Warum Wanderritte so faszinierend sind – und Isländer solche Allrounder

Warum Wanderritte so faszinierend sind – und Isländer solche Allrounder

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Wenn Claudine Klein (49) die Faszination des Wanderreitens auf den Punkt bringen soll, sagt sie: „Der Weg ist das Ziel“.Ein Gespräch mit der Sekretärin der „Luxembourg à cheval asbl“, Organisator der „Tour de Luxembourg“, die noch bis Ende der Woche quer durchs Land reitet (unser Artikel dazu).

Von Wiebke Trapp

Tageblatt: Die 52. Tour läuft: Ihr habt immer ganz schön Publicity. Liegt das am Sommerloch?
Claudine Klein: Vielleicht … (lacht). Die Organisation der Tour ist ein Riesenaufwand. Da wird ein Lkw zur Küche auf Rädern umgebaut fürs Catering und das Bodenpersonal nimmt sich frei, um bei der Tour zu helfen. Deshalb ist es gut, wenn wir jeden Tour-Tag 20 Reiter haben. Unter den Stammteilnehmern sind übrigens mittlerweile die Kinder der ersten Tour-Teilnehmer.

Der Verband gibt sich recht locker. Jeder, der einmal mitgeritten ist, ist automatisch Mitglied bei euch. Wie viele sind es augenblicklich?
Rund 200. Dieses Jahr sind 29 Reiter am Start in Hassel dabei gewesen, aber die wenigsten reiten die ganzen sechs Tage mit. Das schwankt von Tag zu Tag. Bei 20-30 Kilometern zu überwindender Distanz täglich ist das eine Frage der Kondition von Mensch und Tier.

Wanderreiten läuft ja unter Freizeitvergnügen. Nehmen auch Dressur- oder Springreiter, die Reiten eher als Sport begreifen, teil?‘
Ja, da sind einige mit von der Partie. Aber es sind diejenigen, die erkannt haben, dass es noch etwas anderes gibt, als an Turnieren teilzunehmen.

Was ist denn das Andere?
Die Erkenntnis, dass es schön ist, eine intensive Zeit mit seinem Pferd zu verbringen. Und das Wissen darum, dass Wanderreiten der Psyche von Mensch und Tier gut tut, weil alles ohne Leistungsdruck ist.

Was ist denn die Faszination am Wanderreiten? Das kann ja schon süchtig machen…
Beim Wanderreiten ist der Weg das Ziel. Es ist eine schöne Erfahrung – immer wieder –, wenn Pferd und Reiter die Natur genießen und wenn sich bei beiden die Kondition aufbaut. Wanderer wissen das. Nach dem dritten Tag ist man fit. Eingelaufen. Dann geht jede Anstrengung. Dann kommt das Tempo beim Wanderritt dazu. Man ist schneller als zu Fuß, rauscht aber nicht durch die Landschaft wie mit dem Auto. Und die Routen, speziell bei der Tour, sind außerordentlich schön.

Also verpassen Hallenreiter und ihre Pferde etwas?
Ich denke schon. Das fängt damit an, dass sie in der Halle nur auf ebenem Boden reiten. Die Sehnen haben es nicht gelernt, sich an unebenen Boden anzupassen. Und es ist natürlich etwas anderes, wenn ein Pferd nur eine Stunde am Tag geritten wird und den Rest der Zeit in der Box steht.

Da sind wir bei der Pferdehaltung. Wanderreiter vertreten ja eine andere Philosophie …
Das ist etwas, was bei allen Teilnehmern der „Tour“ zu finden ist. Es sind alles Menschen, die sich Gedanken um eine artgerechte Haltung machen und ein artgerechtes Reiten. Da geht es nicht um das schnelle, kurzfristige Erfolgserlebnis oder höher, schneller, weiter.

Und wie sieht die artgerechte Haltung aus?
Das gibt das Tier vor. Das Pferd ist ein Steppen-, Wald- und Tundra-Tier. Da passt die Box nicht, oder? Als Fluchttier braucht es weite Sicht, den Überblick und die Herde zur Sicherheit. Außerdem frisst es stetig – und zwar kleine Mengen. Das passt nicht zu Fütterungszeiten zwei bis drei Mal am Tag. Und es muss sich während des Fressens bewegen können und nicht stehen, weil das der Verdauungstrakt so braucht. Kurzum: Je mehr Pferde draußen auf der Koppel sein können, desto mehr Zen. (lacht)

Zen?
Tiefenentspannung.

Das ist aber bei vielen herkömmlichen Ställen nicht so.
Die vorherrschende Pferdehaltung ist leider die, die für den Menschen bequem ist. Und es ist die, die in den Köpfen verankert ist. Die meisten Bemerkungen kommen zu Pferden, die im Winter draußen stehen – nach dem Motto „die armen Pferde“. Es ist viel „normaler“, ein Pferd in einer Box zu sehen. Das ist das gewohnte Bild.

Was antworten Sie Menschen, die sagen, Reiten ist sowieso Tierquälerei?
Pferde wurden ja domestiziert zum Ziehen von Kutsche oder Pflug und zum Tragen von Lasten. Wenn das Pferd artgerecht gehalten wird und wenn ich beim Reiten Druck und Zwang weg lasse und auf das verwendete Material wie Sattel etc. achte, dann reitet man kein Pferd kaputt.

Wie ist das Verhältnis zur „Fédération luxembourgeoise des sports équestres“ (FLSE)? Die Konkurrenz zwischen den Sport- und den „Feld-Wald-und Wiesenreitern“ ist ja bekannt …
Mittlerweile insgesamt gut. Die FLSE hat sich seit der Gründung 1957 im Laufe ihrer Geschichte auf den Spring- und auf den Dressur-Turniersport konzentriert. Eine Öffnung zu den vielen Facetten des Pferdesports und somit zur Großzahl der Pferdeleute ist erst seit kurzem wieder langsam spürbar. Außerdem ist einer der ehemaligen Vizepräsidenten, Luce Emringer, der Gründer der „Tour de Luxembourg“.

Alles super also?
Nicht immer. Es gibt auch Konflikte. Wir haben uns jahrelang dafür eingesetzt, Wanderreiten auch außerhalb der Tour in Luxemburg touristisch zu etablieren. So wie „Eifel zu Pferd“, mit Übernachtungs-, Rast- und Verpflegungsstationen für individuelle Reitergruppen. Es gab auch 20.000 Euro dafür aus einem Leader-Projekt für die Ausarbeitung. Dann wurde aber die Vermarktung des Ganzen von der FLSE nicht unterstützt.

In der Broschüre zum 50-jährigen Bestehen der „Tour“ 2016 lobt Landwirtschaftsminister Fernand Etgen doch aber das Projekt …
Die Infrastrukturen wurden ja auch ausgearbeitet. Aber die FLSE hat nicht nur nicht vermarktet. Sie hat „Luxembourg à cheval“ auch davon abgehalten, ehrenamtlich zu helfen. Sogar das „Office national“ hätte damals mitgemacht. Irgendwann sind dann die Anbieter abgesprungen und haben ihre Ferienwohnungen an andere Touristen vermietet.

Es hat also am Willen gefehlt?
Ja. Das Projekt wurde in unseren Augen nur sehr halbherzig angegangen. Das ist schade.

Der typische Wanderreiter?
Er ist frei und respektvoll.

Haben Sie einen Hut für die „Réiser Päerdsdeeg“?
(Lacht) Ich war mit und ohne Hut dort. „Luxembourg à cheval“ war eingeladen, sich mit einem Stand zu präsentieren. Ich habe sehr viele Gespräche geführt und es gab ein überraschend großes Interesse an dem, was wir machen.


Islandpferde: die Allrounder

Anne Muller (57) ist die einzige Züchterin in Luxemburg und auf Islandpferde spezialisiert. Zurzeit leben 70-80 Isländer auf dem 20 Hektar großen Gelände, das sie rund um ihren Hof in Weiler-La-Tour gepachtet hat.

Anne Muller ist ein Pferdemensch und arbeitet seit ihrer Kindheit mit den Tieren. Zucht, Beritt, Osteopathie, Korrektur, Therapie, es gibt fast keinen Bereich, den sie nicht abdeckt. Ihr Beruf? „Landwirt“, sagt sie. Obwohl sie ihre ersten Reiterfahrungen mit Großpferden gemacht hat, züchtet sie Isländer.

Warum? „Es ist ein Pferd für die ganze Familie“, erklärt sie, „Isländer kommen gut mit Kindern zurecht, haben aber auch viel Gehwillen bei Erwachsenen.“ Andererseits brauchen sie den Menschen nicht zum Überleben. „Isländer sind echte Allrounder“, sagt Muller, „und sie haben einen Supercharakter.“ Ein Isländer, der fit für die Weltmeisterschaft ist, kostet zwischen 45.000 und 50.000 Euro. Da hat er aber auch mindestens vier Jahre Ausbildung mit fünf Trainingseinheiten die Woche hinter sich.

Für die Zuchtbedingungen in Luxemburg hat Muller kein gutes Wort übrig. „Meine professionellen Kollegen sind mittlerweile alle im Ausland“, sagt sie, „hier sind sich die Ministerien so uneins, dass Zucht praktisch unmöglich ist.“ Isländer gehören auf die Koppel. „Diese Pferde sind dafür gemacht“, bestätigt Muller. Gerade das aber führt zwischen falsch verstandenem Tierschutz, Biodiversitätsprogrammen, Extensivierungsmaßnahmen und Auflagen der Veterinärinspektion immer wieder zu Problemen.


Der Verband und die Wanderreiter

Die „Fédération luxembourgeoise des sports équestres“ (FLSE) hat rund 1.100 Lizenzen. Davon sind 280 Freizeit-Lizenzen, das heißt, Reiter, die kein Turnier reiten. Die restlichen Lizenzen sind Turnierreiter. Bei der FLSE sind rund 1.000 Turnierpferde eingetragen. Beim Landwirtschaftsministerium sind rund 4.500 Reitpferde für Luxemburg registriert. Laut Angaben des Verbands ist in den letzten zehn Jahren die Zahl der Lizenzen relativ konstant bei rund 1.000 bis 1.100 geblieben. Eine Lizenz ist für Reiter nach Angaben der „Fédération“ für Reiter nicht verpflichtend. Der Erwerb sichert automatisch die Mitgliedschaft in der FLSE und enthält eine Unfallversicherung.

Das Angebot für Wanderreiter wurde laut FLSE nicht weiterverfolgt, weil die zuständige Person dafür bei der FLSE aufgehört hat. Das teilte der Verband auf Anfrage des Tageblatt mit. Eine Nachfrage danach besteht jedoch. Laut FLSE gibt es in der Woche mehrere Anrufe mit Fragen danach, weil die Interessierten über „Visit Luxembourg“ darauf aufmerksam werden – ohne dass der angekündigte Informationsflyer dazu jemals gedruckt worden wäre.