StandpunktRusslands Krieg und die Weltwirtschaft

Standpunkt / Russlands Krieg und die Weltwirtschaft
 Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine vollständige Invasion der Ukraine begonnen. Deshalb müssen wir nun die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen dieser massiven historischen Entwicklung untersuchen. Der Ukraine-Krieg ist nicht nur ein weiterer kleiner und global unbedeutender Konflikt von der Art, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten gesehen haben. Er ist eine massive Eskalation des Zweiten Kalten Krieges, in dem vier revisionistische Mächte – China, Russland, Iran und Nordkorea – die lange globale Dominanz der Vereinigten Staaten und ihrer internationalen Nachkriegsordnung unter westlicher Führung zunehmend herausfordern.

Nun besteht die Gefahr, dass die Märkte und die politischen Analysten die Auswirkungen dieses weltweiten Regimewandels unterschätzen. Zum Marktschluss des 24. Februar, am Tag der Invasion, waren die US-Aktienmärkte gestiegen – in der Hoffnung, der Krieg würde die Zinserhöhungen der US-Notenbank Federal Reserve verlangsamen. Aber was die breitere Wirtschaft betrifft, ist jetzt eine weltweite stagflationäre Rezession sehr wahrscheinlich. Analysten fragen sich, ob die Fed und andere großen Zentralbanken diese Krise und ihre Folgen abfedern können. Darauf sollten wir uns aber nicht verlassen: Der Krieg in der Ukraine wird einen massiven negativen Angebotsschock für die Weltwirtschaft auslösen, das Wachstum verringern und die Inflation weiter steigern – zu einem Zeitpunkt, an dem die Inflationserwartungen bereits in die Höhe gehen.

Kurzfristiger Aspekt bereits absehbar

Der kurzfristige Effekt des Krieges auf die Finanzmärkte ist bereits absehbar: Angesichts eines massiven stagflationären Schocks mit entsprechender Risikoflucht könnten die weltweiten Aktienmärkte von der momentanen Korrekturphase (-10%) in einen Bärenmarkt übergehen (-20% oder mehr). Sichere Staatsanleihen werden eine Weile im Kurs fallen und dann, wenn die Inflation in die Höhe schnellt, steigen. Öl und Erdgas werden – mit weit über 100 Dollar pro Barrel – neue Preisspitzen erreichen, ebenso wie viele andere Rohstoffe, da sowohl Russland als auch die Ukraine große Exporteure von Rohmaterialien und Nahrungsmitteln sind. Der Goldpreis und Sichere-Hafen-Währungen wie der Schweizer Franken werden weiter steigen.

Der wirtschaftliche und finanzielle Effekt des Krieges und des nachfolgenden stagflationären Schocks werden natürlich in Russland und der Ukraine am stärksten sein – gefolgt von der Europäischen Union, die massiv von russischem Gas abhängig ist. Aber auch die USA werden leiden. Da die weltweiten Energiemärkte so stark integriert sind, werden weltweite Preisspitzen beim Öl – die durch die Brent-Notierung ausgedrückt werden – auch die Preise für US-Rohöl (West Texas Intermediate) erheblich beeinflussen. Ja, die USA sind zwar inzwischen ein kleiner Energienettoexporteur, aber die makroökonomischen Effekte des Schocks werden trotzdem negativ sein. Ein paar Energieunternehmen könnten höhere Gewinne machen, aber Haushalte und Unternehmen werden einen massiven Preisschock erleiden und deshalb ihre Ausgaben verringern.

Angesichts dieser Dynamik wird sogar die sonst starke US-Wirtschaft einen scharfen Rückgang und eine stagflationäre Wachstumsrezession erleben. Weiter verschärft werden die negativen makroökonomischen Effekte der Invasion durch restriktivere Finanzierungsbedingungen und die daraus entstehenden Folgen für Unternehmen, Verbraucher und das Investorenvertrauen – sowohl in den USA als auch weltweit.

Auswirkungen auf den Westen

Auch die bevorstehenden Sanktionen gegen Russland – wie umfangreich sie auch ausfallen und wie nötig sie für zukünftige Abschreckung auch sein mögen – werden unweigerlich nicht nur Russland weh tun, sondern auch den USA, dem Westen und den Entwicklungsländern. Darüber hinaus ist es möglich, dass Russland auf neue westliche Sanktionen mit eigenen Gegenmaßnahmen reagieren wird: vor allem mit einer stark verringerten Ölförderung, um die weltweiten Ölpreise noch weiter in die Höhe zu treiben. Solange die Preissteigerungen größer sind als der Rückgang der Ölexporte, würde dies für Russland einen Nettogewinn bedeuten. Putin weiß, dass er den westlichen Volkswirtschaften und Märkten asymmetrisch schaden kann, da er den größten Teil des letzten Jahrzehnts damit verbracht hat, seine Kriegskasse aufzufüllen und sich finanziell gegen zusätzliche Wirtschaftssanktionen abzuschirmen.

Ein tiefer stagflationärer Schock ist für die Zentralbanken ein Albtraum, ob sie nun darauf reagieren oder nicht. In einem Umfeld steigender Inflation, in dem sie bereits im Hintertreffen sind, könnte eine langsamere geldpolitische Straffung die Inflationserwartungen noch beschleunigen und die Stagflation noch verschlimmern. Aber wenn die Zentralbanken die Zinsen erhöhen, wird die drohende Rezession noch schlimmer.

Obwohl die Zentralbanken die Rückkehr der Inflation aggressiv bekämpfen sollten, werden sie wahrscheinlich (wie in den 1970ern) versuchen, sie unter den Tisch zu kehren. Sie werden argumentieren, das Problem sei vorübergehend, und die Geldpolitik könne einen exogenen negativen Angebotsschock nicht beeinflussen oder rückgängig machen. Wenn dann der Moment der Wahrheit kommt, werden sie wahrscheinlich einknicken und sich für eine langsamere geldpolitische Straffung einsetzen, um eine noch schlimmere Rezession zu verhindern. Dies wird die Inflationserwartungen weiter steigern.

Mehr als vorübergehende Folgen

Die Politiker werden unterdessen versuchen, den negativen Angebotsschock zu dämpfen. In den USA werden sie den Anstieg der Benzinpreise dämpfen wollen, indem sie ihre strategischen Ölreserven anzapfen und Saudi-Arabien dazu drängen, die Ölförderung zu erhöhen. Aber diese Maßnahmen werden nur einen begrenzten Effekt haben, da die Ängste vor weiteren Preisspitzen dazu führen, dass weltweit Energie gehortet wird.

Auch auf die Haushaltspolitik können sich die westlichen Politiker im Kampf gegen die wachstumsdämpfenden Effekte des stagflationären Schocks nicht verlassen. Erstens geht den USA und vielen anderen Industrienationen die fiskale Munition aus, da sie gegen die Pandemie bereits alle monetären Dämme eingerissen haben. Und zweitens sind haushaltspolitische (Nachfrage-) Stimuli die falsche Antwort auf einen stagflationären Angebotsschock. Sie können zwar die negativen Wachstumseffekte verringern, tragen aber zum Inflationsdruck bei. Und wenn die Politiker gegen den Schock sowohl geldpolitische als auch haushaltspolitische Maßnahmen einsetzen, werden die stagflationären Folgen aufgrund noch stärker steigender Inflationserwartungen noch schlimmer sein.

Es ist verführerisch zu glauben, der russisch-ukrainische Konflikt hätte nur geringe und kurzfristige wirtschaftliche und finanzielle Folgen. Immerhin trägt Russland mit nur 3% zur Weltwirtschaft bei (und die Ukraine noch viel weniger). Aber die arabischen Staaten mit ihrem Ölembargo von 1973 und das revolutionäre Iran im Jahr 1979 hatten einen noch kleineren Anteil am globalen BIP als Russland heute.

Putins Krieg wird dem weltweiten Vertrauen einen massiven Schlag versetzen – zu einer Zeit, in der die fragile Erholung bereits von Unsicherheit und steigendem Inflationsdruck begleitet ist. Die Folgen der Ukraine-Krise werden alles andere als vorübergehend sein.

* Nouriel Roubini, emeritierter Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University, ist Chefökonom bei Atlas Capital Team, einem Vermögensverwaltungs- und Fintech-Unternehmen, das sich auf die Absicherung gegen Inflation und andere Folgerisiken spezialisiert hat.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

Copyright: Project Syndicate, 2022, www.project-syndicate.org