DiskriminierungSteigt der Rassismus an Luxemburgs Schulen?

Diskriminierung / Steigt der Rassismus an Luxemburgs Schulen?
2020 demonstrierten zahlreiche Menschen vor der US-Botschaft in Luxemburg gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Immer mehr Schulen wenden sich wegen rassistischer Vorfälle an die antirassistische und feministische Organisation Lëtz Rise Up. Von steigendem Rassismus an Schulen will das Bildungsministerium auf Nachfrage des Tageblatt derweil nichts wissen – und auch sonst bleibt einiges unklar.

„L’entrevue a été marquée par un dialogue ouvert“, hieß es am Dienstag in einer Pressemitteilung von Lëtz Rise Up über die Begegnung mit dem Ministerium für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen. Gegenstand des Treffens waren Diskriminierungen in Luxemburg, der „Plan d’action national contre le racisme“ (PAN Antiracisme) sowie die politische und finanzielle Unterstützung antirassistischer Organisationen. Trotz des offenen Dialogs mit dem Ministerium offenbart die Pressemitteilung von Lëtz Rise Up Dauerbaustellen in diesem Bereich.

Schon im zweiten Absatz unterstreicht Lëtz Rise Up, die Situation von Frauen und nicht-weißen Personen in Luxemburg bleibe besorgniserregend. Zahlen hierzu liefert unter anderem die Studie „Being Black in the EU“ (2023) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Diese stellt Luxemburg zum zweiten Mal in Folge ein schlechtes Zeugnis aus: Ähnlich wie 2016 schneidet das Großherzogtum nicht gut ab. 

Diskriminierung in verschiedenen Bereichen

In Luxemburg beteiligten sich 565 Menschen an der Datenerhebung, davon bezeichneten sich 66 Prozent als Person afrikanischer Abstammung oder als „Black“. Von diesen erfuhren wiederum 57 Prozent in den letzten fünf Jahren rassistische Diskriminierung – vorwiegend aufgrund ihrer Hautfarbe (33 Prozent), zumeist bei der Jobsuche (38 Prozent), auf der Arbeit (34 Prozent) und im Bildungswesen (25 Prozent). So berichteten auch 26 Prozent der Teilnehmer*innen, ihre Kinder seien im Jahr vor der Datenerhebung in der Schule aus rassistischen Motiven bedroht, ausgeschlossen oder körperlich angegriffen worden. 

Auch im Presseschreiben von Lëtz Rise Up ist von Rassismus an Schulen die Rede. Immer mehr Bildungseinrichtungen würden die Organisation in dem Kontext um Unterstützung bitten. „Pour les incidents dans les écoles, nous ne faisons pas de comptes précis“, präzisiert Sandrine Gashonga, Präsidentin von Lëtz Rise Up, dem Tageblatt gegenüber. „Mais nous en avons reçues une dizaine en 2022-2023 et trois depuis le début de l’année 2024.“ In dem Zusammenhang schlugen 2020 zwei Ereignisse hohe Wellen: Damals kam es im Zuge einer Schulaufführung am „Athénée“ zu Blackface – ein weißer Schüler wurde für eine Rolle im Musical „Fame“ schwarz geschminkt –, noch dazu fiel auf der Bühne das N-Wort. Claude Heiser, Direktor des „Athénée“, wies den Vorwurf zurück, es handele sich hierbei um Rassismus. In demselben Jahr initiierte der Pädagoge Andy Schammo auf Social Media eine Fotoserie zu Rassismus an luxemburgischen Schulen. Er teilte Beiträge von Betroffenen unter dem Hashtag „BreakingTheSilence“ oder „BriechdeTabu“. In der Serie war beispielsweise folgende Aussage eines Lehrers gegenüber einer nicht-weißen Person zu lesen: „Glaubst du, mit der Hautfarbe schaffst du es ans klassische Lyzeum?“

Dass dies keine Einzelfälle sind und nicht-weiße Schüler*innen im luxemburgischen Schulsystem von strukturellem Rassismus betroffen sind, belegt auch der zweite Teil der Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ (Teil 1: 2022, Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und das „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ (Cefis); Teil 2: 2024, Cefis). Der erste Teil der Studie liefert allgemeine Zahlen zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Luxemburg: Rund 55 Prozent der 2.949 Befragten gaben an, aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Herkunft ungleich behandelt zu werden; knapp 37 Prozent bestätigten, Rassismus habe in den letzten fünf Jahren in Luxemburg zugenommen. Der zweite Teil konzentriert sich hingegen auf 27 Personen diverser Herkunft, unterschiedlichen Geschlechts und Alters. Sie wurden zu ihren Erfahrungen mit ethnischer Diskriminierung befragt, eben auch im schulischen Kontext. 

In dem betreffenden Kapitel der Studie wird etwa eine schwarze Mutter zitiert, deren Tochter Lehrerin werden wollte. Im Elterngespräch habe die Klassenlehrerin der Mutter abgeraten, die Bestrebungen ihrer Tochter zu unterstützen, ohne weitere Begründung. „Cela m’a fait peur. (…) Effectivement, je n’ai jamais vu de maîtresse noire à l’école“, sagt die Mutter. Sie habe ihre Tochter zu einem anderen Studium ermutigt – die Wahl fiel auf Jura. Die Reaktion der Lehrerin habe nicht lange auf sich warten lassen: „La maîtresse me décourage à nouveau: Ce n’est pas facile. Et ajoute, carrément: Surtout pour les Africains!“ 

Das Ministerium hat keine Kenntnis darüber, dass der Rassismus an Schulen und an Gymnasien zugenommen hat

Pressestelle des Ministeriums für Bildung, Kinder und Jugend

Und welche Informationen liegen dem Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend zu Rassismus an Luxemburgs Schulen vor? Auf Nachfrage des Tageblatt entgegnet die Presseabteilung: „Das Ministerium hat keine Kenntnis darüber, dass der Rassismus an Schulen und an Gymnasien zugenommen hat.“ Weiter heißt es, jede Anlaufstelle im Bildungs- und Jugendbereich, so auch der „Service de l’intégration et de l’accueil scolaires“ (SIA) zur schulischen Eingliederung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund würde Rassismus präventiv thematisieren und in konkreten Fällen eingreifen. In letzter Zeit gab es nach Angaben der Pressestelle deren zwei: Einer ereignete sich an einer Grundschule, der andere an einem Gymnasium. In der Grundschule kam das SIA mit den Lehrkräften und der „Equipe de soutien des élèves à besoins éducatifs spécifiques“ (ESEB) zusammen: Derzeit wird ein Weiterbildungsprojekt ausgearbeitet, das den Lehrkräften unter anderem Handlungsmöglichkeiten gegen Rassismus im Klassenraum aufzeigen soll. Am besagten Gymnasium seien SIA, ESEB und „Service psychosocial et d’accompagnement scolaires“ ebenfalls dabei, Weiterbildungen und Maßnahmen zum Thema Antirassismus vorzubereiten. 

Präventionsarbeit, die sich gezielt gegen Rassismus richtet, leistet das Ministerium derzeit allerdings nur bedingt. Zwar gibt es diverse Projekte gegen Gewalt und Mobbing in Bildungseinrichtungen, explizit gegen Rassismus scheint jedoch nur der SIA vorzugehen. Die Stelle führt nach Bedarf beispielsweise Fortbildungen zu Antirassismus, Mikroaggressionen und inklusiver Literatur durch. Ein Lyzeum lud den SIA zudem zur Ausarbeitung einer Antirassismus-Strategie ein – das Projekt soll noch dieses Jahr starten.

„Noch dieses Jahr“

Um die Antirassismus-Strategie der Regierung ist es hingegen schlecht bestellt: Im aktuellen Koalitionsvertrag wurde die Fertigstellung des „PAN Antiracisme“ für Ende 2023, Anfang 2024 versprochen. Inzwischen ist April – das Dokument, das bereits im Laufe der letzten Legislaturperiode bearbeitet wurde, liegt immer noch nicht vor. Dem Tageblatt gegenüber schiebt das zuständige Ministerium für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen die Verspätung auf die interministerielle Zusammenarbeit und die damit verbundene Koordinationsarbeit. Der Aktionsplan solle aber noch dieses Jahr veröffentlicht werden.

Lëtz Rise Up zeigt sich in dem Presseschreiben jedenfalls erfreut, dass der „PAN Antiracisme“ 2024 tatsächlich vorgestellt werden soll und kündigt an, sich gemeinsam mit anderen antirassistischen Organisationen in die Ausarbeitung des Aktionsplans einzubringen. Gleichzeitig fordert die Organisation jedoch eine stärkere finanzielle und politische Unterstützung durch das Ministerium, etwa durch die Schaffung einer bezahlten Arbeitsstelle innerhalb der Organisation.  „Le ministre (Max Hahn, Anm. d. Red.) n’a pas explicitement répondu à nos demandes, mais il a appuyé sur le fait qu’il continuerait à soutenir les Asbl qui luttent contre les discriminations dans le futur“, so Gashonga. Derzeit hänge die Finanzierung von Lëtz Rise Up viel von Projektaufrufen ab, die nur für begrenzte Zeit Einnahmen garantieren würden.

Die Pressestelle des Ministeriums verweist auf Nachfrage des Tageblatt auf die Finanzierung einzelner Projekte (u.a. „Peanut Project“, 2020-2021) der Organisation oder auf ihre Teilnahme an Ateliers gegen Rassismus in Luxemburg. Außerdem könnten alle Organisationen jederzeit finanzielle Unterstützung zur Durchführung einer Aktion oder einer Aktivität beantragen. Der Frage, inwiefern das Ministerium Lëtz Rise Up weiterhin konkret unterstützen möchte, weicht die Pressestelle aus. Somit bleibt in Sachen Antirassismus-Politik in Luxemburg einiges unklar.