Debatte um BettelverbotRekordpetition, Rechtsunsicherheit und Praxisprobleme 

Debatte um Bettelverbot / Rekordpetition, Rechtsunsicherheit und Praxisprobleme 
Alle Unklarheiten beseitigt? Ein Flyer soll in Luxemburg-Stadt über das Bettelverbot aufklären. Foto: Editpress/Alain Rischard

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Die Debatte um das Bettelverbot zieht immer weitere Kreise: Eine Petition erreicht in Rekordzeit die notwendigen Unterschriften, Justizministerin Margue kündigt eine Reform des „Code pénal“ an – während die Polizeigewerkschaft an der praktischen Umsetzung der umstrittenen Polizeiverordnung zweifelt.

Schon am Mittwoch hat sie die Hürde von 4.500 Unterschriften genommen, einen Tag später steht sie bei mehr als 5.000. Und dabei ist die Petition Nr. 2991 zum Bettelverbot in Luxemburg-Stadt gerade einmal sechs Tage online. Initiiert hat sie Marc Faramelli unter dem Titel „Das Betteln jederzeit und überall erlaubt lassen!“. Die zahlreichen Unterzeichner argumentieren, dass Betteln ein Teil des Rechts auf Selbstbestimmung sei, wie es im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. „Jeder kann durch Schicksalsschläge in die missliche Situation geraten, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein“, schreibt Faramelli. Wenn man dann so arm dran sei, dass man betteln müsse, sollte man nicht auch noch kriminalisiert werden. Aggressive oder organisierte Bettelei, laut Innenminister Léon Gloden (CSV) und Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) das alleinige Ziel der Änderung der Polizeiverordnung, sollen den Unterzeichnern nach weiterhin verfolgt werden. Weil die Petition mehr als 4.500 Unterschriften erreicht hat, wird es nun zu einer öffentlichen Anhörung in der Chamber kommen – vorausgesetzt, der für Petitionen zuständige Ausschuss des Parlaments erkennt die Unterschriften als gültig an.

Die hitzige Debatte ums Bettelverbot, die im ausklingenden Jahr mit der überraschenden Entscheidung von Innenminister Gloden begann, hat also gerade erst richtig an Fahrt aufgenommen. In einem Interview mit RTL erklärte Georges Oswald, Staatsanwalt des Bezirksgerichts Luxemburg, am Mittwochmorgen, die Änderung in der Polizeiverordnung von Luxemburg-Stadt zum Verbot von Bettelei habe keine juristische Grundlage. Justizministerin Elisabeth Margue (CSV) reagierte am Donnerstag ebenfalls im Interview mit RTL auf Oswalds Aussagen. „Recht ist keine exakte Wissenschaft“, so Margue. Es gebe Raum für Interpretationen und Divergenzen. Staatsanwalt Oswald hatte auf eine juristische Unklarheit im „Code pénal“ hingewiesen: Bei Änderungen des Immigrationsgesetzes wurden im Jahr 2008 auch Artikel 563 angepasst, der das Betteln betrifft. Laut Oswald wurde dabei aus „Versehen“ ein Satz im Strafgesetzbuch umgestellt. Das Ergebnis: eine Rechtsunsicherheit, die so auf unterschiedliche Art interpretiert werden kann, mal als Verbot einfacher Bettelei, mal als dessen Aufhebung. 

„Code pénal“ sei nicht mehr zeitgemäß

Margue begründet ihre Interpretation der Gesetzeslage wie folgt: Die Intention der Gesetzgeber sei damals nicht gewesen, die einfache Bettelei aus dem „Code pénal“ zu streichen. „Es bleibt die Unsicherheit, was wir damit machen“, so die Justizministerin. Gerichte hätten die einfache Bettelei in den vergangenen Jahren effektiv als abgeschafft angesehen. „Meine Rolle ist nicht, zu beurteilen, ob das drin steht oder nicht. Die Frage, die sich für mich stellt, ist: Kläre ich den Punkt? Mache ich ein Gesetz, das den Fehler, der damals gemacht wurde, berichtigt, oder nicht?“, so Margue. Für die Justizministerin habe die Umsetzung des Koalitionsvertrags Priorität, im Interview schließt sie aber nicht aus, die juristische Unklarheit hinsichtlich der einfachen Bettelei im Rahmen einer globalen Reform des „Code pénal“ zu klären. In den Gesetzestexten von 1809 gebe es eine ganze Reihe an veralteten Verfügungen, so Margue, wie zum Beispiel das Verbot von Duellen oder von Wahrsagerei. „Das ist absolut nicht mehr zeitgemäß.“ Solch eine Reform sei in den nächsten fünf Jahren angedacht.

So viel zur juristischen Theorie. Das Bettelverbot hat auf den Straßen der Hauptstadt seit Montag aber auch ganz praktische Auswirkungen. Marlène Negrini, Präsidentin der Polizeigewerkschaft SNPGL, kritisiert am Donnerstag im Interview mit 100,7, das Verbot würde dazu führen, dass die Polizei alle Bettler sanktionieren müsse, auch jene, die nicht aggressiv seien. „Die Polizei muss sich an Gesetze und Reglemente halten. Deshalb hat sie jetzt den schwarzen Peter“, so Negrini. „Es liegt nicht in der Entscheidungsgewalt des Polizisten, wer aufgeschrieben wird und wer nicht.“ Polizisten müssten alle Verstöße protokollieren, die sie sehen, damit ein Gericht später entscheiden könne.

Theorie des Verbots scheitert an der Praxis

Das heißt, alle Menschen, die da sitzen und betteln, müssen protokolliert werden. […] Entweder der Polizist protokolliert alle, dann ist das kein Fingerspitzengefühl. Oder er protokolliert niemanden, dann macht er seine Arbeit nicht richtig, denn dem Gesetz nach muss er alle kontrollieren, die das Gesetz brechen.

Marlène Negrini, Präsidentin der Polizeigewerkschaft SNPGL

Der Plan von Innenminister Gloden und Bürgermeisterin Polfer, mit der Änderung in der Polizeiverordnung nur aggressive und organisierte Bettelei in Visier zu nehmen, lässt sich in der Praxis also nicht umsetzen. Die Polizei müsse alle Menschen gleich behandeln, so Negrini. Man könne nicht den einen protokollieren und die andere daneben sitzen lassen. „Entweder alles oder gar nichts.“ In der Polizeiverordnung sind neben der organisierten auch „alle anderen Formen“ von Bettelei erwähnt. „Das heißt, alle Menschen, die da sitzen und betteln, müssen protokolliert werden“, so die Polizeigewerkschafterin. Polizeiminister Gloden hatte kürzlich davon gesprochen, die Polizei würde schon das nötige Fingerspitzengefühl aufweisen, um zu entscheiden, wen sie kontrolliert und wen nicht. Negrini verneint das: „Wir können auf der Straße keinen Unterschied machen. Entweder der Polizist protokolliert alle, dann ist das kein Fingerspitzengefühl. Oder er protokolliert niemanden, dann macht er seine Arbeit nicht richtig, denn dem Gesetz nach muss er alle kontrollieren, die das Gesetz brechen.“

Auch die Polizeigewerkschaft wünscht sich mehr Klarheit. „Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn Madame Justizministerin und Madame Bürgermeisterin ihre beiden Artikel, den Artikel 563 im ‚Code pénal’ und den Artikel 42 im Gemeindereglement der Stadt Luxemburg, überdenken würden.“ In der Zwischenzeit werde die Polizeigewerkschaft die Verordnung juristisch prüfen lassen. Eines ist jedoch sicher: In den kommenden Tagen soll die Polizeipräsenz in der Straßen der Hauptstadt weiter erhöht werden. Um wie viele Beamte es sich genau handeln wird, dazu hat die Polizeigewerkschaftlerin keine Informationen.

Nomi
19. Januar 2024 - 15.11

Ech mengen di ganz penal Gesetzgebung brauch een Masterreset ob d'Johr 2000 !

benschul
18. Januar 2024 - 19.14

Wann kommen wir endlich los in verschiedenen Bereichen von allen Wurzeln die bis ins Mittelalter hineinreichen. Nach aussen hin tun wir, als ob wir jeden Tag das Pulver erneut erfinden würden und nach innen sind wir noch im tiefsten Mittelalter als Leibeigene an eine Monarchie gebunden.

Robert Hottua
18. Januar 2024 - 18.46

Wenn Gesetzestexte von 1809 zur Debatte stehen, dann ist eine historische Betrachtung des Umgangs mit Bettelei in Luxemburg angesagt. MfG Robert Hottua