LuxemburgViel Plan, wenig Aktion: „Biovereenegung“ kritisiert Stillstand in Sachen nachhaltige Landwirtschaft

Luxemburg / Viel Plan, wenig Aktion: „Biovereenegung“ kritisiert Stillstand in Sachen nachhaltige Landwirtschaft
Die Direktorin der „Biovereenegung“ Daniela Noesen (52) kritisiert den Stillstand in der Politik. Das Ziel, mehr Biolandwirtschaft in Luxemburg aufzubauen, stockt.  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Seit geraumer Zeit macht die „Biovereenegung“ Stimmung gegen Stillstand. Das bezieht sich vor allem auf das Ziel der aktuellen Koalition, bis 2025 ein Fünftel der bewirtschafteten Fläche im Land auf bio umzustellen. Ein Gespräch mit Daniela Noesen (52), Direktorin der „Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg“ über politischen Lockdown und Fehler im System Landwirtschaft.

Tageblatt: Sie bescheinigen dem Landwirtschaftsministerium einen „Lockdown“, was den Weg zu 20 Prozent Biolandwirtschaft in vier Jahren angeht …

Daniela Noesen: Uns läuft die Zeit davon. Wir haben allein ein Jahr gebraucht, bis der Bioaktionsplan ausgearbeitet war und an die Öffentlichkeit konnte. Uns ging es vor allem darum, daraus konkrete Projekte über mehrere Jahre entwickeln zu können. Es geht nichts voran.

Welche Projekte denn?

Die Landwirte müssen beraten und begleitet werden bei einer Umstellung. Wir brauchen Sensibilisierungskampagnen. Was heißt „bio“ denn? Was bedeutet es für die Umwelt, was für die Ernährung? In der Ausbildung der Landwirte muss das Thema behandelt werden – ganz zu schweigen von dem Lehrplan in den Schulen. Bio bedeutet ja ein anderes System in der Ernährung vom Produzenten bis zur Vermarktung.

Die Nachfrage nach bio ist in Luxemburg aber doch sehr hoch. So hoch, dass importiert werden muss … 

Ja. Aber unter den importierten Waren ist vieles, was hier im Land nicht produziert wird oder nicht produziert werden kann. Kaffee können wir nicht anbauen oder Zitronen, um nur zwei Beispiele zu nennen. 

Zitrone ist ein gutes Stichwort. Die Eigenversorgung mit Obst und Gemüse ist in Luxemburg dramatisch schlecht. Woran liegt das?

Gemüseanbau ist mit sehr hohen Investitionskosten verbunden und mit Lehrgeld. In der Umgebung gibt es schon sehr ausgeklügelte Anbausysteme, mit denen das luxemburgische Gemüse konkurrieren würde. Wir haben hohe Lohnkosten und fast keine Betriebe, die geerntetes Gemüse verarbeiten, im Land.

Die Landwirtschaft muss aus dem System Wachstum raus. Diesen Standpunkt vertritt die „Biovereenegung“. 
Die Landwirtschaft muss aus dem System Wachstum raus. Diesen Standpunkt vertritt die „Biovereenegung“.  Foto: Editpress/Tania Feller 

Spielt da nicht der Handel auch eine Rolle?

Der Handel kommt ins Spiel, wenn es darum geht, faire Wertschöpfungsketten aufzubauen. In den Filialen großer Supermarktketten liegen fast keine luxemburgischen Produkte, weil Großbetriebe im Ausland im Vorteil sind und deren Produkte mehr Verdienst für den Handel bringen. Sie könnten ja die Produkte von hier oder aus der Großregion stattdessen unterstützen, machen sie aber nicht.

Das habe ich gerade im Zusammenhang mit dem Ernährungsrat schon mal gehört. Warum klappt das nicht?

Weil es in der Gesellschaft noch wenig Akzeptanz findet. Bei den Konsumenten ist nicht angekommen, dass Lebensmittel, wenn sie umweltverträglich angebaut werden und Boden, Wasser und Luft schonen, zwangsläufig teurer sind. Für den Verbraucher ist der Unterschied zwischen einem Bio-Apfel und einem konventionell produzierten Apfel als Erstes der Preis.

Der Bioaktionsplan

Im Bioaktionsplan sind vier Säulen vorgesehen, um das Ziel 20 Prozent Biolandwirtschaft bis 2025 zu erreichen.

Die erste sieht „eine Bestandsaufnahme der aktuellen Lage des biologischen Agrarsektors in Luxemburg” vor. Die zweite Säule will „die Sichtbarkeit der ökologischen Landwirtschaft in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen erhöhen“. „Um den Anteil der biologischen Landwirtschaft zu steigern, ist es wichtig, dass diese Landwirtschaftsform und die so erzeugten Produkte bei den betreffenden Akteuren besser bekannt sind, und zwar von den Erzeugern bis zu den Verbrauchern“, heißt es dazu. Nachzulesen ist der Plan auf der Webseite des Landwirtschaftsministeriums.

In der dritten Säule geht es um die Prämien und damit um die Attraktivität einer Umstellung. Sie sieht eine „Anpassung der Prämien“ vor, „sodass die biologische Landwirtschaft hinsichtlich staatlicher Beihilfen die vorteilhafteste Option darstellt“. Die Bauernhöfe sollen besonders während der Umstellungsphase von konventionell zu bio hohe finanzielle Hilfen erhalten.

In der vierten Säule geht es vor allem um Erzeugungs-, Verarbeitungs- und Vermarktungswege. Eine der darunter vorgesehenen Maßnahmen ist das Ziel, dass bis 2025 die Hälfte der Produkte in den staatlichen Kantinen aus der luxemburgischen Landwirtschaft stammen sollen. Davon sollen zwei Fünftel Bioprodukte sein und drei Fünftel aus der konventionellen, lokalen Landwirtschaft stammen. In zwei Jahren soll Bilanz gezogen werden.

Die Sensibilisierung der Verbraucher scheitert doch aber schon bei öffentlich zugänglichen Informationen. Auf der Plattform bio2025.lu sind neben Biobetrieben auch konventionelle aufgeführt. Das verwirrt doch …

Die offizielle politische Linie ist der Wunsch nach mehr Biolandwirtschaft, die momentan hier nur rund 5,2 Prozent ausmacht. 94,8 Prozent der Landwirtschaft funktioniert konventionell und das Landwirtschaftsministerium sagt, wir sind für alle Bauern da. Das verwirrt in der Tat und ich finde das inkonsequent, wenn wir mehr „Bio” haben wollen.

Also will man niemanden wehtun?

Letztendlich ist eines der Resultate das „Agri-Bashing“. Bio gegen konventionell, dabei müssten eigentlich alle mit ins Boot – und das möglichst im Konsens. Das Grundproblem ist ja, dass Bauern vom den, was sie produzieren, ohne Zuwendungen nicht leben können. Der Endpreis der Produkte gibt das nicht her. Bislang haben wir Prämienheischerei. Das System stimmt nicht.

Was stimmt denn genau nicht?

Ich mache ein Beispiel. Wenn ein Bauer im Herbst den Acker bestellt, weil er im nächsten Sommer Brotweizen ernten will, dann bekommt er nach Monaten des Hegens und Pflegens und dem passenden Wetter für seine Ernte einen Preis x. Der Bauer tritt also in finanzielle Vorleistungen, ohne zu wissen, wie viel Geld er im Endeffekt verdient. Ich kenne keinen Wirtschaftsbetrieb, der so läuft. Auf der anderen Seite steht – verstärkt durch die Pandemie – die Einsicht, dass es einen gewissen Grad an Eigenversorgung geben muss.

Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern?

Die Landwirtschaft muss aus dem System des Wachstums raus. Bislang funktioniert die Landwirtschaft nach den gleichen Kriterien wie alle anderen Wirtschaftsbetriebe. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist eine Kernaufgabe des Staates und Landwirtschaft unterliegt anderen Gesetzen.

Dafür braucht man aber mehr als einen Mitarbeiter für den Biobereich im Landwirtschaftsministerium, der das voranbringt, oder?

Wir sind schon froh, dass es überhaupt einen gibt. Wir hatten vorher niemanden dort.

Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg a.s.b.l.

Die Interessenvertretung gibt es seit 2012. Damals haben die seit 1988 bestehenden Bioverbände, Demeter und bio-LABEL, fusioniert. 87 Biolandwirte, Imker, Winzer und Verarbeiter plus 121 Fördermitglieder sind Mitglieder und decken die Bandbreite der luxemburgischen Bioerzeuger ab.

Sie kritisieren den Slogan „Regional und saisonal“ und sagen, das reicht nicht. Warum?

Regionalität sagt ja nur, woher ein Produkt kommt, aber nicht, wie es hergestellt wurde. Bio hingegen ist ein transparentes Siegel, das entlang der gesamten Produktion kontrolliert wird. Wenn wir eine widerstandsfähige und umweltfreundliche Landwirtschaft aufbauen wollen, dann kann das nur aus dem Kreislaufgedanken heraus passieren. Das bedeutet Biolandwirtschaft. Wir brauchen Tauglichkeit für unsere Enkel.

Regale mit „regionalen“ Produkten gibt es aber doch viele. Ist das Augenwischerei?

Ich glaube, viele meinen, regional sei automatisch auch bio. Und das ist es nicht. Bio ist ein ganzheitliches, kreislaufbasiertes Konzept.

Was hält Bauern denn davon ab, auf bio umzustellen?

Konventionelle Landwirte leben in der Logik der Maximierung. Mehr Fläche, größere Mengen, Spritzen gegen Unkraut oder Nachdüngen. Bio bedeutet weniger Mengen, eine andere Art der Unkrautbekämpfung, eine andere Art der Düngung, die Gestaltung von Fruchtfolgen usw. Konventionelle Bauern sind nicht daran gewöhnt, damit umzugehen. In erster Linie geht es um die Angst vor Einkommensverlusten.

Was wünschen Sie sich denn vom Bioaktionsplan?

Wir wollen endlich mal loslegen. Als das Ziel 20 Prozent Biolandwirtschaft angekündigt wurde, herrschte Aufbruchstimmung. Bio kam endlich aus der Nische heraus. Seit der Aktionsplan in Kraft ist, das war 2020, gab es noch kein Treffen der Akteure …

Nomi
14. Mai 2021 - 13.54

""Seit geraumer Zeit macht die „Biovereenegung“ Stimmung gegen Stillstand. "" Jo wann d'Politiker net enner Drock stinn, geschid Naischt !