Heute vor 40 JahrenSieben Tote beim ersten Crash am Flughafen Findel: Die missglückte Landung einer Iljuschin

Heute vor 40 Jahren / Sieben Tote beim ersten Crash am Flughafen Findel: Die missglückte Landung einer Iljuschin
Erschwerter Rettungseinsatz. Die Iljuschin Il-62M der Aeroflot kam bei der Landung von der Bahn ab und raste in den Birelergronn hinab.  Foto: © Photothèque de la Ville de Luxembourg/Lé Siebenaler

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Am 6. November dieses Jahres jährt sich die bisher schlimmste Flugkatastrophe des Landes zum 20. Mal. Vor dem Crash der Luxair-Fokker 2002, der 20 Menschen das Leben kostete, hatte es bereits ein tödliches Flugzeugunglück auf Luxemburger Boden gegeben. Am 29. September 1982, heute vor 40 Jahren, starben sieben Passagiere bei der missglückten Landung einer Maschine der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot.   

Es ist gegen 20.15 Uhr am Mittwoch, dem 29. September 1982, als die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Die Iljuschin Il-62M der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot mit der Flugnummer 343 befindet sich im Landeanflug auf den Flughafen Luxemburg-Findel. Hier soll der erste von insgesamt vier Zwischenstopps (außerdem Shannon/Irland, Havanna/Kuba, Managua/Nicaragua) auf dem Weg von Moskau in die peruanische Hauptstadt Lima erfolgen. 278 km/h schnell ist die vierstrahlige Iljuschin, als sie sich fünf Meter über der Landebahn befindet. Die Maschine des Baujahrs 1977 hat bereits über 10.000 Flugstunden absolviert; als sie den Luxemburger Boden berührt, versagt die Technik: Die Schubumkehr von Motor 1 funktioniert nicht, dadurch bricht der Flieger nach rechts aus. Nach 1.300 Metern rammt er einen Wassertank, durchbricht den Flughafenzaun und kommt 900 Meter weiter im Birelergronn in einem Graben des stark abfallenden Waldstücks zum Stehen.

Teile des Flugzeugwracks im Hang des Waldstücks
Teile des Flugzeugwracks im Hang des Waldstücks Foto: © Photothèque de la Ville de Luxembourg/Lé Siebenaler

Die Uhr zeigt Punkt 20.23 Uhr. Der Rumpf des Flugzeugs ist auseinandergebrochen und das Fahrwerk ausgerissen. Die Maschine brennt an mehreren Stellen. Von den 77 Passagieren an Bord, darunter elf Crewmitglieder, sterben sieben, 38 werden zum Teil schwer verletzt, 32 bleiben unversehrt. Rund 40 Passagiere retten sich in den rund 200 Meter entfernten Bireler Haff, den Hof der Familie Schmitz. „Einige waren ohne Schuhe und Strümpfe, andere hatten nur noch die Unterwäsche an. Ein junger Mann, der schwere Brandverletzungen erlitten hatte, trug nur noch seine Unterhose am Leib“, berichtet die Bauersfrau dem Tageblatt.

Transportminister Josy Barthel (l.) und Luxair-Direktor Roger Siezen (r.) machen sich am Unfallabend ein Bild vor Ort
Transportminister Josy Barthel (l.) und Luxair-Direktor Roger Siezen (r.) machen sich am Unfallabend ein Bild vor Ort Foto: Tageblatt-Archiv

Um 20.24 Uhr schlägt der Tower Alarm. Berufsfeuerwehr, Polizei, Gendarmerie und die „Base Nationale“ in Lintgen werden als Erste informiert. 15 Ambulanzen machen sich sofort auf den Weg, dazu werden sieben weitere in Alarmbereitschaft versetzt. Um 20.35 Uhr sind die Luxemburger Krankenhäuser informiert, genau wie das „Centre des Grands Brûlés“ in Metz und Freyming-Merlebach (F) sowie die Militärkrankenhäuser in Brüssel und Charleroi (B). Hubschrauberverstärkung wird aus Ludwigshafen, Karlsruhe (D) und Lille (F) angefordert. Sechs Stück treffen später auf dem Findel ein, darunter ein Großhubschrauber aus Deutschland mit Ärzten und medizinischem Material an Bord sowie zwei Helikopter der US Army. Um 20.40 Uhr beordert die „Protection civile“ Verstärkung an den Ort der Katastrophe. Rettungsdienste aus dem gesamten Land rücken an, Ärzte kommen an die Unfallstelle. Unter anderen Dr. Ernest Weicherding aus Walferdingen, dessen Frau Blanche im Flugzeug saß. Sie sollte die einzige unverletzte Passagierin aus Luxemburg sein.   

Bild des Grauens

„Es herrschte das reinste Chaos“, berichtet ein Augenzeuge 40 Jahre nach dem Unglück dem Tageblatt. Er möchte lieber nicht mit seinem Namen genannt werden, denn noch heute bekleidet er einige öffentliche Posten. Als er in der Nähe des Unglücksorts eintrifft und zwei Gendarmen nach dem weiteren Vorgehen fragt, wird er barsch abgekanzelt. Die Beamten streiten sich gerade über Kompetenzen, anstatt zu helfen. Am Wrack der Iljuschin angelangt, bietet sich ihm ein Bild des Grauens. „Das Flugzeug war in der Mitte durchgebrochen, es brannte noch ein wenig. Auf einem der abgebrochenen Flügel lag eine verkohlte Leiche.“

Er schätzt, dass er eine Stunde nach dem Crash am Unglücksort war. Da sind die meisten Überlebenden schon weg, der Großteil ist zu Fuß zum Bireler Haff geflüchtet. Er beobachtet Männer aus der sowjetischen Botschaft, die die Trümmer durchsuchen. Überall seien Menschen gewesen, auch solche, die nichts dort verloren hätten. „Ein Bekannter von der ‚Protex’ war da. Er berichtete, dass sie mit zwei Ambulanzen vor Ort sind. Als sie einen Moment nicht aufpassten, war die Bahre verschwunden.“     

Die erste Seite des Tageblatt vom 30. September 1982. In der Unfallnacht gingen die Behörden noch von wesentlich mehr Opfern aus.   
Die erste Seite des Tageblatt vom 30. September 1982. In der Unfallnacht gingen die Behörden noch von wesentlich mehr Opfern aus.   

Die Löscharbeiten sind schwierig, da die schweren Feuerwehrwagen nicht nahe genug an den verunglückten Flieger herankommen. Die letzten Tage hatte es geregnet und der Untergrund ist dementsprechend morastig. Zudem ist die Stelle im Hang schlecht erreichbar. Die Feuerherde werden so mit langen Schläuchen bekämpft. Trotzdem sind sie schnell unter Kontrolle. Für einige Passagiere aber ist es zu spät. Sieben Luxemburger waren an Bord, vier unter ihnen sind tot: Das Ehepaar Marianne (23 Jahre) und Alex Even (29) aus Hagen, Nadja Heinen (25) vom Bridel und Liliane Schmitz (25), Tochter des bekannten Radsportlers Jempy Schmitz, überleben nicht. Der Anwalt Carlo Zeyen kommt verletzt in ein Krankenhaus, während RTL-Techniker Romain Scheer aus Hesperingen mit schwersten Verbrennungen nach Ludwigshafen geflogen wird, wo er zwei Tage später seinen Verletzungen erliegt. Zudem ist ein kubanischer Psychologe tot und eine junge Frau aus Frankreich. Sie alle saßen in der Mitte des Flugzeugs. 

Piloten festgenommen

Um 22.00 Uhr zieht Transportminister Josy Barthel vor Ort eine erste Bilanz. 30 Menschen sind bis dahin mit mehr oder weniger schweren Verletzungen geborgen worden. Für den Rest besteht wenig Hoffnung. Zwölf Tote werden als wahrscheinlich angesehen. Präziser geht es zu diesem Zeitpunkt nicht, denn erst um 5.00 Uhr in der Nacht erhalten die Luxemburger Behörden die Passagierliste aus Moskau. Das Fax ist zudem schwer zu entziffern. Die Piloten werden wegen Verdunklungsgefahr vorübergehend festgenommen, denn sie verweigern jede Aussage. Erst am Folgetag, nachdem sie vor dem Untersuchungsrichter aussagen, werden sie freigelassen.     

Nach dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 befindet sich der Kalte Krieg zwischen den Westmächten und dem Ostblock auf einem Höhepunkt. Die Flugschreiber werden nach Moskau transportiert, das Flugzeugwrack in Luxemburg von belgischen Experten untersucht. Teile der Kabine sollen noch vor Ort sein, im Birelergronn begraben.

1995 wurde die Produktion der Il-62 eingestellt. Insgesamt waren 292 Maschinen dieses Typs gebaut worden, wovon 15 bei Flugunglücken zerstört wurden. Zehn Jahre vor dem Unfall am Findel war eine Iljuschin-62 der Interflug bei Königs Wusterhausen (DDR) verunglückt. Alle 156 Menschen an Bord starben. Es war der schwerste Flugunfall auf deutschem Boden bis heute. In Luxemburg stellte der Luxair-Absturz von Niederanven 20 Jahre nach dem Aeroflot-Crash alles bisher Dagewesene in den Schatten.

Insgesamt zehn Iljuschin Il-62M sollen 2021 noch im Einsatz gewesen sein, u.a. für die nordkoreanische Fluggesellschaft Air Koryo. Besonderes Merkmal des Typs: die vier am Heck montierten Triebwerke.<br />
Insgesamt zehn Iljuschin Il-62M sollen 2021 noch im Einsatz gewesen sein, u.a. für die nordkoreanische Fluggesellschaft Air Koryo. Besonderes Merkmal des Typs: die vier am Heck montierten Triebwerke.
 Foto: © Marc Jungblut/Tageblatt-Spotterplattform