Salvini-Drohung schockiert Italiens Roma: „Hoffentlich rettet uns Europa“

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Italiens Innenminister will Roma und Sinti zählen – und alle ohne italienische Staatsbürgerschaft "deportieren" lassen. Am liebsten würde er das auch mit jenen machen, die Italiener sind. Aber "leider" gehe das ja nicht, so der Politikler der rechtsextremen Lega. Wir haben bei italienischen Roma nachgefragt, was solche Aussagen eines Ministers mit den Menschen machen. Eines...

Italiens neuer Innenminister von der rechtsextremen Lega hat für einen weiteren rassistischen Eklat gesorgt. Am Montagabend kündigte er im Fernsehen an, die Roma und Sinti in Italien zählen zu wollen – um dann jene ohne italienische Staatsbürgerschaft zu deportieren. Am liebsten würde er alle außer Landes schaffen, aber das gehe bei Menschen mit italienischem Pass ja „leider“ nicht, so Salvini.

Es ist der zweite Auftritt des Lombarden binnen weniger Tage, der die Gemüter erhitzt. Vor Kurzem erst hatte Salvini Italiens Häfen für das Flüchtlingsschiff Aquarius sperren lassen. Viele Italiener – einer rezenten Umfrage zufolge 64 Prozent – begrüßten die Initiative. Salvini fühlte sich offenbar von der Zustimmung beflügelt – und teilt nun gegen Roma und Sinti aus.

Doch sind diese tatsächlich ein Problem für Italien? Und wie fühlen sich die betroffenen Menschen selber? Vor allem, wenn man bedenkt, dass die allermeisten von ihnen Italiener sind und sich nun von einem ihrer Minister anhören müssen, dass er sie am liebsten des Landes verweisen würde.

Über wie viele Menschen wird hier überhaupt geredet?

In Italien leben etwa 180.000 Roma und Sinti, erklärt der Leiter der Organisation Associazione 21 Luglio, Carlo Stasolla. Die Gesamtbevölkerung Italiens liegt bei etwa 60 Millionen. Stasolla kümmert sich mit seiner Organisation vor allem um benachteiligte Roma-Kinder. 60 Prozent aller Roma und Sinti in Italien seien Italiener, sagt Stasolla.

In Lagern, die an Dritte-Welt-Slums erinnern, leben rund 26.000 Roma und Sinti, die Hälfte davon Kinder. Hierbei handelt es sich vor allem um Menschen aus Rumänien, die um das Jahr 2000 herum in größerer Zahl ins Land gekommen sind. Das war die letzte große Roma-Bewegung in Richtung Italien. Aber bei Weitem nicht die erste. Stasolla erinnert daran, dass sich bereits ab dem 14. Jahrhundert Roma und Sinti in Italien niedergelassen haben.

Erst die Migranten, nun die Roma und Sinti –
von Salvini müssen wir noch alles Mögliche erwarten
Carlo Stasolla, Leiter der Associazione 21 Luglio

Stasolla erzählt davon, wie miserabel die Lebensbedingungen in den insgesamt 148 Camps tatsächlich sind. Die „hygienischen und sanitären Zustände sind extrem“, sagt er. Doch betreffen sie nur einen geringen Teil der Roma-Bevölkerung Italiens. Die allermeisten gehen einem ganz normalen Leben nach, haben eine Arbeit, schicken ihre Kinder zur Schule. Diese Menschen fühlen sich nun ebenfalls angegriffen von ihrem Innenminister.

Toni Deragna ist einer von ihnen. Der 30-Jährige lebt in Mailand, arbeitet in der Design-Branche und schäumt vor Wut, wenn man ihn auf Salvini anspricht. „Mein Urgroßvater wurde als Partisan dabei erschossen, wie er dieses Land befreien wollte – und jetzt hätten sie mich am liebsten draußen.“ Der junge Mann kann es nicht verstehen, dass nun, im 21. Jahrhundert, in Italien erneut Gesetze geplant sind, die sich nach Rassen richten. „Salvini“, sagt Deragna, „macht nichts anderes, als Mussolinis Rassegesetze wieder einzuführen.“

Erinnerungen an Mussolinis Rassegesetze

Der Römerin Gabriella Stojanovic geht es gefühlsmäßig nicht viel anders. Auch die 26-Jährige ist geschockt von Salvinis Äußerungen, hat aber noch ein weiteres Problem. Nur Gabriella und ihre Schwester haben die italienische Staatsbürgerschaft, ihre Eltern, Tanten und Onkel nicht. Zusammen mit ihrer Familie kam sie im Zuge der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren nach Italien. Die junge Frau, die im Olympiastadion Besucher betreut und nebenher ein Kunstprojekt leitet, befürchtet, dass Salvinis Äußerungen den Rassismus gegenüber Roma und Sinti noch weiter befeuern. „Er redet von uns, als seien wir Parasiten“, sagt sie, „er füllt sein Land mit Rassismus.“

Überrascht von Salvinis rassistischer Äußerung war keiner der Befragten. Stasolla hält den Innenminister für einen „skrupellosen und gefährlichen Typen“. Auch der italienische Journalist Ciro Oliviero, der sich vor allem mit Sozialfragen beschäftigt, sieht das so. „Wieso sollte ich überrascht sein?“, fragt Oliviero zurück, „der macht das ja schon seit Jahren so.“ Salvini fühle sich zu solchen Sätzen berufen, da er die Unterstützung in der Bevölkerung spüre. „Und nicht nur bei seinen Lega-Leuten, auch ein Teil der M5S-Wähler denkt so“, sagt Oliviero.

Er redet von uns, als seien wir Parasiten. Er füllt sein Land mit Rassismus.
Gabriella Stojanovic, 26, arbeitet als Betreuerin im Olympiastadion

Gestern ging der Chef vom Lega-Koalitionspartner, Luigi Di Maio, zwar erst einmal auf Distanz zu Salvini. Doch bereits bei der Wahl um den Bürgermeisterposten in Rom im Jahr 2016 klang das alles ganz anders bei den Populisten, die sich weder auf links noch auf rechts festlegen wollen. Ihre Kandidatin Virginia Raggi, die die Wahl am Ende später gewann, fischte damals auch am rechten Rand nach Stimmen. Während des Wahlkampfes versprach sie, in ihrer ruhigen Art, die Vermögen der Roma und Sinti überprüfen zu lassen.

Journalist Oliviero führt die gegenwärtig rassistische Stimmung in seinem Land auch auf die Medien und auf Fake News zurück. „Die Vorurteile, die Italiener gegenüber Roma und Sinti haben, sind tief verwurzelt“, sagt Oliviero. Wenn Medien von Roma berichteten, dann immer nur aus den Camps, wo es tatsächlich Probleme gebe und wo vor allem die Menschen, die in direkter Nachbarschaft leben, in ihren Ressentiments bestärkt würden.

Fake News erledigen den Rest

In den sozialen Medien werde diese Ansicht durch weit verbreitete Fake News über Verbrechen durch Roma noch verstärkt. „Fakten haben da längst keine Chance mehr“, bedauert Oliviero. Hinzu komme schlicht und einfach, dass die meisten Roma und Sinti ganz normale Italiener seien. „Salvini würde die natürlich nicht einmal erkennen, wenn er sie sieht, keiner kann das, sie sind wie wir anderen auch“, sagt Oliviero.

Die Äußerungen Salvinis sind auch in Brüssel mit Besorgnis aufgenommen worden. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici nannte die Ideen Salvinis „schockierend und frösteln machend“ und nicht mit den Regeln der EU vereinbar. Das zu hören, dürfte besonders Gabriella Stojanovic freuen. Wenn es um einen Ausweg aus dieser Situation geht, steckt sie große Hoffnungen in die Europäische Union. „Ich hoffe, dass die Europäische Union Salvini stoppen wird, ich hoffe, dass sie uns retten wird“, sagt sie.

Zeit des „Si Padrone“ ist vorbei, schickt Salvini als Gruß nach Brüssel

Salvini aber will sich auch von Brüssel nicht ausbremsen lassen. Gestern erklärte er, inmitten der ganzen Aufregung, sein Programm fortführen zu wollen. Mit der Zeit des strikten Gehorsams, des „Si Padrone“, sei es vorbei. Italien werde zuerst an seine Interessen denken, so der Innenminister.

Doch Italien wäre nicht Italien, wenn es nicht gleich erste Gegenreaktionen gäbe. So meldete sich gestern Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando zu Wort. „In Palermo wird niemand auch nur einen Roma zählen“, sagte der Politiker der Mitte-links-Partei Italia dei Valori. Und fügte hinzu: „Und auch sonst keinen.“

Ein Zeichen für begründeten Optimismus ist das wohl nicht. Bei der Zustimmung, die Salvinis Lega zurzeit unter Italiens Wählern genießt, gleicht es eher einem Tropfen auf den heißen Stein. Das weiß auch Sozialarbeiter Stasolla. „Erst die Migranten, nun die Roma und Sinti – von Salvini müssen wir uns noch alles Mögliche erwarten“, ahnt Stasolla düster die Zukunft Italiens voraus.