InterviewSam Tanson: „Diese Regierung ist auf einer sehr konservativen Schiene“

Interview / Sam Tanson: „Diese Regierung ist auf einer sehr konservativen Schiene“
Will in der Opposition den Ball spielen, nicht den Mann oder die Frau: Sam Tanson Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Nach dem Wahldebakel im Oktober und dem Ende der Regierung finden „déi gréng“ als kritische Oppositionspartei gerade zu neuer Form. Ein Gespräch mit Sam Tanson über konservativen Zeitgeist, Feindbilder – und ihre Sorgen um die kommende Europawahl.

Tageblatt: Frau Tanson, „déi gréng“ haben bei der Wahl viele Stimmen verloren. Was machen Sie jetzt anders?

Sam Tanson: Opposition ist sowieso eine andere Rolle. Man kann, muss und darf offensiver für seine eigenen Ideen einstehen. In einer Koalition muss man Rücksicht auf die Koalitionspartner nehmen und auch Kompromisse verteidigen. Wir müssen jetzt keine Kompromisse eingehen. Wenn ich mir die letzten Wochen und Monate anschaue und sie mit der Oppositionspolitik vergleiche, die vorher gemacht wurde, denke ich, dass wir das sachlicher angehen und weniger den Mann oder die Frau und mehr den Ball spielen. Das haben wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen. Wir wollen unsere eigenen Ideen vorbringen. Und wenn etwas grundlegend schiefläuft wie momentan, werden wir das anmerken, Stellung beziehen, Kommissionssitzungen und Pressekonferenzen einberufen, so wie vergangene Woche. Das Ziel ist nicht, eine Hexenjagd gegen einzelne Politiker oder Politikerinnen zu starten. Die jetzige Regierung ist also in einer komfortableren Position als die vorherige.

In Ihren ersten Reden in der Chamber haben Sie sich sehr stark in sozialen Themen positioniert, im Kampf für Gerechtigkeit und die Schwächsten in der Gesellschaft. Ist das eine Neuausrichtung?

Nein, das ist meine Grundausrichtung. Das stand auch immer ganz oben auf meiner Agenda als Justizministerin. Der Schutz der Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft ist etwas, was mich von jeher motiviert hat, mich zu engagieren. Und die Gerechtigkeitsfrage sowieso. Ich bin Juristin geworden, weil ich der Meinung bin, dass die Justiz da in all ihren Funktionen eine wichtige Rolle zu spielen hat. Das, was ich in den letzten Wochen gesagt und geschrieben habe, entspricht meinem Naturell.

Gibt es da mögliche Konfliktfelder und Konkurrenz mit der LSAP?

Bei den Abgeordneten, die ich besser kenne, sehe ich gar kein Konfliktpotential. Ganz im Gegenteil. Wir haben unterschiedliche Positionierungen und es ist nicht immer alles gleich. Es gibt Nuancen und es gibt auch Grundfragen, die für den einen oder anderen wichtiger sind. Insgesamt sehe ich da aber eine gute Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.

Potenzial für ein gemeinsames sozial-ökologisches Projekt? Das wäre ja sehr zeitgeistig?

Finden Sie? Wenn ich mir die internationale Politik anschaue, dann weiß ich nicht, ob das der Zeitgeist ist.

Nun ja, das stimmt. Aber als Opposition gegen den konservativen Zeitgeist?

Diese Regierung – und das haben die letzten Wochen schon gezeigt, sowohl in den Akten als auch in den Worten – ist auf einer sehr konservativen Schiene. Zum Teil auch auf einer Schiene, die mir sehr Sorgen bereitet, wenn ich verschiedene Aussagen höre, die den Weg frei machen für noch viel populistischere und rechtspopulistischere Parteien. Was die Freiheit der Kunst anbelangt, die Freiheit der Presse. Auch das Nichtberücksichtigen von geltenden Gerichtsurteilen, wie wir es gerade beim Bettelverbot und der einfachen Bettelei sehen. Bis jetzt haben wir ein Bettelverbot und eine ganz kleine Entlastung in Steuerfragen, die vor allem den Besserverdienern zugutekommt. Das zeigt in keine gute Richtung. Ich frage mich auch, ob es überhaupt noch eine Differenz zwischen CSV und DP gibt. Die ganze Diskussion um das Bettelverbot kommt ja von einer DP-Politikerin, die CSV hat nur die Türen geöffnet.

Der CSV ging es damals in der Opposition gezielt darum, die Grünen zu attackieren

Sam Tanson, „déi gréng“

Klimapolitik scheint für diese Regierung keine große Priorität zu sein, wie man Premier Friedens Neujahrsinterview entnehmen konnte.

Auf der einen Seite gibt es dieses Wording, das Frieden eingeführt hat: eine Klimapolitik, die die Leute nicht nervt. Im Neujahrsinterview kam dann dazu: Da muss man sich gar nicht so viele Sorgen machen, die Technologie wird das schon irgendwie klären. Ich finde das bedenklich, weil man der Bevölkerung damit zu verstehen gibt, man braucht gar nichts zu machen. Wobei es natürlich nicht am Einzelnen hängt, dass wir aus dieser Krise rauskommen. Das muss man schon globaler sehen: Die Industrie, die Staaten müssen einen Beitrag leisten. Aber man kann von den Leuten nichts abverlangen, wenn man ihnen schon von vornherein sagt, es sei kein Problem. Dabei wissen wir, dass wir alle unseren Part beitragen müssen, damit wir unseren Kindern noch eine gesunde Welt hinterlassen. Auf der anderen Seite: Alles, was ich bisher gehört oder gelesen habe, auch vom aktuellen Umweltminister, ist in der totalen Kontinuität mit dem, was wir davor gemacht haben. Das begrüßen wir. Aber es zeugt auch von einer politischen Doppelzüngigkeit, die zeigt, dass es der CSV damals in der Opposition gezielt darum ging, die Grünen zu attackieren.

Welche Themen wollen „déi gréng“ 2024 in der Opposition setzen?

Alle Klima- und Umweltfragen sind uns weiterhin wichtig. Da schauen wir uns an, was auf europäischer Ebene läuft. Bisher waren das EU-Parlament und die Institutionen eher ein Motor in diesen Fragen. Das könnte bald anders sein, wenn die Wahlen so ausgehen, wie es sich andeutet. Auch Fragen der Rechtsstaatlichkeit. Das ist natürlich in Reaktion auf das Regierungsprogramm. Da stehen noch ein paar andere interessante Verfahren drin, die kommen sollen, wie die „comparution immédiate“, die Eilverfahren in Strafrechtsfragen. Was uns wirklich Sorgen bereitet, ist die Frage der Renten. So wie die Diskussion angefangen hat und wo das hinsteuert, mit wem gesprochen werden soll und mit wem eben nicht.

Die Pläne der Regierung in dieser Hinsicht sind noch sehr vage.

So vage sind sie eigentlich nicht. Die Richtung, in die es gehen soll, scheint schon vorgezeichnet. Natürlich müssen wir unsere Renten absichern, das sagen wir auch nicht erst seit heute. Wir müssen uns vor allem in Zeiten, in denen die Digitalisierung eine große Rolle spielt, wo wir Firmen haben, die nicht viele Arbeitskräfte haben, aber eine sehr hohe Produktivität und Einnahmen erzielen, überlegen, wie wir die in die Verantwortung nehmen können. Es geht um die „base de côtisation“, die Beitragsgrundlage, und die Frage, ob wir solche Firmen da nicht mehr beteiligen können. Eng verbunden mit der Digitalisierung ist auch die Frage der Künstlichen Intelligenz. Das ist eine Frage, die uns in Zukunft immer mehr beschäftigen wird. Auch die ethischen Aspekte.

Wir leben in einer Feindbildgesellschaft: Es ist en vogue, auf alles und jeden zu hauen

Sam Tanson, „déi gréng“

Sie haben eben die Europawahl angesprochen. Blicken Sie mit Sorge auf den 9. Juni?

Die Europawahlen machen mir wirklich Sorgen. Nicht nur auf der Ebene von Luxemburg. Wir haben sechs Europaabgeordnete, der Impakt ist nicht der größte. Aber wenn ich die Tendenzen in der ganzen EU sehe, wenn ich sehe, wie einfach es rechtspopulistische Parteien gerade haben, sich mit ihrem Diskurs durchzusetzen. Und wie sehr das auch gefördert wird von traditionellen Mitte-rechts-Parteien, die den Weg bereiten und auf dieselben Themen springen. Wie in Frankreich, wo dann Gesetze gestimmt werden mit Unterstützung des Rassemblement national. Wenn ich auch sehe, wie eine AfD abdriftet in Deutschland … Ich bin natürlich sehr froh über die Reaktion der Bevölkerung. Aber ist das wirklich repräsentativ? Das werden wir erst sehen. Da verbreitet sich eine Politik, die bisher nur in ein paar europäischen Ländern so offensiv betrieben wurde. Gerade deshalb finde ich es so wichtig, ganz klare Grenzen zu ziehen und nicht in dieselben Fallen zu tappen. Das vermisse ich gerade ein bisschen bei einigen Politikern.

In Luxemburg wird die EU aus offensichtlichen Gründen positiver gesehen als in anderen Ländern. Kann Luxemburg dazu beitragen, das Image der EU bei seinen Nachbarn zu verbessern?

Das wäre schön. Ich weiß nicht, ob wir gehört werden bis in die unterschiedlichen Provinzen von Benelux. Ich sehe eher die andere Gefahr: dass dieser Anti-EU-Diskurs auch hier fruchten könnte. Ich war sehr erstaunt, als ich die Landwirtschaftsministerin bei RTL gehört habe, die sich über all diese schrecklichen Regelungen auf EU-Ebene ausgelassen hat. Mit einem Wording, das man eher von anderen Parteien kennt. Wir wären sicherlich nicht da, wo wir heute sind, wenn es die EU nicht geben würde. Deshalb haben Politiker, vor allem in der Exekutive, auch die Verantwortung nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. Auch wenn man weiß, dass diese Vereinfachungsdiskurse gerade sehr gut fruchten. Wir leben in einer Feindbildgesellschaft, es ist en vogue auf alles und jeden zu hauen. Ich sehe das anders: Als Politiker hat man die Pflicht, Feindbilder abzubauen und die Menschen zusammenzubringen. Das verhindert nicht, dass man in Brüssel sagt: Hören Sie mal, das, was da auf dem Papier steht, ist nicht umsetzbar, können wir das bitte ändern?

Guy
7. Februar 2024 - 10.20

@paulsabese/ GUT GEMACHT !!

paulsabese
6. Februar 2024 - 18.52

Ich habe fast geweint, als ich bei den letzten Wahlen, nach über 50 Jahren, die sozialistische Partei nicht mehr gewählt habe. Aber ich wollte unbedingt vermeiden, zumindest meinen kleinen Teil dazu beitragen, dass die Grünen nicht mehr in die Regierung kommen.

De Supertuerm
6. Februar 2024 - 11.04

Wenn die Grünen auch die EU Wahlen in den Sand setzen (mit oder ohne Bausch), kann es durchaus sein, dass der Kartheiser den Sitz erhaschen wird.
Dann kann der Harrdy von der ADR in der Chamber sein Unwesen treiben.

ökostalinist
5. Februar 2024 - 17.21

Déi Gréng ware leider net radikal genuch, si haten Angscht virum eegenen Courage. Hei kommentéieren wahrscheinlech och just Leit laang jenseits vun der mid-life crisis déi hir Scheedung mat engem SUV kompenséieren an kee Meter un déi zukünfteg Generatiounen denken.

Richteg wier: DG sollen zu hiren Wuerzeln zeréck an wierklech radikal ginn, da géifen se vläicht och erëm gewielt ginn. Eng öko-Versioun vun der DP brauch keen. Klimakris bekämpfen, op dem Bockel vun denen Räichen. Leider schéngt et bei DG eng ze grouss Sympathie fir Leit mat Yachten an Privatjetten ze ginn ...

Pätter
5. Februar 2024 - 16.20

@ jung.luc.lux/
D'accord, mee wéi wär et da mat roude Kabes?

jung.luc.lux
5. Februar 2024 - 14.28

Nie mei grenge Kabes.

JJ
5. Februar 2024 - 13.58

Die Grünen waren,wie ihr deutsches Gegenpart,auf einer zu revolutuinären Schiene. Habeck&Co werden das auch bald spüren.

JM
5. Februar 2024 - 11.53

Happsach nie mei DEI Greng.

den tutebatty
5. Februar 2024 - 8.33

Und die hat das erst jetzt gemerkt!