Serie: Rassismus in LuxemburgVon weißer Überheblichkeit und schwarzer Gegenwehr

Serie: Rassismus in Luxemburg / Von weißer Überheblichkeit und schwarzer Gegenwehr
Einer der Ursprünge für die immer noch währende Existenz von Rassismus sieht Prof. Dr. Lukas Sosoe im Zeitalter der Aufklärung: Foto: Editpress/Julien Garroy

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Ethik, Rechtsphilosophie, Soziologie – die Forschungsgebiete des Uni.lu-Dozenten Prof. Dr. Lukas Sosoe sind vielfältig und haben eins gemein: Sie beschäftigen sich mit der menschlichen Natur. Der gebürtige Ghanaer hat schon viel über das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien publiziert, Rassismus spielt dabei immer wieder eine Rolle. Sosoe hält Vorträge und Seminare in der ganzen Welt und hat über die Jahre eine differenzierte Meinung über so manche Theorie und Bewegung entwickelt. Im Interview erklärt er Rassismus aus wissenschaftlicher Sicht und verrät, warum Verschiedenheit heutzutage immer noch heftige Reaktionen provoziert.

„Ich finde es kompliziert, über Rassismus zu reden“ – mit diesen Worten steigt Prof. Dr. Lukas Sosoe in ein Thema ein, mit dem er sich privat und auch beruflich schon viel beschäftigt hat. Als gebürtiger Ghanaer ist Sosoe mit den Spuren von Kolonialismus, Segregation (Rassentrennung) und jahrhundertelanger Differenzierung von europäisch und nicht-europäisch aufgewachsen. Zu Hause standen Rassismus und Nationalität oft im Fokus des Gesprächs. Wie so mancher junger Afrikaner wurde auch Sosoe von den Werken und Taten bedeutender schwarzer Aktivisten und Autoren wie Malcolm X, James Baldwin und Cornel West geprägt. In den Schriften des jamaikanischen Publizisten Marcus Garvey, des französischen Schriftstellers Frantz Fanon, der schwarzamerikanischen Literatur sowie in den Reden von Bürgerrechtlern wie Angela Davis oder Stokely Carmichael – die Rassenfrage spielte bei ihnen eine erhebliche Rolle. Seine eigene Sicht auf Rassismus ist eher differenziert und weniger radikal als die der sogenannten proafrikanischen „Négritude“-Bewegung.

„Ich habe Erfahrungen als Ausländer persönlich zur Genüge gemacht, um viele Dinge relativiert sehen zu können“, sagt Sosoe. „Le petit Ghanéen“, wie die Familie seines Vaters in Togo oder Kameraden in der Schule den Afrikaner früher nannten, hat bereits in vielen Ländern unterrichtet und gelebt. Privat lernte er seine Frau beim Studium im schweizerischen Freiburg kennen. Er folgte ihr nach mehreren Jahren des gemeinsamen Lebens in Kanada nach Luxemburg, wo die beiden auch heute noch zu Hause sind. Auf seiner akademischen und beruflichen Liste stehen Vorträge und Seminare an Hochschulen in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Kanada, Westafrika und Amerika.

Die Einzigartigkeit der Uni.lu

Zu seinen Lehren zählen vor allem die Ethik, Rechtsphilosophie und politische Philosophie. Seit 2003 unterrichtet Sosoe an der Uni in Luxemburg an der Fakultät für Geistes-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften – eine einzigartige Erfahrung, die er sonst noch nirgends machen durfte: „In dem Milieu, in dem ich arbeite, ist die Verschiedenheit der Menschen oft größer als in anderen Sektoren. Im letzten Semester saßen in einer meiner Vorlesungen 16 Studenten, die insgesamt 14 verschiedene Nationalitäten hatten. Das erlebt man nicht mal in den großen Städten dieser Welt.“

Von sich selbst sagt der Dozent, dass er generell noch nicht viel direkten Rassismus erfahren hat. Dies kann er allerdings auch schnell erklären: „Ich gehe selten aus, reise viel und bewege mich aufgrund meiner Arbeit natürlich in bestimmten Kreisen, was allerdings in manch anderem Land wiederum keine Garantie dafür ist, keinen Fremdenhass zu erleben.“ In seinem eigenen Seminarraum an der Universität auf Belval ist kein Platz für Rassismus, auch wenn Sosoe für die Erfahrungen seiner Studenten stets ein offenes Ohr hat. Vorurteile gegenüber Menschen mit nicht als „typisch europäisch“ angesehenem Äußeren erleben diese auch im Universitätskontext immer wieder. „Dass man im 21. Jahrhundert an einer europäischen Universität immer noch nicht Rasse, Kultur und Nationalität auseinanderhält, zeigt, dass eine Zusatzausbildung nötig ist“, meint der Dozent kopfschüttelnd.

Das Resultat der Geschichte

Persönlich erlebt der Professor immer wieder eine spezielle Form des sonderbaren Verhaltens gegenüber schwarzen Mitbürgern. „Ein Beispiel ist eine Situation, in der ich in einem Restaurant gefragt habe, ob ich kurz einen Anruf tätigen darf. Daraufhin antwortete mir die Dame, im Lokal sei man nicht rassistisch, jeder wäre hier willkommen, denn wir leben ja in einem Land der Multikulturalität. Das war ja alles schön und gut, aber keineswegs die Antwort auf meine Frage“, so Sosoe lachend.

Rassismus hat so viele Gesichter, vom bösen bis hin zum alltäglich-harmlosen, dass es sehr schwierig ist, über dieses Thema zu reden

Prof. Dr. Lukas Sosoe, Dozent an der Uni.lu

Momente wie diese sind das Ergebnis der historischen Entwicklung. Es besteht Unwohlsein, und dies auf beiden Seiten. In zahlreichen seiner Publikationen zur gesellschaftlichen Identität, Globalisierung und kulturellen Vielfalt beschäftigt sich der Sozialwissenschaftler mit diesen Effekten. „Ich habe viel über Ethnizität geforscht, unter anderem auch jene der Schwarzafrikaner, um bestimmte soziale Theorien darüber zu testen. In afrikanischen Städten gibt es viel Sensibilität für Rassismus, es werden Nachrichten aus Amerika gezeigt, es wird über die Erfahrungen Afrikaner oder Schwarzer in Europa und Amerika berichtet und viel zu der Thematik organisiert“, erklärt Sosoe. Unter anderem der Umgang der amerikanischen Polizei mit den Mitgliedern der „Black Panther Party“, einer revolutionären Bewegung des sogenannten „schwarzen Nationalismus“ in Amerika, ist Teil der Recherchen Sosoes, aber auch alltäglichere Phänomene stehen bei seiner Arbeit im Fokus.

Die Entwicklung eines Gegenpols

„Viele sagen, Schwarzsein ist eine Welt für sich, ein Universum, und dem ist in der Tat so.“ Einer der Ursprünge für die immer noch währende Existenz von Rassismus sieht Sosoe im Zeitalter der Aufklärung: „Rassismus ist historisch bedingt und ein Ergebnis der Überheblichkeit von Leuten europäischer Herkunft. Blickt man auf die Anfänge der Psychologie und vor allem der Psychoanalyse in Amerika und darauf, wie Weiße in den Sozialwissenschaften über Schwarze schreiben, wird klar, welche Bilder über Generationen hinweg in der Literatur von Schwarzen weitergegeben wurden.“ Vor allem in Ländern wie Amerika, in denen institutioneller Rassismus aufgrund der Sklaverei-Vorgeschichte noch immer fest verankert ist, haben die Aussagen großer europäischer Denker des 18. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen. 

Verständlich also, dass sich in den Schriften von schwarzafrikanischen Gelehrten irgendwann eine Art Gegenposition entwickelt hat, die auch im Alltag vielerorts sichtbar wird. „Jean-Paul Sartre benutzte in seinem Aufsatz ‚Der schwarze Orpheus‘ von 1948 den Begriff ‚anti-rassistischer Rassismus‘ und dieser spiegelt sich vor allem in der Literatur der ersten Generation afrikanischer Schriftsteller enorm wider.“ Die Anspielung gilt jenen Strömungen, die alles Afrikanische als überpositiv darstellen, wie etwa die oben genannte „Négritude“ – nach dem Motto „I’m black and proud“. „Ich habe Freunde, die sind verbittert und radikalisiert und sehen alle Weißen als Rassisten. Dies sind Extremfälle, aber ich nehme es auch bei meinen Studenten wahr, dass sie sich von ihrem Gegenüber bereits Negatives erwarten und Rassismus so zur Norm wird“, meint Sosoe.

Von Erwartungen und Reaktionen

Eine Annahme, die sich über Generationen aufgrund schlechter Erfahrungen geformt hat und auch im heutigen Kontext noch aktuell ist. „Es ist normal, dass in einem Land, in dem viele unterschiedliche Menschen leben, Verschiedenheiten nicht immer gleich behandelt werden. Differenz produziert immer differenzierte Situationen und Reaktionen, das ist normal“, so Sosoe. Beim Thema Hautfarbe komme diese Differenziertheit allerdings noch mal besonders stark zum Ausdruck: „Man kann dies mit dem Begriff der doppelten rassistischen Verhaltenserwartung beschreiben. Damit meine ich, dass in manchen Situationen nicht die ‚Rassenblindheit‘ – also das grundsätzliche Nicht-Sehen der ‚Rasse‘ – zählt, sondern es wird einfach erwartet, dass die Interaktion von der Verschiedenheit der Hautfarbe implizit ausgeht“, erklärt der Professor.

Besonders bei Gesprächspartnern, die sich nicht auf persönlicher Ebene kennen, könne diese meist unbewusste Erwartungshaltung so zu Spannungen führen, da das Gegenüber annimmt, jegliches Verhalten basiere auf der Wahrnehmung und Einschätzung optischer Unterschiede. Man geht also schon zu Beginn der Interaktion davon aus, dass die Hautfarbe beim anderen eine Rolle spielt und dieser sich somit anders verhält, als er es bei jemandem derselben Ethnie tun würde.

Überflüssigkeit des Begriffs „Integration“

Rassismus herunterspielen wolle Sosoe aber auf keinen Fall, sondern eher auf einen generelleren Kontext verweisen: „Ich benutze beispielsweise das Wort Integration nicht, da ich nicht weiß, was eigentlich in was integriert werden soll. Soziologisch gesehen hat das keinen Sinn, denn der Begriff setzt voraus, dass es eine Einheit – die Luxemburger – gibt, in die andere hineingeschoben werden. Dazu zählen auch Portugiesen oder andere ‚Fremde‘. Eine moderne Gesellschaft ist allerdings eine gespaltene Gesellschaft, kulturell gesehen gibt es keine Einheit mehr, sodass das Faktum des Pluralismus den Begriff Integration überflüssig und unbrauchbar macht.“

Lukas Sosoe
Lukas Sosoe Foto: privat

Worte wie diese seien geschichtlich geladen, früher habe es eine „Bourgeoisie“ gegeben, die als das gesellschaftliche Nonplusultra galt – heute sei dem allerdings nicht mehr so, sagt der Professor: „Es gibt viele verschiedene Sektoren der Gesellschaft und man kann nie in allen aktiv sein, also ist die Frage nach Integration, wenn nicht irrelevant doch wenigstens umzuformulieren.“ Alleine die Aussage von Weißen, man sei doch kein Rassist, sei ein Symptom jahrhundertelangen Rassendenkens und überpositive Reaktionen auf Schwarze eigentlich eine Form des Rassismus. „Rassismus hat so viele Gesichter, vom bösen bis hin zum alltäglich-harmlosen, dass es sehr schwierig ist, über dieses Thema zu reden“, meint Sosoe. Gewalt, Gegengewalt, Rassismus, Antirassismus – in den Augen des Professors teilen alle das gleiche Schicksal: „Die Thematik ist niemals einseitig, ich würde sogar sagen, dass wir bis zu einem gewissen Grad alle Rassisten sind. Was wir aber tun können, ist so zu leben, dass wir aufpassen, niemanden zu verletzen.“

Eine Ära der Differenziertheit

Nicht alle Fälle von Rassismus seien wie der des Amerikaners George Floyd, jedoch brauche es die dadurch entstandene Rebellion, um auf mit Rassismus verknüpfte Probleme wie Polizeigewalt in manchen Ländern hinzuweisen. „Einige Menschenrechtsaktivisten reden zwar darüber, aber ihre Stimmen sind nicht laut genug, um gehört zu werden“, so Sosoe. Zum Phänomen, dass die Ansprache von Rassismus im öffentlichen Raum vermehrt auf Abwehr stößt, meint der Dozent: „Es gibt Leute, die reden nicht gerne über solche Themen. Warum soll man Filme über die Sklaverei zeigen, heute wo es diese doch nicht mehr gibt? Aber sollen wir denn unsere Vergangenheit einfach ignorieren?“ Auch die Realität der Verschiedenheit könne man nicht einfach negieren, findet Sosoe: „Wir leben in einer Ära der Differenziertheit, manchmal ist diese vielleicht etwas überbetont, aber diese Überbetonung lässt sich geschichtlich nachvollziehen. Es geht also um die Art und Weise, wie wir mit unserer Verschiedenheit umgehen wollen als Bürger.“

Die Folgen des Kolonialismus seien aus soziologischer Sicht noch nie so stark sichtbar gewesen wie heute und vor allem Rassismus sei und bleibe ein Thema, das mit Vorsicht anzugehen ist, sagt der gebürtige Ghanaer: „Es ist so vielschichtig, dass es teilweise banalisiert wird, andererseits aber definitiv noch existiert. Es gibt auch einfach schlechtes Benehmen, das nichts mit Rassismus zu tun hat. Aber auch wenn es hierzulande falsch wäre, sich über dieselbe Form von Rassismus wie in Amerika zu beklagen – das Problem ist da und wir können uns auch in Luxemburg nicht einfach vom Rest der Welt abschotten.“

Serie: Rassismus in Luxemburg

Durch die „Black Lives Matter“-Bewegung aus den USA ist auch in Europa die Thematik des Rassismus wieder in den Mittelpunkt gerückt. Das Tageblatt wirft in einer Porträt-Reihe einen Blick auf die Problematik und spricht mit Schwarzen unterschiedlichen Alters, Berufsstandes und Hintergrundes über ihre persönlichen Erlebnisse mit Diskriminierung.

 

trotinette josy
30. Juni 2020 - 15.55

Überheblichkeit ist ein Zeichen von Dummheit.

Jerry Scholer
30. Juni 2020 - 8.26

Interessanter, zu bejahender Artikel.Beifügen möchte ich .Historisch gesehen der Rassismus nicht unbedingt Produkt der Überheblichkeit des weissen Mannes , sondern der fatale Zusammenstoss unterschiedlicher Kulturen und Prägungen ist. Wobei ich bewusst von Kulturen schreibe, der Rassismus sich nicht nur auf den „Schwarzen“ fokussiert, auch Indianer andere Ethnien betroffen waren. Prägnant in der historischen Kultur des weissen Mannes sind die damalige Religiosität, das Unverständnis , Bildungsniveau, die politische Weltanschauung und die Macht.Nicht nur der weisse Mann war Kolonial-,Sklavenherr, auch findet man diesen ertragreichen Handel ,Wirtschaftszweig im Orient. Wobei ich betonen muss ,weder die christliche noch die moslemische , jüdische Weltanschauung dies damals verurteilt hätten, im Gegenteil es gefördert haben.Die religiösen Ansichten der Menschen, neben Macht und Besitztum sind die Hauptfaktoren die den Rassismus geschaffen haben.Die Überheblichkeit des weissen Mannes mag prägnant erscheinen, doch verniedlichen wir die Überheblichkeit des Orient nicht, historisch bewiesen, der Orient ist Wiege und Ausgangspunkt des weltweiten Sklavenhandels.