LuxFilmFestStarke Frauen inmitten geschichtlicher Traumata: „Lost Transport“ von Saskia Diesing und „Golda“ von Guy Nattiv

LuxFilmFest / Starke Frauen inmitten geschichtlicher Traumata: „Lost Transport“ von Saskia Diesing und „Golda“ von Guy Nattiv
Vera (Eugénie Anselin), Simone (Hanna van Vliet) und Winnie (Anna Bachmann) müssten eigentlich verfeindet sein, kommen sich während des Films aber immer näher (C) September Films

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In zwei LuxFilmFest-Beiträgen wird jüdische Geschichte aufgearbeitet – in „Lost Transport“ müssen aus Bergen-Belsen befreite Juden auf engstem Raum mit Nazis und (teilweise) antisemitischen Russen zusammenleben; „Golda“ erzählt die schwierigen Entscheidungen der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir im Jom-Kippur-Krieg. Beiden Filmen fehlt es zu sehr an Tiefgang, um die geschichtlichen Ereignisse packend nachzuerzählen oder cineastisch zu transzendieren.

Eine holländische Jüdin, eine stumme Russin und eine vom nationalsozialistischen Wahn besessene Deutsche leben in einer Wohngemeinschaft im deutschen Tröbitz. Was wie der erste Satz eines schlechten Witzes klingt, wird in Saskia Diesings Spielfilm (fiktionale) Wahrheit.

Eine Stimme aus dem Off gibt den historischen Kontext zu dieser recht schrägen Lage: Wir schreiben April 1945. Wenige Tage, bevor das Konzentrationslager Bergen-Belsen von den Briten befreit wird, flüchten die Nazis – und stecken einige Gefangene in drei Züge.

„Austauschjuden“ wurden diese Menschen von den Nazis genannt, weil diese hofften, ihre Häftlinge gegen deutsche Gefangene oder Geld tauschen zu können – ein weiteres Beispiel dieses Vokabulars der Enthumanisierung, das die Nazis auf übelste Art perfektionierten.

Der erste dieser Züge wird von den Amerikanern in Magdeburg befreit, der zweite einen Monat später von den Russen in Theresienstadt, der dritte, in dem sich 2.400 Gefangene befanden, kommt in der Nähe des deutschen Dorfes Tröbitz zum Halt.

Nach diesem historischen, von einer Europakarte illustrierten Exkurs beginnt der eigentliche Film: Unter den traumatisierten, kranken, abgemagerten, verletzten Gefangenen befinden sich Simone (Hanna van Vliet) und ihr Ehemann Isaac (Bram Suijker), die eigentlich nur nach Hause wollen. Erstmals aber sollen sie, weil viele von ihnen erkrankt sind, in Quarantäne – nachdem das deutsche Dorf kurzerhand geplündert und ein paar Nazis brutal ermordet wurden, wird in der Kirche ein Lazarett errichtet.

Weil Simone jedoch befürchtet, dass ihr schwer erkrankter Mann dort nicht überleben wird – es gibt weder Antibiotika noch sonst welche Medikamente – und den Russen nicht wirklich traut, flüchtet sie in das erstbeste Haus, das, wie der filmische Zufall es so will, der trauernden Winnie (Anna Bachmann), die eben ihre Mutter verloren hat, gehört. Aus irgendeinem Grund haust dort auch die stumme Vera (spricht hier nur Russisch: Eugénie Anselin), womit die Frauen-WG vollständig wäre.

Die wahre Geschichte dieses „Lost Transport“ birgt natürlich enormes erzählerisches Potenzial: In einem kleinen deutschen Dorf finden Opfer und Täter zusammen und müssen auf engstem Raum miteinander klarkommen.

Von Entnazifizierung kann im Tröbitz kaum die Rede sein. Die meisten Einwohner sind nach wie vor überzeugt, dass ihr Führer alles wieder zurechtbiegen wird. Aus diesen Gründen verstehen die ideologisch manipulierten Dorfeinwohner, deren einziger Bezug zur politischen Außenwelt die Radiopropaganda ist, nicht, wieso ihr Dorf geplündert, Menschen umgebracht und danach die befreiten Juden im Dorf aufgenommen werden sollen.

Verschenktes Potenzial

Die Russen hingegen gelten als unfreiwillige Befreier; ihre Haltung gegenüber der Gefangenen ist, gelinde ausgedrückt, zwiespältig. Einerseits kommen alteingesessene antisemitische Reflexe zum Vorschein – ein Soldat meint, er würde sich lieber an einer Deutschen als an einer Jüdin vergreifen, erstere wären „sauberer“ –, andererseits überlegt man, diejenigen, die nicht am Typhus erkrankt sind, als zukünftiges Kanonenfutter für Stalin zu rekrutieren. Immerhin hat der Krieg viele Menschenleben gekostet.

Leider ist die Figurenzeichnung arg klischeehaft, sodass den Schauspielerinnen wenig Freiraum gelassen wird, um Vera, Simone, Winnie oder Isaac glaubwürdig zu verkörpern. Dazu kommt, dass absolut jede der Handlungswendungen, die sich gen Ende recht schnell aneinanderreihen, voraussehbar ist.

Zudem ist diese gutgemeinte Frauenutopie, in der die blonde, in den Führer vernarrte Winnie, die (verständlicherweise) skeptische Jüdin Simone und die stumme, Wodka saufende Russin Vera nach und nach eine Freundschaft entwickeln, nicht nur – so schnell nach dem Kriegsende und der Befreiung aus dem KZ – recht unwahrscheinlich, sondern eben auch unglaubwürdig, da viel zu schnell erzählt.

Auch wirkt der Umgang mit den Traumata aus der KZ-Haft arg klischeehaft – der fiebrige Isaac dreht einmal kurz durch, man gibt ihm zu verstehen, er solle aufhören, zu halluzinieren, und das war’s, sodass man, wie es bereits Takis Würger für seinen Roman „Stella“ vorgeworfen bekam, den Verdacht bekommt, hier erneut so etwas wie Holocaust-Kitsch aufgetischt zu bekommen – sprich: der Film nutzt Shoa-Traumata aus, um eine Geschichte zu erzählen, die sich nur oberflächlich mit seinem eigentlichen Thema beschäftigt.

Dies ist umso bedauerlicher, da die Grundidee nicht nur spannend war, sondern zudem in einigen Szenen – bspw. der, in der Simone zur Frisörin wird – ergreifend erzählt wird. So wirkt der historische Hintergrund leider wie ein Vorwand, eine feministische Geschichte über eine Differenzen überbrückende Freundschaft zu erzählen, die arg gekünstelt und konstruiert wirkt.

Ein Krieg im Nikotinnebel

Helen Mirren spielt die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir 
Helen Mirren spielt die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir  (C) Jasper Wolf

„Golda“ ist, entgegen dessen, was sein Titel suggeriert, kein Biopic, sondern, wie etwa „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, ein Film, der sich auf einen biografischen Auszug seiner titelgebenden Figur fokussiert. Ging es bei Margarethe von Trottas Film um die toxische Beziehung Ingeborg Bachmanns zum Schweizer Autor Max Frisch, so wird hier die israelische Ministerpräsidentin in der brenzligsten Lage ihrer Karriere gezeigt: Ein syrisch-ägyptischer Überraschungsangriff an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, entfachte im Oktober 1973 den vierten arabisch-israelischen Krieg.

Um seiner Nacherzählung einen Kontext zu geben, lässt Regisseur Guy Nattiv seine Figur vor einem Gericht die 20 Tage des Kriegs Revue passieren – schließlich hat der Konflikt zwischen Israel, Ägypten und Syrien Tausende an Verletzten und Toten gefordert, weshalb ermittelt werden soll, ob die Ministerin nicht etwa wegen Fehlentscheidungen mehr Menschenleben als notwendig auf dem Gewissen hat.

In dieser Testosteron-geladenen Welt militärischer Entscheidungen ist Golda Meir (Helen Mirren) die starke Frau, die Israel zu dem Zeitpunkt gebraucht hat: Meir zeigt sich zwar zu Verhandlungen bereit, weiß aber auch, dass ihr noch junger Staat keine Schwäche zeigen darf. In dem quasi einzigen biografischen Verweis auf eine Zeit außerhalb des militärischen Handlungsstrangs des Films erinnert sie sich an ihre Kindheit in Kiew, in der sie Pogrome gegen Juden erleben musste und sich ihre Familie zu gewissen Uhrzeiten kaum vor die Tür traute. Ihr Land will sie verteidigen, damit weder sie noch ihre Bevölkerung so etwas noch mal am eigenen Leib miterleben müssen.

Leider ist „Golda“ einer dieser historischen Filme, die wie ein (gekonnt) inszenierter Wikipedia-Eintrag daherkommen: Wer den Verlauf des Jom-Kippur-Krieges und die Geschichte Israels kennt, erfährt hier wenig Neues; Helen Mirren spielt Golda zwar recht gut, über die Ministerpräsidentin erfahren wir allerdings kaum mehr, als dass Meir eine Kettenraucherin war (Mirren raucht in jeder einzelnen Sequenz), deren letzter Atemzug nikotinhaltig war, und dass sie sich in einem virilen Milieu zwar durchsetzen konnte, trotzdem aber nicht ohne Gewissensbisse ihre Landsleute dem feindlichen Feuer opferte. Auch wenn es respektabel ist, dass der Film sich nicht weiter mit Meirs Privatleben befasst, bleibt das Porträt der namensgebenden Ministerin arg dünn.

Ein paar tolle Szenen gibt es dann doch. Während eines Treffens mit Kissinger meint dieser: „Ich bin in erster Instanz Amerikaner, in zweiter Außenminister und in dritter Jude“. Darauf antwortet Meir: „Sie wissen, lieber Henry, dass wir hier von rechts nach links lesen.“ Hätten Drehbuch und Charakter mehr solcher Spitzfindigkeiten parat gehabt, hätte „Golda“ zu einem spannenderen Film werden können. Gerettet hätte dies die träge Inszenierung aber wohl auch nicht.

Info

„Golda“ läuft heute um 19.00 Uhr im Kinepolis Kirchberg, „Lost Transport“ läuft um 21.15 Uhr im Utopia.