Vor genau einem JahrTödliches Drama beim Jeunesse-Jugendtraining: Ermittlungen kurz vor dem Abschluss

Vor genau einem Jahr / Tödliches Drama beim Jeunesse-Jugendtraining: Ermittlungen kurz vor dem Abschluss
20. Januar 2023: Großaufgebot der Polizei vor dem Jeunesse-Trainingskomplex in der Escher Hiehl Foto: Editpress/Tania Feller

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Genau ein Jahr nach dem tödlichen Zwischenfall beim Jugendtraining des Fußball-Rekordmeister Jeunesse Esch stehen die Ermittlungen unmittelbar vor dem Abschluss, sodass es bald zu einer Anklage kommen könnte. Ein ehemaliger Jugendtrainer des Vereins muss sich dann voraussichtlich wegen Totschlags verantworten. Seit Sommer ist er unter Auflagen auf freiem Fuß und war seitdem auch wieder als Nachwuchscoach aktiv.   

Der Fall machte über die Landesgrenzen hinweg Schlagzeilen: „Held oder Henker“ titelte die Saarland-Ausgabe der Bild-Zeitung über den Zwischenfall beim Jugendtraining der Escher Jeunesse, bei der ein 25-Jähriger ums Leben kam. Informationen über den Fortgang der Ermittlungen gibt es auch ein Jahr nach der Tat so gut wie keine. „Die Instruktion ist ganz weit fortgeschritten“, heißt es von der Justiz, sodass es demnächst zu einer Anklage kommen könnte. Bis es aber so weit ist, könne man keine weiteren Details preisgeben. Nur soviel: Im Juli war der Tathergang vor Ort rekonstruiert worden. Im Sommer sei auch der Tatverdächtige unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden. Ihm wird Totschlag vorgeworfen. 

Am 20. Januar 2023, einem Freitagabend, war es beim Training der Jeunesse-Minimes (U13) zu furchtbaren Szenen auf dem Trainingskomplex in der Hiehl gekommen. Ein 25-Jähriger wurde erstochen, nachdem er mit zwei Messern bewaffnet das Spielfeld betreten hatte und von mehreren Personen dingfest gemacht worden war. Kurz zuvor hatte der Angreifer laut der Pressemitteilung der Justiz von damals seine beiden Messer weggeworfen und habe „zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr mehr dargestellt“.

Vermeintlicher Täter wieder als Trainer aktiv

Eine der Personen, die den Angreifer dingfest gemacht hatte, griff sich eines der Messer und stach mehrmals auf den immobilisierten Angreifer ein. Auch schlug er mit einem Stein zu, hieß es vonseiten der Justiz. Beim Tatverdächtigen handelt es um den damals 22-jährigen Minimes-Trainer des Vereins. Er saß mehrere Monate im Untersuchungsgefängnis von Sanem. Für ihn gilt bis zu einer eventuellen Verurteilung die Unschuldsvermutung. Nach Tageblatt-Informationen war er nach seiner Freilassung einige Zeit Jugendtrainer beim FC Déifferdeng 03, ehe er den Posten wegen neuer beruflicher Verpflichtungen in der Restauration wieder aufgab. 

Über die Identität des Toten macht die Justiz nach wie vor keine Angaben. „Es ist nicht unsere Gewohnheit, Nationalitäten von Menschen zu erwähnen, weder die eines Angeklagten, noch die eines Opfers. Es sei denn, die Nationalität hätte einen direkten Bezug zu den Delikten“, antwortete Justiz-Pressesprecher Henri Eippers auf eine dementsprechende Frage des Tageblatt. Schnell hatte nach der Tat das Gerücht die Runde gemacht, dass es sich beim Toten um einen Asylsuchenden gehandelt habe.

Augenzeugen zufolge hatte die Auseinandersetzung schon vor dem tödlichen Zwischenfall begonnen. So soll der Angreifer bereits vorher am Trainingsfeld gewesen sein. Es soll zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung mit dem Trainer gekommen sein. So heftig, dass die Polizei informiert wurde. Allerdings war der Mann bei Ankunft der Beamten nicht mehr vor Ort, sodass diese wieder abzogen. Eine gute halbe Stunde später sei er bewaffnet mit den beiden Messern an den Trainingskomplex zurückgekehrt. Das Drama nahm seinen Lauf. 

Mörder oder Held

In den sozialen Medien war in den Tagen danach eine Diskussion über die Deutung der Tat entbrannt. War es ein „kaltblütiger Mord im Affekt“ oder aber ist der Trainer ein „Held, der 26 Kinder gerettet“ hat? In anderen Worten: Notfallexzess oder legitime Verteidigung? Die Mitteilung der Justiz drei Tage nach dem Vorfall lässt auf Letzteres schließen. Auskunft darüber könnte die Identität des 25-Jährigen geben und die Antwort auf die Frage, ob er den Jugendtrainer gekannt hat. Sicher scheint, dass es sich um niemanden aus dem Umfeld des Vereins handelt.

Auch die anderen Beteiligten, der Bruder des Trainers und zwei Väter von Jugendspielern, mussten sich zunächst verantworten. Sie blieben auf freiem Fuß und sahen sich Vorwürfen des versuchten Totschlags („tentative de meurtre“), der schweren Körperverletzung („coups et blessures volontaires“) und unterlassener Hilfeleistung („non-assistance à une personne en danger“) ausgesetzt. Inzwischen scheint es so, dass nur noch zwei von ihnen sich verantworten müssen, und zwar wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. Augenzeugen hatten berichtet, dass beim Kampf herumliegende Gegenstände wie Stangen, Steine, Mülleimer und zum Schluss dann auch ein Messer zum Einsatz gekommen waren.


5 Fragen an Jeunesse-Präsident Marc Theisen

„Kein Thema mehr“ 

Marc Theisen
Marc Theisen Foto: Archiv-Editpress/Jeff Lahr

Herr Theisen, Sie hatten im Frühjahr im Gespräch mit dem Tageblatt den Mangel an Informationen angeprangert. Wissen Sie in der Zwischenzeit mehr?

Marc Theisen: Nein, ich weiß gar nichts. Das ist aber nicht außergewöhnlich und beweist schlussendlich nur, dass der Verein nichts direkt damit zu tun hat. Denn sonst wären wir ja von der Justiz kontaktiert worden. In meinen Augen handelt es sich also um einen sehr bedauerlichen Vorfall, der sich zufällig auf dem Vereinsgelände abgespielt hat. Allerdings bin ich durchaus der Meinung, dass bei einer strafrechtlichen Prozedur mit medialem Interesse die Justiz in regelmäßigen Abständen über den Fortgang der Ermittlungen informieren sollte. 

Wie waren die unmittelbaren Konsequenzen für den Verein, kamen zum Beispiel weniger Kinder zum Jeunesse-Jugendtraining?

Nein, davon haben wir nichts mitbekommen. Unsere Sorge war damals psychologischer Natur, also haben wir den Kindern und Eltern, die das miterleben mussten, Hilfestellung angeboten.

Sind die Vorkommnisse heute, also genau ein Jahr danach, noch Thema bei der Jeunesse?

Nein, damals war es natürlich Gesprächsthema Nummer eins. Heute ist es kein Thema mehr.

Hat der Verein nach dem Zwischenfall besondere Sicherheitsmaßnahmen beschlossen?

Nein, der Betrieb ist ganz normal weitergegangen. Es war eine Extremsituation und ich sehe auch nicht, wie wir aus dem Trainingskomplex eine Festung machen könnten. Dafür gab es keine Notwendigkeit. Im Vordergrund stand wie gesagt die psychologische Hilfe. 

Der Beschuldigte soll nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft wieder einen Job als Jugendtrainer ausgeübt haben. Was halten Sie davon? 

Das ist eine schwierige Frage, vor allem, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Wenn dem so ist, dann sage ich als Jurist natürlich, dass die Unschuldsvermutung gilt. Tatsache ist auch, dass dem betroffenen Trainer eine große Sympathiewelle entgegenschlug, er überwiegend als Held wahrgenommen wurde, der die Kinder geschützt hat. Man muss immer abwägen, ob ein etwaiges Engagement positive oder negative Auswirkungen haben kann. Und ich denke, das ist geschehen.     

Zu diesem Zeitpunkt war bereits alles vorbei: das Trainingsfeld unmittelbar nach dem tödlichen Zwischenfall
Zu diesem Zeitpunkt war bereits alles vorbei: das Trainingsfeld unmittelbar nach dem tödlichen Zwischenfall Foto: Editpress/Tania Feller