Radland Luxemburg?Praxistest: Wie Jutta Wirtz und Melina Multon mit dem Rad von Esch zur Arbeit in die Hauptstadt fahren

Radland Luxemburg? / Praxistest: Wie Jutta Wirtz und Melina Multon mit dem Rad von Esch zur Arbeit in die Hauptstadt fahren
Nicht immer geht es derart malerisch für Jutta Wirtz und Melina Multon auf dem Weg zur Arbeit von Esch in die Hauptstadt wie auf diesem Foto zu Foto: Julien Garroy/Editpress

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Luxemburg, das Land der Radfahrer? Die Menschen scheinen in Zeiten der Corona-Krise das Zweirad wiederentdeckt zu haben, weshalb die Regierung den „Vëlosummer 2020“ ausgerufen hat. Man schmückt sich mit rund 700 Kilometern Radwegen, doch im Alltag stößt der Radfahrer im Großherzogtum auf zahlreiche Hindernisse. Das Tageblatt hat zwei Frauen auf ihrem Weg zur Arbeit von Esch in die Stadt begleitet. Mit dem Fahrrad.

Esch, Dienstagmorgen, 7.00 Uhr. Es ist frisch, so um die 12° Celsius. Doch ein wunderschöner Sommertag kündigt sich an. Dementsprechend gut ist die Laune bei Jutta Wirtz (46) und Melina Multon (55). Seit Corona setzen sie verstärkt auf das Fahrrad als Transportmittel. Vor ein paar Monaten kauften sie sich jeweils ein E-Bike und profitierten vom Zuschuss des Staates (600 Euro) und der Gemeinde (200 Euro). 

Zwei- bis dreimal pro Wochen fahren sie momentan mit dem Rad zur Arbeit, abhängig von ihrem Zeit- respektive Schichtplan. Melina Multon ist Hebamme in der „Maternité“ des CHL, Jutta Wirtz Psychologin in der Direktion der Grundschulen der Stadt Luxemburg. Sie arbeitet direkt neben dem CHL, weshalb sich beide des Öfteren gemeinsam auf den Weg machen. Melina und Jutta wollen zeigen, was es bedeutet, mit dem Fahrrad von Esch zur Arbeit nach Luxemburg-Stadt zu fahren. Aus Rücksicht auf ihren Begleiter starten sie heute erst um 7.00 Uhr, sonst geht es meist schon um 6.00 Uhr los. Ihr Zeit- und Schichtplan lässt das an diesem Dienstag zu und der sie begleitende Journalist, dessen Tagesrhythmus nach 25 Jahren im Beruf nicht auf solch frühe Stunden ausgerichtet ist, dankt es ihnen. Er ist ein begeisterter Rennradfahrer und begleitet die beiden folgerichtig ohne elektrische Hilfe. Mit im Schlepptau, allerdings im Auto unterwegs, ist Tageblatt-Fotograf Julien Garroy. 

Los geht es im Escher Clair-Chêne. Es ist vergleichsweise ruhig auf den Straßen. Die Ferien haben schließlich begonnen. „Normalerweise ist hier mehr los. Wir hätten das hier vielleicht vor zwei Wochen machen sollen“, ruft Jutta Wirtz nach hinten. Später erzählt sie, dass sie am Tag zuvor mit dem Auto zur Arbeit gefahren ist und ab Foetz in einem einzigen, nicht enden wollenden Stau stand. Um dem Stau zu entgehen, müsse man spätestens um 6.00 Uhr in Esch losfahren, sagt sie. Dann schaffe man es in 30 bis 45 Minuten bis zum CHL, später werden dann schnell 1:30 Stunden daraus. „Und man hat Stress.“

Mit Stress wollen die beiden Frauen ihren Tag nicht beginnen. Brauchen sie auch nicht, denn schnell ist der Weg entlang der Dipbech erreicht und von da geht es direkt auf den Fahrradweg rund um Lallingen. Der könnte zwar in einem besseren Zustand sein, doch um diese Uhrzeit sind hier immerhin noch keine Spaziergänger mit Hunden unterwegs. Das ist tagsüber anders und durchaus eine Gefahrenquelle für Mensch und Tier. Am Ortsschild Monnerich gleich neben der alten Mülldeponie müssen die beiden auf die Straße. Der Radweg ist zu Ende, bis zur Kirche bewegt man sich im relativ dichten Straßenverkehr. Auch auf der Hauptstraße in Richtung Foetz ist viel Verkehr, vor allem Lkw-Verkehr. Jutta Wirtz und Melina Multon müssen jetzt links abbiegen, ein Autofahrer lässt sie durch und sie bedanken sich per Handzeichen. 

Mit der Gartenschere

Das Schlimmste scheint erst einmal überstanden. Auf dem Sträßchen von Monnerich nach Wickringen dürfen neben Rädern nur Busse verkehren, die beiden Radlerinnen genießen die Morgensonne und ziehen an Korn- und Sonnenblumenfeldern vorbei. Das ist es, was Melina Multon meint, wenn sie von stressfrei zur Arbeit kommen spricht. Leider ist die Straße kurz und Jutta Wirtz biegt auf ihren „Geheimweg“ an der Autobahnauffahrt Wickringen ab. Es ist nicht viel Platz zwischen Gestrüpp und Leitplanke. Die Psychologin erzählt, dass sie hier schon selbst mit der Gartenschere Hand angelegt hat, als die Natur zu sehr in Richtung Weg wucherte. „Ich habe mich außerdem bei den betreffenden Gemeinden und bei der ‚Vëlo-Initiativ’ gemeldet, ob es keinen anderen Weg für Radfahrer gäbe. Den gibt es aber noch nicht. Die Verbindung wird demnächst erst gebaut“, erzählt sie. Fehlende Verbindungen zwischen einzelnen Radwegen sind ein großes Problem für Radpendler. Das wird an diesem Morgen sehr deutlich.     

In Wickringen wechseln Jutta Wirtz und Melina Multon die Straßenseite und fahren bis Ehlingen auf dem Bürgersteig. Sie wissen, dass man das als Radfahrer eigentlich nicht darf. Doch auch hier ist den Müttern definitiv zu viel los auf der Straße, zu viele Lastwagen unterwegs.   

Es ist eh nur ein kleines Stück. Durch Ehlingen geht es bergauf in Richtung Reckingen. Spätestens hier macht sich das E-Bike bezahlt. Auf dem Weg zum CHL sind insgesamt 278 Höhenmeter bewältigen. Mit dem Turbomodus lassen die zwei Frauen im Berg selbst trainierte Rennradfahrer alt aussehen. „Ab hier wird es super“, ruft Melina nach hinten. Der Feld- und Waldweg ist erreicht. Zehn Kilometer sind absolviert. Es sind noch rund fünf Kilometer nach Leudelingen und 11 Kilometer an die Stadtgrenze in Merl. Das Terrain ist wellig, doch die E-Bikes leisten ganze Arbeit. Trotzdem, erzählen sie, gehen beide noch vor Arbeitsantritt duschen. Immerhin gibt es an ihren Arbeitsstellen sowohl Duschen als auch sichere Abstellmöglichkeiten für ihre Räder. Die Kleidung für den Tag hat Jutta Wirtz dabei. Melina Multon trägt als Hebamme Arbeitskleidung, die sowieso erst bei Dienstantritt angezogen wird.  

In Leudelingen angekommen, fehlt erneut die Verbindung zwischen zwei Radwegen. Wieder geht es in den Straßenverkehr. Wenn auch nur kurz. Im Waldstück zwischen Leudelingen und Cessingen ist schon mehr los. Viele Spaziergänger sind mit ihren Hunden unterwegs. Der Weg ist aber relativ breit, und an diesem Morgen nehmen alle Rücksicht aufeinander. In Cessingen angekommen, geht es ein Stück auf dem Radweg entlang der Autobahn. Jutta Witz lacht: „Irgendwie ist es jedes Mal schön, wenn wir hier mit dem Rad unterwegs sind und sehen, wie die Autos im Stau stehen.“ Diese Schadenfreude kann man ihr durchaus gönnen, schließlich ist sie oft genug selbst ein Teil des Staus. Und wird es auch in Zukunft sein, denn Jutta kann sich nicht vorstellen, im Winter den Weg zur Arbeit mit dem Rad zu bestreiten. „Momentan ist das toll, es ist früh morgens schon hell und spät abends auch noch. Außerdem hatten wir bis jetzt fast immer gutes Wetter. Im Winter ist das alles noch gefährlicher, als es eh schon ist“, sagt die Mutter dreier Kinder. Melina Multon sieht das genauso. Sie kennen sich, weil ihre Jungs miteinander befreundet sind. Auch den öffentlichen Transport haben sie probiert. Der Zeitplan sehe da auf mobiliteit.lu zwar immer gut aus, in der Praxis erweist er sich aber als nicht realistisch. Auch Busse stehen im Stau. 

Stadt- und Baustellenverkehr

In Merl angekommen, ist Stadtverkehr angesagt. Und Baustellenverkehr. Überall wird gearbeitet und der Verkehr ist eingeschränkt. Was sich auch auf die Radfahrer auswirkt. Vor allem in der rue des Aubépines. Doch zunächst stehen die beiden Frauen eine halbe Ewigkeit an der Ampel in Merl, um auf die route de Longwy abbiegen zu können. Es wird einfach nicht grün, da die Kontaktschleife vor der Ampel offensichtlich nicht auf Fahrräder anspringt, selbst wenn man zu zweit mit den nicht leichten E-Bikes darauf steht. In der rue des Aubépines wird in Höhe des Merler Friedhofs gearbeitet. Die eh schon schmale Straße wird jetzt richtig eng. Es geht weiter in Richtung route d’Arlon. Die parkenden Autos stehen zum Teil auf dem Radweg. Busse und Lastwagen sind unterwegs. Augen zu und durch, heißt es an dieser Stelle. Es ist ohne Zweifel das gefährlichste Stück auf dem Weg zur Arbeit für Melina Multon und Jutta Wirtz. Auch die Kreuzung über die route d’Arlon ist nicht ohne. Trotzdem erreichen beide unbeschadet ihr Ziel. Heute hat es etwas länger gedauert. Wegen der Fotos wurden Jutta und Melina aufgehalten. „Im Turbomodus kann man die Strecke in 55 Minuten schaffen“, sagt Jutta Wirtz.  

Beide freuen sich schon auf den Heimweg. „Es ist schön, nach der Arbeit ohne Stress nach Hause zu fahren. Man kommt entspannt bei den Kindern an“, sagt Jutta Wirtz. Wären die Gefahrenpunkte nicht, dann  wäre es noch schöner. Und vor allem sicherer. Einen „Vëloexpresswee“ zwischen Esch und Luxemburg wünscht sie sich. Der ist zwar geplant, doch vor 2028 wird die „Radautobahn“ sicher nicht fertig sein. Und ein durchdachtes Konzept für Radwege innerorts. „Wir sind in Sachen Radinfrastruktur im Vergleich zum Ausland einfach 20 Jahre im Rückstand“, sagt Jutta Wirtz. Dieses Fazit kann man nach dieser Fahrt von Esch nach Luxemburg durchaus stehen lassen.

Strava-Statistiken der Radtour von Melina und Jutta 
Strava-Statistiken der Radtour von Melina und Jutta  Screenshot
Arm
23. Juli 2020 - 11.36

"Zwei kamen durch".

jean-pierre goelff
23. Juli 2020 - 7.42

Daat ass scheïn an och nit schlecht,mee,et gët och emol ganz aanert Wiëder....Reen,Stuurm an och emol Schneï an esou weider,an speïtens dann ass Velofuëren nit meï esou immens flott!

Pit Meier
23. Juli 2020 - 6.31

Mam Velo op den Kirfescht!