Bettelverbot im internationalen VergleichPolitik des „Law and Order“ passt zur neoliberalen Profitmaximierung

Bettelverbot im internationalen Vergleich / Politik des „Law and Order“ passt zur neoliberalen Profitmaximierung
Ob in Manhattan, wie hier auf dem Foto, Schwabing oder in der Luxemburger Oberstadt, gebettelt wird überall Foto: Charly Triballeau/AFP

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Das Bettelverbot passt wie der Einsatz von privaten Sicherheitsleuten im öffentlichen Raum zu einer neoliberalen Politik, die einerseits den freien Markt predigt und für Profitmaximierung steht, andererseits in Fragen der inneren Sicherheit autoritär eine harte Kante zeigt.

Toni und Locke waren echte Institutionen. Von ihnen konnte man die verschiedenen Formen des Bettelns von der Pike auf lernen. Denn die beiden Männer konnten nicht unterschiedlicher sein. Während Toni, ein Bayer mit Dreadlocks, bei zunehmender Betrunkenheit immer lauter rülpste und den Passanten gegenüber immer deutlicher mit „Hosd du ma a Mark?“ sein Anliegen vortrug, war Locke ein Meister des Schweigens. Der Altpunk aus dem Ruhrpott mit Iro und Ledermütze, den es einst aus Essen nach München verschlagen hatte, blieb einfach still auf der Bank in der Nähe der U-Bahnstation Giselastraße sitzen, vor sich ein Becher. Wer von den beiden damit mehr Geld einnahm, entzieht sich der Erinnerung des Autors.

Tatsache ist aber, dass sowohl Toni als auch Locke lange Zeit ohne Probleme weitgehend uneingeschränkt ihrem Broterwerb nachgehen konnten – auch wenn es ihnen dabei vor allem um flüssige Ernährung ging. Zumindest bis 2014. Zwar ist das Bitten um Almosen in der bayerischen Landeshauptstadt auf öffentlichen Flächen seit jeher grundsätzlich erlaubt, aber seit zehn Jahren gilt innerhalb des Altstadtrings und im Bahnhofsviertel eine allgemeine Verfügung, die besagt, dass bestimmte Formen des Bettelns verboten sind. Dazu zählen die aggressive Form, das Schnorren in Begleitung von Kindern und das „organisierte, bandenmäßige“ Betteln.

Die Verordnung sollte vor allem eine Maßnahme gegen die sogenannte Bettler-Mafia darstellen. Das Argument, aus Osteuropa stammende kriminelle Banden würden Menschen zum Betteln zwingen, wird häufig genannt, wenn in verschiedenen Städten wie Köln, Düsseldorf oder Dortmund in jüngster Zeit Bettelverbote erteilt wurden. Doch stichfeste Beweise für die Existenz diese „Bettler-Banden“ gibt es bis heute nicht. Übrigens kippte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht die Verfügung wieder, nachdem ein Obdachloser dagegen geklagt hatte – einer von mehr als 600.000 wohnungslosen Menschen, die es in Deutschland gibt und von denen etwa 50.000 ganz ohne Unterkunft sind, die durch das soziale Raster gefallen und aus sozialer Not zum Betteln gezwungen sind.

„Stilles“ oder „aggressives“ Betteln

Während das „stille Betteln“ in Deutschland seit 1974 nicht mehr strafbar ist, gehen heute mehr und mehr Städte im Nachbarland und anderen Staaten Europas gegen das „aktive“ respektive „aggressive Betteln“ vor, das häufig als Nötigung eingestuft wird, indem sie Platzverweise aussprechen oder gar Bußgelder von jenen verlangen, die sowieso nichts haben. In Deutschland kann dies durchaus den Tatbestand der „Belästigung der Allgemeinheit“ erfüllen. Allerdings muss dies im Einzelfall entschieden werden. Seit der Offensive gegen die „aggressiven“ und „organisierten“ Bettler in München, die übrigens keinen nennenswerten Erfolg hatte, wurde vor allem in jüngerer Zeit verstärkt auch in Norddeutschland auf Law and Order gesetzt. So gerieten generell sitzende Bettler im vergangenen Jahr ins Visier der Stadtoberen, nachdem sich mehrere Einzelhändler beschwert hatten. „Wer betteln will, muss stehen“, titelte etwa die taz und beschrieb, wie gleich acht Polizisten anrückten, nachdem zwei Bedürftige mit Kreide auf den Boden geschrieben hatten. Weiter hieß es in der Zeitung, dass die Schikanen gegen Bettelnde massiv zugenommen hätten, weil sie „beim Shoppen stören“.

Das von Obdach- und Wohnungslosen vertriebene Magazin „Hinz&Kunzt“ berichtete, dass die Polizei mehrfach Bettelverbote mit dem Hinweis auf ein neues Gesetz ausgesprochen hatte – ein Gesetz, das es gar nicht gibt. Die Polizei begründete die Vorgehensweise gegenüber dem Magazin mit einem Sicherheitsproblem. Und der rot-grüne Senat, das Parlament der Hansestadt, erklärte, dass Betteln auf öffentlichen Wegen zwar zulässig sei, aber nur in Form von „Ansprechen“ und als „Bitte um Spenden“, aber nicht in Form von „Liegen und Lagern“ und vor allem nicht außerhalb der dafür vorgesehenen Flächen – als würde es eigens fürs Betteln geschaffene „Bettelflächen“ geben. Ordnung muss sein in dem Land, dessen Deutsche Bahn (DB) die „Chaostage“ zum Dauerzustand erklärt hat.

Die zunehmende Intoleranz gegenüber Bedürftigen scheint ihre Blüten zu treiben: An anderen Orten wurde ausgerechnet das Ansprechen als „aggressives Betteln“ gedeutet, und nirgendwo im deutschen Gesetz ist etwa „Liegen verboten“ aufgeführt. Auch in Hamburg war – ähnlich wie hierzulande – die Rede von Bettlern, die morgens in die Stadt gebracht würden. Besonders betroffen von den Maßnahmen sind also genau jene Menschen, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Wie etwa jener junge Pole namens Tomek, der mir in Köln von seinem Schicksal erzählte: Sein eigener kleiner Handwerksbetrieb war in seinem Heimatland an die Wand gefahren, eine Zeitlang habe er, so der Endzwanziger, auf Montage in Deutschland und den Niederlanden gearbeitet, bis er auf einer Baustelle von einem Gerüst fiel und nicht mehr arbeiten konnte. Er war nirgendwo angemeldet. Zuletzt verkaufte er in Köln das Obdachlosenmagazin „Draussenseiter“. Seit Anfang des Jahres wurde er nicht mehr gesehen. Wie Tomek sind unter den Obdachlosen neben Westeuropäern viele Menschen aus Mittel- und Osteuropa, die nicht sozial abgesichert sind. Hinzu kommen Drogenabhängige sowie Roma-Clans aus Rumänien und Bulgarien. Von Letzteren machen sich ganze Familien auf den Weg in den Westen, die gemeinsam wohnen und auf die Innenstädte verteilt betteln. Von organisiertem Betteln kann dabei aber kaum die Rede sein, geschweige denn von einer „Bettel-Mafia“.

Toleranz bröckelt

Trotz allgemeiner Bettelerlaubnis steht es den Kommunen frei, bestimmte Gebiete mit einem Bettelverbot zu belegen. Auch ist das Vortäuschen falscher Lebensumstände, etwa das Vortäuschen einer Behinderung, nicht gestattet und wird als Betrug geahndet. Ebenso ist es verboten, so zu tun, als sei die eigene Geldbörse gestohlen worden oder brauche man noch Geld für ein DB-Zugticket. Wie in Deutschland ist auch in Österreich das Betteln nicht verboten – bis auf die bereits genannten Formen. Als die Bundesländer Salzburg und Steiermark absolute Verbote erließen, wurden sie wieder einkassiert. Das Wiener Landessicherheitsgesetz etwa verbietet nur „in aufdringlicher oder aggressiver oder gewerbsmäßiger Weise oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe um Geld oder geldwerte Sachen“ zu betteln. Auch hier passen Stereotypen wieder. Weitgehend Toleranz herrschte dagegen lange Zeit in den meisten skandinavischen Ländern, obwohl es auch dort immer wieder Diskussionen über ein Verbot gab und ein solches mittlerweile zumindest in Schweden auf lokaler Ebene ausgesprochen werden kann. Ähnlich verhält es sich in den Niederlanden, Lettland, Litauen und Spanien sowie Tschechien.

Eine besonders harte Linie führt seit einigen Jahren Dänemark, wo das entsprechende Gesetz 2017 sogar verschärft wurde. In Frankreich sind einige Formen des Bettelns auf der Straße illegal und können mit einer saftigen Geldbuße belegt werden, wenn es das aggressive Schnorren in Toni-Manier ist und die öffentliche Sicherheit gefährdet. Einzelne französische Kommunen versuchen seit einigen Jahren mit Verordnungen, die Bettler aus den Innenstädten und vor allem aus den Fußgängerzonen zu verbannen. Wie in Frankreich, nach Angaben des Netzwerks Housing Rights Watch (HRW), steht das Betteln auch in Italien im Strafgesetzbuch, allerdings lokal und regional unterschiedlich geregelt. Obwohl seit 1993 nicht mehr strafbar, gibt es in Belgien in 253 Gemeinden ein Verbot gegen das Betteln.

Wo Glamour sein soll, stört die Armut

In der Schweiz schränken derweil die meisten Kantone das Betteln stark ein – oder verbieten es ganz: etwa in Zürich. Noch weiter ging Basel vor drei Jahren und schlug einen noch härteren Kurs als die anderen Eidgenossen ein. Bettelnde Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis sollten ausgewiesen werden. Vor allem betroffen: die Roma. Das Bitten um Geld ist an zahlreichen öffentlichen Plätzen untersagt. Es handelt sich folglich um einen allgemeinen Trend hin zum Bettelverbot, der fast in ganz Europa festzustellen ist und der mit einer „neoliberalen Politik der Versicherheitlichung“ einhergeht, wie sie der deutsche Philosoph Julian Prugger in „Profitmaximierung durch Bettelverbot“ beobachtet hat. „In München wurde 2014 das Betteln in und um den Hauptbahnhof verboten, um gegen eine vermeintliche osteuropäische ‚Bettelmafia‘ vorzugehen. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich diese Mafia als ein Netzwerk von Menschen, die sich in ihrer Armut gegenseitig unterstützen und durch Betteln versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen.“ Um eben jene Roma-Familien, die in ihren Herkunftsländern in tiefster Armut leben. Dabei werden nicht zuletzt antiziganistische und rassistische Stereotypen bedient. Wenn die Bänke in Städten so umgebaut werden, dass Obdachlose nicht mehr auf ihnen liegen können und Arme zu Unsicherheitsfaktoren erklärt werden. Aber Hauptsache der Weg zu Cartier bleibt frei in der „schönen neuen Stadt“. Wo Glamour sein soll, da stört die sichtbare Armut.

Ob die aggressive Form des „Schnorrens“, wie es Toni nannte, auch unter die aufdringliche Art zu betteln fallen würde, wie sie der Reggae-Man aus München praktizierte, der sich den Leuten in den Weg stellte und ihnen seine Mischung aus Paulaner Hell und Erdinger Weiße entgegenrülpste, kann leider nicht mehr ermittelt werden. Der bajuwarische Weißwurst-Rastafari starb in noch jungen Jahren an Leberzirrhose. Und von Locke bleibt nur dessen Schweigen.

artkau
8. Februar 2024 - 12.18

Wei as et dann mam Afferstack an der Kiesch ,as dat net Geheescht , an dei Heeschflyeren dei an Haus kommen , W:E:G halt dach op mat dem Bloedsin

Malues
8. Februar 2024 - 6.42

Virwat kafen Leit mat rietsen Ideen eng lenks Zeitung an mussen ennert all Artikel meckeren, dat ass mir en Rätsel! Vieleicht gi se jo dofir bezuelt….?????

Pierre Kerosino
6. Februar 2024 - 18.43

"Stilles Betteln" oder sehr selten: "Agressives Betteln".
Et gëtt méi oft nach, dat "Gereiztes Betteln".
Dat ass wann en ënner Drock steht.
Nëmmen eng "tatsächlech Agressioun" misst ënnerbonnen ginn. Wei bei al aner Persoun och, dei "net" um Trottoir steet.
Nobody is Perfect. Et soll en net mengen, et wär en eppes Besseres.
Mir och net. Wat ass alles hannert de Maueren?
Heeschen goen ass och en Job, eng exposéiert Aarbecht.
Déi eng man et gutt, anerer net.

Nomi
6. Februar 2024 - 10.13

Schaffen amplaatz um Tottoir ze setzen an ze faschten !!

Oh mei
6. Februar 2024 - 9.12

" Die Wohlfahrt ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade." (Pestalozzi) Rülpsen und Schweigen als Kunstform? Oder Stinkefinger zeigen als Demo gegen den Kapitalismus? Der Tramp Charlie war auch Bettler und ging von Tür zu Tür um Schnee zu fegen um einen Dollar zu bekommen. Aber rülpsen? Lösung des Problems für Luxbg. JEDER Bürger fährt am Wochenende in die Stadt und schnackt JEDEM Bettler einen Euro in den Becher. Dann haben wir die reichsten Bettler weltweit und es werden trotzdem immer mehr. Aber im Ernst.Sollten wir das Kapitel nicht abschließen? Lassen wir die Bettler in Ruhe und gewöhnen wir uns an den Anblick. Ein bisschen Stinkefinger oder ein "Was glotzt du?" ist doch nicht schlimm.