Putins KriegUkrainer fliehen aus Furcht vor russischer Annexion

Putins Krieg / Ukrainer fliehen aus Furcht vor russischer Annexion
Menschen gehen am Mittwoch in Richtung des Grenzübergangs Werchni Lars zwischen Georgien und Russland. Angesichts der vielen flüchtenden Kriegsdienstverweigerer hat die an Georgien grenzende russische Teilrepublik Nordossetien im Kaukasus Einreisebeschränkungen verhängt.  Foto: AP/dpa

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Angesichts russischer Vorbereitungen für eine Annexion von Teilen der Ukraine setzt Augenzeugen zufolge eine Fluchtbewegung aus den betroffenen Gebieten ein.

Es gebe insbesondere die Furcht, dass dort dann sofort mit der Einberufung von Männern in die russische Armee begonnen werde, berichteten Flüchtlinge in der ukrainisch kontrollierten Stadt Saporischschja am Mittwoch. „Es gibt Orte, die komplett verlassen sind“, sagte ein Mann, der nach eigenen Angaben mit seiner Familie aus Cherson über den letzten russischen Checkpoint herausgelangt war. „Ganze Dörfer brechen auf.“ Ein weiterer Familienvater aus Cherson sprach von einer Autoschlange, deren Ende nicht mehr zu sehen gewesen sei. Wegen des Referendums zögen 70 Prozent der Leute weg, sagte er.

Eine 48-jährige Verkäuferin berichtete von einer Anweisung an die Schulen in ihrem Ort, ab kommenden Monat den Unterricht auf Russisch abzuhalten. Sie habe nicht gewollt, dass ihr 13-jähriger Sohn an seine Schule zurückkehrt. „Sie können sich vorstellen, wie ich mich jetzt fühle“, sagte sie. „Sobald wir den Kontrollpunkt passiert haben, war mein erstes Foto eins von der ukrainischen Fahne. Ich bin glücklich.“ Eine Bestätigung der Angaben aus den besetzten Gebieten war nicht möglich.

In vier Regionen der Ukraine – neben Cherson und Saporischschja auch Luhansk und Donezk – hatten die von Russland eingesetzten Behörden Scheinreferenden über einen Anschluss an die Russische Föderation abgehalten. Im Tagesverlauf gaben die von Russland ernannten Verwalter der vier Regionen dann an, sie hätten Aufnahmeanträge an Präsident Wladimir Putin persönlich gerichtet. Das Außenministerium in Moskau erklärte, es würden bald Schritte unternommen, um die Bestrebungen der vier Regionen zu erfüllen. Auf dem Roten Platz in Moskau stand auf riesigen Videoschirmen: „Donezk, Luhansk, Saporischschja, Cherson – Russland!“

Donezk weiter heftig umkämpft

Die Gebiete entsprechen zusammen grob der Fläche Portugals und würden 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes ausmachen. In einer Erklärung des Außenministeriums in Kiew hieß es, die Scheinreferenden seien null und nichtig. Man werde weiter für eine Befreiung des Territoriums kämpfen. „Dass die Menschen in diesen Gebieten mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurden, einige Papiere auszufüllen, ist ein weiteres russisches Verbrechen im Rahmen der Aggression gegen die Ukraine.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drang in Telefonaten unter anderem mit Regierungschefs in Großbritannien, Kanada, Deutschland und der Türkei auf weitere Rüstungslieferungen und Sanktionen gegen Russland. „Der Aggressor muss die Konsequenzen seiner Verantwortungslosigkeit klar erkennen“, sagte Selenskyj dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.

Früheren Angaben des britischen Geheimdienstes zufolge dürfte Putin bei einer Rede vor dem Parlament am Freitag die Aufnahme der Gebiete ankündigen. Dann könnte seine Regierung die ukrainische Gegenoffensive als einen Angriff auf Russland darstellen. Vergangene Woche erklärte Putin, er sei bereit, die „territoriale Integrität“ seines Landes mit Atomwaffen zu verteidigen. Russland kontrolliert nicht die gesamten beanspruchten Gebiete. So sind etwa 40 Prozent von Donezk unter ukrainischer Kontrolle, die Provinz ist heftig umkämpft. Der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow erklärte am Mittwoch, der Einsatz müsse weitergehen, bis Donezk komplett eingenommen worden sei.

Reisepässe verweigert, Durchreise beschränkt

Unterdessen wird in Russland die Bewegungsfreiheit der Menschen zunehmend eingeschränkt. So werden keine Reisepässe mehr an Staatsbürger ausgegeben, die im Rahmen der Teilmobilmachung zum Dienst an der Waffe eingezogen werden. Den Betroffenen werde „der Reisepass verweigert“, teilte die russische Regierung am Mittwoch auf ihrer Website mit. Seit Präsident Wladimir Putin am 21. September die Teilmobilmachung bekannt gegeben hatte, verließen Zehntausende Menschen Russland in Richtung benachbarter Staaten.

Der Regierungswebsite zufolge wird den Menschen, denen ein Reisepass verweigert wird, zudem mitgeteilt, wie lange die Sperre in Kraft bleibt. In den vergangenen Tagen hatten zahlreiche Betroffene bereits Ausreisesperren befürchtet. In mehreren Fällen wurde berichtet, dass Ausreisewilligen der Grenzübertritt verweigert worden sei.

Zudem haben die russischen Behörden den Zugang zu einer Region an der Grenze zu Georgien beschränkt. Der Anführer der russischen Region Nordossetien, Sergej Meniajlo, unterzeichnete ein Dekret, das die Durchfahrt für Personenfahrzeuge durch das Gebiet beschränkt, außer für Einheimische und Touristen, wie der offizielle Fernsehsender der Regionalregierung im Onlinedienst Telegram am Mittwoch berichtete. Die Beschränkungen werden die Fahrt von Nordossetien in die georgische Hauptstadt Tiflis rund 200 Kilometer weiter südlich massiv erschweren. Dort haben zahlreiche Russen seit der russischen Intervention in der Ukraine Zuflucht gesucht.

Dieses Empfangskomitee an der Grenze zu Georgien ist nicht über den Zustrom aus Russland begeistert
Dieses Empfangskomitee an der Grenze zu Georgien ist nicht über den Zustrom aus Russland begeistert Foto: Vano Shlamov/AFP
Phil
29. September 2022 - 13.34

Um Här Asselborn sengem Plakat géif stoen: "Russian Deserters, You Are Very Welcome!"