Dienstag16. Dezember 2025

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AnalyseStich(wahl) ins linke Herz: Ein Ultrarechter wird chilenischer Präsident

Analyse / Stich(wahl) ins linke Herz: Ein Ultrarechter wird chilenischer Präsident
Der amtierende chilenische Präsident Gabriel Boric (links) zeigt seinem designierten Nachfolger, dem Wahlsieger José Antonio Kast, wo es im Präsidentenpalast „La Moneda“ langgeht. Kast schaut, von ihm aus betrachtet, nach links – aber eine ausgeprägte Rechts-links-Schwäche ist bei ihm nicht bekannt Foto: Rodrigo Arangua

Das Ergebnis bestätigt alle Prognosen, die dem ultrarechten Kandidaten den Sieg gegen die Mitte-links-Kandidatin Jeannette Jara vorausgesagt hatten. Mit 58,2 Prozent der Stimmen hielt José Antonio Kast seine Kontrahentin in der Stichwahl auf Distanz.

Schon gut ein Vierteljahrhundert, ziemlich genau 26 Jahre, ist es her, als Ricardo Lagos im Dezember 1999 als erster linker Politiker seit Salvador Allende zum Präsidenten Chiles gewählt worden war. Der Sozialist, der während des Militärregimes von General Augusto Pinochet (1973-1990) eine Zeit lang im Exil lebte, hatte gegen Ende der Diktatur bei seinen Landsleuten dafür geworben, beim Referendum von 1988 mit „No“ gegen eine Fortsetzung der Pinochet-Herrschaft zu stimmen.

Lagos war der Oppositionsführer jener Zeit. Nachdem Chile zur Demokratie zurückgekehrt war, entschied er sich jedoch dafür, innerhalb des oppositionellen Bündnisses „Concertación de Partidos por la Democracia“ Patricio Aylwin den Vortritt für die Präsidentschaftskandidatur zu lassen. Mit Aylwin und dessen Nachfolger Eduardo Frei Ruiz-Tagle regierten die Christdemokraten ein Jahrzehnt lang.

Als Lagos sich 1999 anschickte, für das höchste Amt des Staates zu kandidieren, wurde der Autor dieser Zeilen Zeuge eines von großen Erwartungen geprägten Wahlkampfes.

Pinochet, wegen einer Rückenoperation nach London gereist, war ein Jahr zuvor unter Hausarrest gestellt worden, Spanien forderte seine Auslieferung wegen der Verbrechen unter seinem Militärregime.

Erbe der Diktatur

Ein Erbe der Diktatur war die Implementierung eines neoliberalen Wirtschaftssystems, das über das Ende der Pinochet-Ära bis heute Bestand hat. Chile war zum Labor der Chicago Boys geworden, einer Gruppe von Ökonomen, die an der Uni Chicago studiert hatten und zu deren wirtschaftsliberalen Reformen die Privatisierung der Strom- und Wasserversorgung sowie des Bildungs- und Gesundheitswesens gehörte – und die Abschaffung des staatlichen Rentenversicherungssystems.

Ein weiteres Erbe war die Straflosigkeit für die Verantwortlichen der Menschenrechtsverbrechen unter der Diktatur, als nach Schätzungen mindestens 3.000 Menschen ermordet und mehr als zehn Mal so viele eingesperrt und gefoltert wurden. Viele Chilenen mussten das Land verlassen. So auch Pedro Hugo Arellano und seine Familie. Sie fanden wie andere Chilenen Zuflucht in Luxemburg.

Doch die Schergen des Regimes genossen Straffreiheit, obwohl Aylwin 1991 eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einberufen hatte. Erst allmählich wurden die Verbrechen der Diktatur juristisch aufgearbeitet – u.a. von der staatlichen „Comisión Nacionál sobre Prisión y Tortura“, die 2004 ihren Bericht vorstellte. Pinochet, dem die Immunität als Senator entzogen wurde und der 2006 starb, wurde zeitlebens für kein einziges der Verbrechen, die er zu verantworten hatte, zur Rechenschaft gezogen.

Mit Michelle Bachelet wurde 2006 erstmals eine Frau chilenisches Staatsoberhaupt, deren politisch inhaftierter Vater einst im Gefängnis gestorben war und die nach ihrer Freilassung aus der Haft im Exil lebte. Sie wurde 2014 für vier Jahre Staatschefin. Nach der Präsidentschaft des konservativen Milliardärs Sebastián Piñera und dem „estallido social“ von 2019, den Massenprotesten gegen soziale Ungleichheit und das aus der Diktatur stammende Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem, zog 2021 mit Gabriel Boric ein Vertreter der neuen linken Generation in den Präsidentenpalast La Moneda ein.

Dieser Generation gehört auch Jeannette Jara von der Kommunistischen Partei. Die Kandidatin des Bündnisses „Unidad por Chile“, im ersten Wahlgang noch mit 27 Prozent in Führung, war dem ultrarechten Kast in der Stichwahl deutlich unterlegen – nicht zuletzt, weil dieser die anderen rechtsgerichteten Kräfte hinter sich vereinte.

Politik der harten Hand

Der 59-Jährige hat sich nicht erst im Wahlkampf als Hardliner präsentiert und vor der Bedrohung durch irreguläre Einwanderung und einer steigenden Kriminalitätsrate gewarnt. Die Leiterin des Meinungsforschungsinstituts MORI weist darauf hin, dass Sicherheit eine große Rolle bei der Wahl spielte und dass die Wähler jemanden wollten, der mit harter Hand gegen die Kriminalität vorgeht.

„Kast will 300.000 illegale Migranten rauswerfen“, sagt Lago, „und mit Soldaten gegen die Kriminalität in den Straßen vorgehen.“ Doch sie weiß auch: Letzteres habe in Lateinamerika bisher nirgendwo funktioniert. Die Wahl habe sich schließlich auch gegen das Establishment gerichtet. „Ein trauriger Tag für die Demokratie“, sagt der Journalist Dino Pancani Corvalán, der an der Universität von Santiago das Fach Amerikanische Studien unterrichtet. Pedro Hugo Arellano spricht von einer „schweren Niederlage“. Der Rechten sei es gelungen, den Leuten Angst vor einer „kommunistischen“ Kandidatin einzujagen. Angst und Lügen hätten gesiegt.

Deutlich unterlegen: Jeannette Jara, die Kandidatin des Regierungsbündnisses und Arbeitsministerin unter Gabriel Boric, bei der Ankunft im Wahllokal
Deutlich unterlegen: Jeannette Jara, die Kandidatin des Regierungsbündnisses und Arbeitsministerin unter Gabriel Boric, bei der Ankunft im Wahllokal  Foto: Eitan Abramovich