Freitag17. Oktober 2025

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„2021 ist noch lange nicht vergessen“So sieht Experte Claude Schortgen Luxemburgs Hochwasserschutz

„2021 ist noch lange nicht vergessen“ / So sieht Experte Claude Schortgen Luxemburgs Hochwasserschutz
Die Hochwasser der letzten Jahre sind in Luxemburg noch sehr präsent Montage: Tageblatt

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Wenn das Wasser steigt, sind nicht nur Gemeinden und Staat gefragt – auch die Menschen selbst können vorsorgen. Welche Möglichkeiten es gibt und wie sie mit nationalen Plänen zusammenspielen, erklärt Claude Schortgen, Leiter des hydrologischen Dienstes beim Wasserwirtschaftsamt (AGE).

Tageblatt: Wenn die Wasserpegel steigen, zählt jede Minute. Welche Strategien hat Luxemburg entwickelt, um sich zu schützen?

Claude Schortgen: Wir orientieren uns an klaren Vorgaben: Die EU verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, Hochwasser-Risikomanagement-Pläne zu erstellen. Für Luxemburg bedeutet das drei Schritte – zuerst eine nationale Risikoanalyse. Dann werden Karten für die betroffenen Gebiete erstellt, die Gefahren und Überschwemmungsflächen sichtbar machen. Schließlich folgt ein Maßnahmenplan, der alle sechs Jahre überprüft wird. Diese nationale Strategie ist der Rahmen, in dem sich auch die Gemeinden bewegen. Sie brechen die großen Linien herunter: Welche Straßen sind besonders gefährdet, wo braucht es konkrete Schutzmaßnahmen? Dafür ziehen sie Ingenieurbüros hinzu, die detaillierte Konzepte ausarbeiten.

Luxemburg ist klein – braucht es da wirklich lokale Pläne?

Ja. Wir können nicht für jede Straße oder jedes Haus auf Basis eines nationalen Planes Vorgaben machen. Luxemburg ist zwar kleiner als andere Länder, aber groß genug, dass wir erst auf lokaler Ebene sehr konkret werden. Deswegen liegt es in der Hand der Gemeinden, in Zusammenarbeit mit der AGE, Maßnahmenkataloge für ihre Gebiete zu entwickeln, die sie dann Schritt für Schritt umsetzen. Dabei beraten wir sie natürlich. Auf nationaler Ebene behalten wir den Überblick, vor Ort wird ins Detail gegangen.

Heute spricht man nicht mehr nur von Hochwasserschutz. Warum?

Weil Mauern und Dämme nur ein Teil der Lösung sind – und nicht unendlich hoch gezogen werden können. Die Richtlinie heißt ja Hochwasser-Risikomanagement. Das bedeutet: Risiken vermeiden, Vorsorgekonzepte entwickeln, Szenarien durchspielen. Worauf wir achten: Wie sind wir aufgestellt, wenn es tatsächlich zu einem Hochwasser kommt? Es geht um Risiko- und Schadensminimierung – nicht nur darum, Wasser aufzuhalten, sondern auch darum, vorbereitet zu sein, wenn es nicht komplett aufzuhalten ist. 

Es besteht die Möglichkeit, dass Ingenieurbüros teilweise direkt zu den betroffenen Menschen nach Hause kommen, um das Risiko einzuschätzen

Welche Rolle spielt die Bevölkerung?

Sensibilisierung ist entscheidend. Wenn eine Gemeinde ein Hochwasserkonzept plant, gibt es Informationsveranstaltungen. Und es besteht die Möglichkeit, dass Ingenieurbüros teilweise direkt zu den betroffenen Menschen nach Hause kommen, um das Risiko einzuschätzen. Sie zeigen auf den Karten, wie hoch das Wasser steigen könnte, welche Türen betroffen wären, und geben Empfehlungen zum privaten Objektschutz. Die Bewohner erhalten ein Dossier mit allen Informationen. Manche Schutzmaßnahmen werden bis zu 75 Prozent vom Staat subventioniert – für Einfamilienhäuser sind das bis zu 20.000 Euro. Jeder kann also aktiv etwas beitragen. Hochwasser-Risikomanagement ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Gemeinden und Privatpersonen.

In den letzten Jahren scheinen Starkregenereignisse häufiger geworden zu sein. Täuscht der Eindruck?

Wir haben seit den 90er-Jahren ein Netz von Pegelstationen, um die Wasserstände kontinuierlich zu erfassen. Und ja: Einzelne Starkregenereignisse treten häufiger auf. 2016 in Fels, 2018 im Müllerthal. Auch 2021 beim großen Hochwasser gab es eine Starkregenkomponente. 2024 war besonders, da gab es viele Aktivierungen der Pegelstände und entsprechende Warnungen. Dieses Jahr war es bisher ruhiger. Aber wohin der Trend geht, das muss sich erst zeigen. 

Ob Bauträger von sich aus an den Hochwasserschutz denken, weiß ich nicht. Spätestens im Genehmigungsverfahren müssen sie es tun.

Ist das bereits Klimawandel?

Diese Frage kann ich nicht fundiert beantworten, da ich nicht in der Klimaforschung aktiv bin. Klar ist: Wir sehen Veränderungen, und wir reagieren darauf.

Welche Gemeinden trifft es besonders?

Grundsätzlich kann Starkregen überall Probleme verursachen. Bei Flusshochwasser sind es vor allem die Alzette-, Sauer- und Moselgemeinden, wo die Überschwemmungsflächen groß und die Schäden entsprechend hoch sind. Wir haben 2019 eine Schadenspotenzialanalyse durchgeführt, um festzustellen, welche Summen durch ein einzelnes Ereignis entstehen könnten. Besonders kritisch sind auch Orte, an denen mehrere Flüsse zusammentreffen: in Mersch etwa Eisch und Mamer mit der Alzette, in Ettelbrück Sauer und Alzette mit der Wark, oder in Mertert/Wasserbillig Sauer und Mosel. Dort kann es im schlimmsten Fall gleich von mehreren Seiten gleichzeitig Hochwasser geben.

Wie eng arbeiten Gemeinden und die AEG zusammen?

Jedes Projekt an einem Gewässer braucht unsere Genehmigung. Es darf keine negativen Folgen für Nachbargemeinden haben. Wenn Luxemburg-Stadt an der Alzette etwas plant, muss nachgewiesen werden, dass Walferdingen und Steinsel nicht benachteiligt werden. Zusätzlich gibt es die Hochwasserpartnerschaften, in denen Kommunen sich nach Flussgebieten organisieren und gemeinsame Projekte besprechen können. Diese Treffen haben in den letzten Jahren etwas nachgelassen, weil wir uns stark auf den Austausch über das Hochwasser 2021 konzentriert haben. Aber grundsätzlich ist die Zusammenarbeit in meinen Augen gut. Gemeinden und AGE definieren zusammen Umfang und Prioritäten der Konzepte und tauschen sich dabei regelmäßig aus. Die Gemeinden werden sowohl fachlich wie finanziell von der AGE beim Hochwassermanagement unterstützt. Wie eng sich die Kommunen unter sich austauschen, kann ich nicht bewerten.

Luxemburg steckt in einer Wohnungsbaukrise. Wird dadurch nicht in Risikogebieten gebaut?

Das Risiko besteht. Aber es gibt klare Regeln. Wer in einem ausgewiesenen Gefahrengebiet bauen will, braucht Genehmigungen. Dabei muss nachgewiesen werden, dass Gebäude hochwasserangepasst geplant sind – kein Technikraum im Keller, Häuser auf erhöhtem Niveau oder sogar auf Stelzen. Außerdem muss bewiesen werden, dass das Bauprojekt keinen negativen Einfluss auf die Nachbarschaft hat. Diese Vorgaben gibt es seit dem Wassergesetz von 2008. Ob Bauträger von sich aus an den Hochwasserschutz denken, weiß ich nicht. Spätestens im Genehmigungsverfahren müssen sie es tun.

Es gibt das Phänomen der „Hochwasser-Amnesie“, also dass man, wenn kein Hochwasser ist, die potenzielle Gefahr verdrängt und vergisst. Spürt man das auch hierzulande?

Das Phänomen ist bekannt: Nach Katastrophen wird viel gemacht, später lässt die Aufmerksamkeit nach. In Luxemburg ist das Hochwasser von 2021 aber noch sehr präsent. Gemeinden treiben ihre Projekte weiter. Auch die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten – etwa an der Mosel – hat die Ereignisse nicht vergessen. Dort sieht man noch Markierungen, wie hoch das Wasser stand. Ich habe nicht das Gefühl, dass das Thema verschwunden ist.

Welche Ratschläge geben Sie einzelnen Bürgerinnen und Bürgern?

Informieren! Wer in der Nähe eines Gewässers wohnt, sollte sich die Hochwasser- und Starkregenkarten im Geoportal ansehen. Dort ist klar ersichtlich, welche Zonen gefährdet sind. Wer nicht weiß, wie er sein Haus schützen soll, kann bei der Gemeinde nachfragen. Gibt es schon eine Studie zum Objektschutz? Wenn nicht, kann eine gemeinsam mit der AGE lanciert werden. Dann gibt es eine fachmännische Beratung vor Ort. Wichtig ist: Neben Staat und Gemeinden müssen die Menschen selbst auch Verantwortung übernehmen.

Viele Branchen erleben gerade eine KI-Revolution. Wie sieht das im Hochwassermanagement aus?

Auf dem Terrain noch wenig. Aber bei der Datenverarbeitung ist KI ein Fortschritt. Früher haben Überschwemmungsberechnungen für große Gebiete Tage oder Wochen gedauert. Dies kann nun perspektivisch viel schneller gehen. Bei Vorhersagen laufen Tests, wie zuverlässig KI Projektionen erstellen kann. Von einer Revolution würde ich nicht sprechen – aber wir prüfen genau, wo der Einsatz Sinn ergibt und wo wir der Technologie vertrauen können.