AnalyseVon der „Union nationale“ zum Zwiespalt: Wie die Pandemie Luxemburg getroffen hat

Analyse / Von der „Union nationale“ zum Zwiespalt: Wie die Pandemie Luxemburg getroffen hat
Die Regierung verspielte jüngst mit ihrem „Geknéchels“ viel Vertrauen, das sie während Monaten aufgebaut hatte Foto: Editpress/Claude Lenert

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Während Luxemburg die Corona-Krise Anfang 2020 gut meisterte, geriet das Land im Herbst an seine sanitären Grenzen – die Stimmung kippte. Was war passiert?

Der Rückblick zeigt: Die Regierung glaubte seit Oktober, das Gesundheitssystem werde trotz steigender Neuinfektionen nicht überlastet. Das Schlimmste war, so der Irrglaube, überstanden. Angesichts der positiven Entwicklung im frühen Herbst seien genügend Intensivbetten und Gesundheitspersonal verfügbar – und der Schutz der Risikogruppen gewährleistet. Doch es passierte, was der deutsche Virologe Christian Drosten mit gewohnt analytischer Kühle im April geahnt hatte: „Vielleicht kommen wir (…) glimpflich über den Sommer, haben aber immer noch wenig Bevölkerungsimmunität und laufen dann mit einer immunologisch naiven Bevölkerung in eine Winterwelle rein.“ Es wäre unfair, nur Luxemburgs Zivilbevölkerung als arg optimistisch zu bezeichnen. Auch die Regierung bewegte sich zwischen Pragmatismus, Schönfärberei und einer Blauäugigkeit, wie sie nach dem ersten Lockdown nicht vorstellbar gewesen wäre. Doch eins nach dem anderen.

Was hat bislang beim Krisenmanagement funktioniert, was weniger? Der schnelle Aufbau der Cellule de crise und der luxemburgischen Covid-19-Taskforce waren bemerkenswert. Ebenso der flexible Umbau des Gesundheitswesens sowie die zeitlich begrenzte Errichtung der Centres de soins avancés (CSA). Auch die wirtschaftlichen Stabilisierungsmaßnahmen zur Deckung des Liquiditätsbedarfs, die Förderung von Forschungstätigkeiten und Investitionen zur Bekämpfung von Covid-19, die Aufrechterhaltung der Beschäftigung durch den „chômage partiel“, die Förderung der Telearbeit (mit all ihren Vor- und Nachteilen) und die Verschiebung von Steuerfristen wirkten teilweise: Luxemburg steht wegen dieser Maßnahmen und Investitionen wirtschaftlich weniger schlecht auf den Beinen als andere Staaten. Die direkten Schäden betreffen auch im Vergleich zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 vor allem die Realwirtschaft. Dass wir weniger hart getroffen wurden, hat demnach auch mit unserem stark auf dem Dienstleistungssektor basierenden Wirtschaftsmodell zu tun. An den bestehenden sozialen Missständen ändert all dies nichts – die Pandemie hat die Frage nach der monetären Umverteilung gar in den Hintergrund gerückt. Die Krisenpolitik ist teuer, die Steuerreform einstweilen auf Eis gelegt, Corona oblige. Aber immerhin strapazierte Luxemburg im Vergleich zur Schweiz keine finanzpolitisch-ideologische Austeritätsdiskussion über den überschaubaren Anstieg der Staatsschulden.

Gleichzeitig ist es der Regierung nicht gelungen, die Differenzierung ihrer ursprünglichen Zielsetzung zu begründen: Vor dem Sommer sollte die Pandemiebekämpfung den Kollaps des Gesundheitssystems verhindern – ab Herbst wurde auch die wirtschaftliche und sozialpsychologische Dimension in den Vordergrund gerückt. Das Resultat dieses Drahtseilakts war der Versuch, Wirtschaft und Zivilgesellschaft so lange wie möglich vor neuen Corona-Maßnahmen zu verschonen, während dem Wachstum der Infektionszahlen zugeschaut wurde. Dieses Klima der Ungewissheit entwickelte sich schleichend zu einem Pulverfass. Während im ersten Lockdown die Union nationale trotz état de crise und eingeschränktem Parlamentarismus gelang, war das Großherzogtum seit Oktober im Zwiespalt: Der Luxemburger Sonderweg gefiel, das Gesundheitssystem erreichte seine menschliche Kapazitätsgrenze. Das Gesundheitspersonal wandte sich verzweifelt an die Medien, das Contact Tracing mutierte zum zahnlosen Tiger und das Large Scale Testing wurde hinterfragt: Inwiefern z.B. die regelmäßigen Tests spezifischer Kontingente der Regierung dabei halfen, Entscheidungen anhand von Cluster-Analysen zu treffen, müsste aufgearbeitet werden. Wenn das Misstrauen der Bevölkerung angesichts dieser wenig transparenten Datengenerierung und -verarbeitung ein Leitmotiv hätte, wäre es das unfreiwillig komische „An der Regel stécht ee sech net an der Schoul un!“.

Und selbst wenn man Premier Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert abnehmen würde, evidenzbasierte Entscheidungen gefällt zu haben, verspielte die Regierung enorm viel Vertrauen durch die Alleingänge von Bildungsminister Claude Meisch. Als reichte es nicht, die Forschungsergebnisse der Covid-19-Taskforce monatelang stiefmütterlich behandelt zu haben, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, Meisch sei seine eigene kleine Regierung innerhalb der Koalition: Der Jean Asselborn der Bildungspolitik, wenn man so will. Was im gewöhnlichen politischen Alltag wohl untergegangen wäre, äußerte sich beim Krisenmanagement in derart offensichtlichen Widersprüchen, dass auch die gemäßigten und wohlwollenden Beobachter langsam ihre Geduld verloren.

Das Trio Bettel, Lenert und Meisch hat demnach das seit März aufgebaute Vertrauen und die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen im Herbst wochenlang aufs Spiel gesetzt: Die anfänglichen Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Krisenmanagements wurden nicht aus der Welt geschafft – sondern um ein Vielfaches verstärkt. Dabei ist der wissenschaftliche Anspruch kein Stoff für den akademischen Elfenbeinturm, sondern das Versprechen, eine methodisch-gesicherte, nachprüfbare und die Forschung berücksichtigende Politik zu betreiben. Dass jedoch nicht einmal das Verhältnis zwischen Taskforce und Regierung bis heute klar geregelt ist, deutet vielmehr auf eine Entscheidungsfindung im Elfenbeinturm der Exekutive hin: Was in der anfänglichen Notsituation nachvollziehbar war, wirkte zuletzt wie weitgehend unüberprüfbares Geknéchels – auf Kosten des Gesundheitspersonals.

en ale Sozialist
4. Januar 2021 - 12.54

Eine sehr gute, objektive Analyse. Die Wahrheit, ob im Wort oder im Tageblatt oder wo auch immer zu lesen, ist nicht leicht zu ertragen, besonders nicht für Fanatiker. Der Gesundheitsministerin jedenfalls kann man keine Vorwürfe machen. Würden alle Leute mitziehen und sich an die elementarsten Regeln halten, sähe es ganz anders aus. Aber ein noch so vernünftiges und gerechfertigtes Verbot ist ja in den Augen einiger Uneinsichtigen ein Einschnitt in ihre persönliche Freiheit . Die absolute Freiheit gibt es nicht, besonders nicht im gesellschaftlichen Zusammenleben. Denn ein geordnetes Miteinander ist nur unter Einhaltung allgemein gültiger Regeln möglich. Ansonsten herrscht das Dschungelgesetz und wir haben die Anarchie.

migg
1. Januar 2021 - 0.58

Et mengt een hei géing e Reporter vum "Wort" schreiwen. @HTK sou ass et , kommt gesond rem heem.

Ko
31. Dezember 2020 - 20.23

Et,as zevill op dei sanitär Kris gekukt gin net awer op dei sozial an op all dei psychesch Problemer dei dat matbrengt. Bis haut gin Zuelen vun Doudesaffer vruecht dei all am Alter sin wou dei biologesch Auer ofgelaf as. Leider gin keng Zuelen veröffentlecht vun alle psycheschen Problemer dei net mei gud ze mache sin a vun der Alterskategorie. Schued

Robert Blau
31. Dezember 2020 - 18.22

Man weiß nicht ob die Krise bis Sommer gemeistert werden kann. So wird es von vielen erhofft, so auch der "Mutter" des Impfstoffe, die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó. Ich glaube jedoch, daß es zu diesem Zeitpunkt noch sehr müssig ist darüber ernsthaft nachzudenken. Unser Gesundheitswesen muß jetzt zu jedem Zeitpunkt gestemmt werden. Alle Mittel und Kräfte eingesetzt werden daß unsere Spitäler über die Runden kommen und zwar eben nicht nur gegen das Covid sondern, in soweit, daß so wenig wie möglich Operationen, Therapien und der gleichen abgesagt werden. Ohne Gesundheit kann nichts geschehen! Der Rubel muß auch weiter rollen. Es ist nicht der Moment das System völlig umkrempeln zu wollen. Dazu müssen die Menschen sich bewegen können. Aber sie müssen sich dazu mal eine Nase an den Japanern nehmen. Das Land der aufgehenden Sonne kommt an globalen Lockdowns vorbei, weil die Bevölkerung sich diszipliniert an die Vorschriften hält! Würde eine gewissen Herdenimmunität ab de zweiten Hälfte des neuen Jahres erreicht, könnte man vielleicht etwas aufatmen und vorsichtig bei ausgewählten Maßnahmen lockern. Politiker, wie Herr Meisch, ohne ihn persönlich angreifen zu wollen, müssen ins Glied zurückgerufen werden, sofern sich ihre Alleingänge als schädlich oder gar gefährlich zeigten.

Pierre Wollscheid
31. Dezember 2020 - 18.21

Liéwen oder Kiéwt GTK Ech kann nemmen soen dann komm erem Hem

B.G.
31. Dezember 2020 - 17.57

Soviel ich mich erinnere gab es nach dem Krieg unter Dupong einmal eine » Union nationale «  die ganze 16 Monate hielt. Danach aber war von einer « Union nationale » bis heute keine Rede mehr !!! Es sei , dass schweizer Forschungen zu einem anderen Schluss gekommen sind....

HTK
31. Dezember 2020 - 16.24

Wer es besser gemacht hätte trete bitte vor!! Das Volk will nur Sieger wie mir scheint. Die Regierung hat mit den Informationen die sie hatte versucht es jedem so recht wie möglich zu machen.Das war ihr einziger Fehler. Wenn man warnt und um Zusammenarbeit ersucht und dann schändlich von Besserwissern und Querdenkern torpediert wird,sehe ich keine Schuld bei den Verantwortlichen. "Hochverehrtes Publikum,bist du wirklich so dumm?" Die letzten Stunden dieses "Jahres der Wahrheit" möchte ich Bettel&Co danken für ihren Einsatz. Dieser Dank kommt aus Südfrankreich wo "d'Lompen sténken",viel mehr als in Luxemburg.

max
31. Dezember 2020 - 14.21

jo, genau esou ass êt, mêch huet am Meeschte gestéiert, dat all Dag Eppes aaneschtes gesoot a gemach gouf, esou dat engem Dronkenellen ausgange sen an oft nêt méi woussten, wéi ass êt dann elo.. Just eng kleng Bemierkung : déi Foto vun onser Gesondheets-Koppel ass immens, besser kann êt nêt sen max ee gudde Rutsch, awer nêt dobaussen, fiir Eech All an och der Redaktioun ee grousse Merci fiir déi gud Aarbecht déi Jidderee geleescht huet Prost 2021