Luxemburg„Trauriger Rekord“: 11.173 Menschen mussten 2023 auf die Hilfe von „Stëmm“ zurückgreifen

Luxemburg / „Trauriger Rekord“: 11.173 Menschen mussten 2023 auf die Hilfe von „Stëmm“ zurückgreifen
Insgesamt 198.127 Mahlzeiten wurden im vergangenen Jahr in den Sozialrestaurants in Esch, Ettelbrück oder wie hier in Hollerich verteilt Foto: Editpress/Julien Garroy

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So viele Menschen wie noch nie haben 2023 die Unterstützung der „Stëmm vun der Strooss“ in Anspruch genommen. Im Sozialrestaurant in Hollerich wurde die Anzahl der Mahlzeiten auf eine pro Kopf reduziert, damit alle dort essen können. Denn auch der Platz reicht für die wachsende Anzahl an Bedürftigen nicht. Besorgniserregende Entwicklungen, auf die die Verantwortlichen am Montag bei einer Pressekonferenz in der Tagesstätte „Saxophone“ in Luxemburg-Stadt hinwiesen.

Es hat sich in der vergangenen Zeit angedeutet, nun zeigen es auch die Zahlen: Deutlich mehr Menschen sind in ihrem Alltag auf die Dienste von „Stëmm vun der Strooss“ angewiesen. Von einer „Explosion der Anfragen“ sprach am Montagmorgen Arnaud Watelet, der Direktor für das Administrative und die Finanzen. Bei einer Pressekonferenz wurde die interne Statistik vorgestellt: Insgesamt 11.173 Bedürftige haben dieser zufolge im vergangenen Jahr die Dienste der gemeinnützigen Vereinigung genutzt, die sich für Menschen in prekären Lebenssituationen einsetzt. Im Jahr 2022 waren es noch 7.365 Personen.

Gleich mehrere Aspekte bereiten der „Stëmm“ – die von einem traurigen Rekord spricht – dabei Sorgen. „Früher kamen vor allem Menschen von der Straße, nun treffen wir in unseren Sozialrestaurants auch Menschen, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, eine Arbeit und ein Dach über dem Kopf haben. Und bei denen es dennoch am Ende des Monats nicht reicht“, so Arnaud Watelet. Er erklärte, dass viele kämen, um die Familie zu ernähren. „Das ist neu und zeigt, wie es der Bevölkerung geht.“ Die Inflation, Kriege und Zuwanderung führen laut der Hilfsvereinigung dazu, dass immer mehr Bedürftige in prekären Situationen Unterstützung brauchen.

 Foto: Tageblatt/Grafik

Alarmierend ist laut der „Stëmm“ die Zahl von 389 Minderjährigen, die sich seit letztem Jahr mehr als verdoppelt hat: 2022 waren 170 der Begünstigten minderjährig. Hinzu kommen 732 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren (im Vergleich zu 464 in 2022). Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei 43 Jahren. Der Großteil der Begünstigten, rund 79 Prozent, ist männlich. In puncto Nationalität kommen rund 15 Prozent aus Portugal, etwa 14 Prozent aus Luxemburg, rund sechs Prozent aus Spanien, ebenfalls rund sechs Prozent aus der Ukraine, gefolgt von Rumänien und Frankreich mit je etwa fünf Prozent. Die andere Hälfte setzt sich aus Angehörigen 141 weiterer Nationalitäten zusammen. 

Mehr Platz benötigt

An all diese Menschen wurden im vergangenen Jahr 198.127 Mahlzeiten in den drei Sozialrestaurants in Esch, Ettelbrück und in der Hauptstadt verteilt (160.099 in 2022). Um der steigenden Anfrage gerecht zu werden, wurde im Februar 2023 ein neues Sozialrestaurant in Ettelbrück eröffnet. Dennoch mussten die Mahlzeiten in Hollerich auf eine pro Kopf reduziert werden. „Vorher gab es ein Essen und wer noch Hunger hatte, bekam Nachschlag. Das ist aktuell nicht mehr möglich. Aus platztechnischen, personellen und finanziellen Gründen können wir nicht mehr mit der Entwicklung Schritt halten“, so der Präsident der „Stëmm“, Marcel Detaille.

„Directeur administratif et financier“ Arnaud Watelet (stehend l.) und Präsident Marcel Detaille (sitzend l.) berichteten von einer Explosion an Anfragen auf Unterstützung
„Directeur administratif et financier“ Arnaud Watelet (stehend l.) und Präsident Marcel Detaille (sitzend l.) berichteten von einer Explosion an Anfragen auf Unterstützung Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Suppe gibt es aber „à volonté“, außerdem können sich in anderen Strukturen kostenlos Sandwichs abgeholt werden. Und doch bedarf es Marcel Detaille zufolge eines weiteren Sozialrestaurants in der Hauptstadt. Oder der Vergrößerung des Lokals in der Hollericher rue de la Fonderie. „Da muss man konkret schauen, was möglich ist. Es braucht Genehmigungen von der Gemeinde und der ‚Inspection du travail et des mines’ (ITM)“, erklärte Marcel Detaille die Prozedur. Eine Lösung muss gefunden werden, denn so Arnaud Watelet: „Anstiege wie diese – ich denke nicht, dass wir die in den aktuellen Strukturen weiter bewältigen können.“ 

Die ebenfalls anwesende Bürgermeisterin der Gemeinde Luxemburg, Lydie Polfer (DP), informierte darüber, dass es an den Genehmigungen der Kommune nicht scheitern soll. Sie sagte, dass mehr unternommen werden muss, sprach sich aber auch für eine Dezentralisierung der Angebote aus. Zur Herausforderung werden laut Marcel Detaille meist nicht-administrative Hürden. Sondern: „Es ist schwer, Personal für die Betreuung zu finden. Unser Team besteht aus engagierten Menschen, die sich mit unserer Kundschaft auseinandersetzen wollen. Die Arbeit bei uns ist eine andere, als zum Beispiel in einer Kita. Das spielt bei der Rekrutierung eine Rolle“, so der Präsident der „Stëmm“.

Möglichkeit zum Duschen

Rund 51 Vollzeitbeschäftigungen wurden im vergangenen Jahr durch 7.741.000 Euro vom Gesundheitsministerium finanziert. Hinzu kommen 18 weitere Vollzeitstellen, die durch Spenden von lokalen Betrieben, Stiftungen und Einzelpersonen bezahlt werden konnten. Und eine weitere, die durch Zuschüsse vom Arbeitsministerium und des „Fonds de solidarité de l’Union européenne“ gefördert wird. Finanzielle Unterstützung gibt es außerdem jedes Jahr vom Ministerium für Wohnungsbau. Darüber hinaus helfen 30 Freiwillige in den Diensten und Strukturen mit.

Die Vereinigung

Die „Stëmm vun der Strooss“ setzt sich seit 1996 für benachteiligte Menschen ein – für unter anderem Arbeitslose, Asylsuchende oder Menschen ohne feste Unterkunft. An insgesamt neun Standorten werden sie dabei unterstützt, auf sozialer und beruflicher Ebene Fuß zu fassen. Außerdem werden sie in den sozialen Restaurants für 0,50 Cent mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Darüber hinaus kann bei der „Stëmm“ unter anderem kostenlos geduscht, die Kleidung gewaschen oder auch neue abgeholt werden. Und: Es gibt dort die Möglichkeit zur kostenlosen medizinischen Versorgung. Auch werden regelmäßig Ausflüge wie zum Beispiel Besuche in Freizeitparks oder auf die Schobermesse organisiert. Unterstützen kann man die „Stëmm vun der Strooss“ mit einer Spende oder einem Ehrenamt. Mehr Informationen gibt es unter stemm.lu.

Diese nutzten im vergangenen Jahr 4.878 Bedürftige, um gratis zu duschen, 4.468 holten sich kostenlose Kleidung ab und 1.123 ließen sich die Haare schneiden. Alltägliche Dinge, die nicht für alle eine Selbstverständlichkeit sind. Trotz aller Hürden will die „Stëmm vun der Strooss“ diese und weitere Dienste auch 2024 weiter anbieten. Und so fortführen, was sie bereits seit 1996 laut Marcel Detaille tut: „Menschen in Not eine Stimme geben.“ 


liah1elin2
6. Februar 2024 - 12.35

@Leila Verstehe Ihre Argumentation vollkommen. Und ja, die Web-Site hatte ich besucht als der Großherzog gnädigst zum Essen kam. Auch gestern wieder und habe mich sofort als ehrenamtlicher Helfer beworben, als ü70 hat man genügend Zeit dazu. Dazu bewirten wir weiterhin arme Menschen, die weniger Glück im Leben hatten, dies seitdem ich in Luxi bin, was ja noch nicht so lange ist. Und ja, es sind auch solche dabei, die Sie "Angestellte der Menschenhändler" nennen. Das ist nicht Gutmenschentum, nur Solidarität. Ein "Luxi-first-Denken" habe ich nicht, hab einfach dort geholfen, wo ich gerade wohnte.

Leila
5. Februar 2024 - 23.11

liah1elin2 Sehen Sie jetzt, was nicht nur von mir gemeint ist: wir haben hier im Land wahrhaft genug Menschen, denen es nicht gut geht, auch wenn "nur" ein Teil der Erwähnten im Bericht obdachlos ist! Warum sollen sie sich auf der Straße die Butter vom Brot nehmen lassen von den "Angestellten" der Menschenhändler? Ich kenne noch die alte Stëmm in Bonneweg aus der Zeit, als ich noch Kleidung hinbrachte. Es war klein, gemütlich, familiär. Ich empfehle Ihnen die Homepage von der Stëmm mit den Videos und auch denen, die glauben, es wird nichts für die Strummerten getan und nur kritisieren. Dem ist durchaus nicht so!

liah1elin2
5. Februar 2024 - 21.46

Das ist in der Tat eine sehr bittere Erkenntnis und die Schere reich/arm wird sich wohl noch mehr öffen. Viele Menschen können mit ihrem Lohn wohl überleben, aber nicht leben. Organisationen wie die "Stemm" brauchen mehr denn je unser Engagement, sei es als Sponsor oder Helfer?