn eine Sektion selber entscheiden darf, wie sie vorgeht, dann kann ab und zu ein Individuum auftauchen, das wir als Gesamtpartei nicht gewollt hätten.“

Harte Kritik klingt anders. Zur Erinnerung: Eine ADR-Kandidatin musste nach fremdenfeindlichen und hetzerischen Aussagen gegen Muslime ihre Kandidatur zurückziehen. Wäre besagte Dame in irgendeiner der vielen kleinen Gemeinden Kandidatin gewesen, würde es ihre Aussagen immer noch nicht rechtfertigen. Jedoch so zu tun, als wüsste man nicht, wen man auf die wichtigste Liste im Land – Luxemburg-Stadt – setzt, ist absurd. Doch genau dies tat Roy Reding, der im Nachhinein behauptete, man sei nicht „inquisitorisch“ und durchwühle nicht alles, was neue Kandidaten in ihrem Leben bisher geschrieben hätten. Dabei ist es doch die ADR, die oft darauf pocht, dass „een d’Leit net fir domm verkafe soll“ …

Schönreden von Problemen

Und so muss Parteipräsident Schoos solche strukturellen Probleme, die von führenden ADR-Politikern toleriert werden, schönreden. „Ich denke, dass es für eine lebendige Demokratie in den Proporzgemeinden wichtig ist, den jeweiligen Sektionen Spielraum zu lassen. Ich finde es ganz traurig, wenn ich von verschiedenen großen Parteien nationale Kampagnen sehe, die einfach im ganzen Land den gleichen Spruch haben. Das kann nicht sein.“ Zu was dieser Spielraum im Extremfall führt, zeigt der Patzer in Luxemburg-Stadt. Doch Schoos ist zumindest so ehrlich, eine allgemeine Selbstkritik zu formulieren: „Wenn man im Vorfeld der Gemeindewahlen eine kurze Bilanz ziehen will, gibt es wie bei jeder Kampagne Verbesserungsmöglichkeiten.“ Welche? Er lacht. Es ist ihm sichtlich unangenehm.

Er lässt sich aber nicht stören und redet weiter: „Es ist ganz klar, dass man immer nur so gut sein kann wie das Umfeld, das sich einem bietet. Das Umfeld hat nicht nur mit der eigenen Partei zu tun, sondern auch damit, welches Umfeld der politische Gegner einem bietet.“ Darauf muss man kommen. Keine der anderen Parteien des Luxemburger Politspektrums spielt – mit Ausnahme eines CSV-Politikers – so weit am rechten Rande. Insofern zieht der Entschuldigungsversuch, man dränge die ADR in die rechte Ecke, überhaupt nicht. „Man muss das immer in einen zeitlichen Kontext setzen, in dem etwas umgesetzt wird, damit man Schlussfolgerungen aus der letzten für die nächste Kampagne schließen kann.“

Innerparteiliche Deutungshoheit

Dass der zeitliche Kontext wichtig ist, steht außer Zweifel. Denn Schoos und Gibéryen scheinen im Vergleich zu ADR-Politikern wie Fernand Kartheiser und Roy Reding die Deutungshoheit über den innerparteilichen Diskurs zu verlieren. Der eine benutzte Joe Thein bis zum Parteiausschluss wie eine Marionette und machte sich die Finger nicht schmutzig, der andere ist sich für keinen Verbalausrutscher zu schade. Sie sind zum Gesicht und der Stimme der Partei geworden, Schoos und Gibéryen wirken wie Statisten. Dabei täten mehr Schoos und Gibéryen der immer rechter miefenden ADR gut. Der Parteipräsident analysiert unaufgeregt: „Eine Gemeinde wie Wintger hat sicher andere Probleme wie Düdelingen, und eine Gemeinde wie Echternach sicher andere Probleme wie Redingen. Es ist ganz klar, dass der Individualismus da sein muss.“ Man sollte sich jedoch davor hüten, Schoos als Unschuldslamm darzustellen. Denn seine Vision einer nach innen liberal geführten Personalpolitik nimmt die braunen Ausrutscher bewusst in Kauf: „Dies aber auf die Gefahr hin, dass der Individualismus mal zu Ausreißern in die eine oder andere Richtung führen kann.“ In welche Richtung es bei der ADR zuletzt ging, weiß man.

Unterhält man sich mit Schoos über seine eigene Lebensgestaltung und die Vereinbarung zwischen Politik und Beruf, hat man den Eindruck, mit einem anderen Menschen zu reden. „Das doppelte Mandat zwischen Politik und Privatleben bzw. einem Beruf nachgehen, ist sicherlich eine ganz starke Belastung. Deswegen sprechen wir uns als ADR und ich mich persönlich dafür aus, dass es nicht möglich sein kann, sowohl Schöffe als auch Abgeordneter zu sein oder im Staatsrat vertreten zu sein. Ich glaube, dass, wenn man seinen Job ehrbar machen will, es nicht möglich ist, zwei Herren gleichzeitig zu dienen.“ Dass Schoos weiß, wovon er redet, wenn er doppelte Belastungen kritisiert, glaubt man dem praktizierenden Tierarzt. Das politische Tier Schoos lässt zudem nicht locker, wenn es darum geht, die amtierende Regierung zu kritisieren.

Fragt man den ADR-Politiker, ob Abgeordnete Erfahrung als Lokalpolitiker gesammelt haben müssen, klingt die Antwort zunächst harmlos. „Ich glaube, dass man ‚Gemengepolitik‘ als Politikschule für Politiker betrachten müsste, die von dort aus in die Nationalpolitik einsteigen. Dies, um nicht nur das politische Know-how zu lernen, sondern den Kontakt zur Basis zu behalten.“ Er kann es sich jedoch nicht verkneifen, Premier Xavier Bettel zu kritisieren. „Ab und zu hat man den Eindruck, dass unsere jetzigen Politiker den Kontakt mit der Basis gelegentlich ein wenig verloren haben. Wobei … im Fall von Premier Xavier Bettel, der vorher Lokalpolitiker und Bürgermeister war, hat man trotzdem den Eindruck, dass das eine nicht vor dem anderen schützen kann.“ Das gilt auch für den ADR-Präsidenten und die tiefbraunen Ausrutscher der Partei.