Im InterviewPaul Philipp und die FLF bereiten Schreiben an die UEFA vor

Im Interview / Paul Philipp und die FLF bereiten Schreiben an die UEFA vor
Ein Fan des VAR ist Paul Philipp nur in ganz bestimmten Fällen Foto: Editpress/Mélanie Maps

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„Man möchte Erklärungen“, sagt FLF-Präsident Paul Philipp heute. Gemeint sind fehlendes Fingerspitzengefühl und eine Fehlentscheidung gegen Georgien. Wie der Chef des Fußballverbands die letzten Tage erlebt hat und was er über Dany Mota zu sagen hat: das Interview.

Tageblatt: Nationaltrainer Luc Holtz meinte am Dienstagabend bei der Pressekonferenz, dass dieser 2:1-Erfolg gegen Kasachstan dabei helfen würde, die Enttäuschung zu lindern. Geht es Ihnen genauso?

Paul Philipp: Ja. Gleichzeitig muss man auch irgendwann einen Strich ziehen. Besonders hart war es allerdings die beiden Tage nach dem Duell in Georgien. Man hat sich eben mit den spielentscheidenden Szenen auseinandergesetzt – und der Frage, warum die VAR-Leute beim Foul an Mica Pinto nicht reagiert hatten. Ich habe vor dem Heimspiel ein längeres Gespräch mit dem Nationaltrainer geführt. Eines der Themen war auch die Tatsache, dass wir den Zuschauern etwas schuldig wären. Die Leute sind alle gekommen, obschon es nicht das erhoffte Finale war. Dann ist man in der Bringschuld. Die Spieler haben das verstanden, trotz des katastrophalen Starts und dem frühen Gegentreffer.

Wie schätzen Sie die Reaktion der „Roten Löwen“ ein?

Ich bin in meiner Funktion bewusst nicht so nah an den Spielern dran wie der Trainer. Trotzdem beobachte ich das Verhalten ganz genau. Wenn man der Niederlage etwas Positives zuschreiben will, dann dass sie das Team nochmals zusammengeschweißt hat. Die Mannschaft ist zum Teil selbst an der Enttäuschung schuld, da sie in Georgien nicht ins Spiel gekommen ist. Sie wissen das. Ich bin überzeugt davon, dass untereinander viel geredet wurde. Man hat am Dienstag nach dem Schlusspfiff eine Erleichterung bei allen gesehen, beispielsweise bei der Kommunikation mit den Zuschauern während der Runde. Trotzdem bleibt dabei auch noch dieses „Nondikass, et war méi dran“-Gefühl. 

Haben Sie in den letzten Tagen Nachrichten von Kollegen aus dem Ausland bekommen?

Die Bilder, die wir ja auch alle gesehen haben, sind durch ganz Welt gegangen. Es tat gut, einige Kommentare von anderen Verbänden zu lesen, die uns für die Leistungen der vergangenen Monate beglückwünscht haben. Das Erste, was die Kollegen aus Kasachstan uns sagten, war, dass auch sie unzufrieden mit der Schiedsrichterleistung gegen Griechenland waren. Wir werden in dieser Woche ein Schreiben mit Fotos an die UEFA schicken, um u.a. das nicht geahndete Foul an Mica Pinto und die Szene, bei der Laurent Jans am Trikot gezogen wurde, zu untermauern. Nicht mit der Absicht, um die Partie neu spielen zu lassen (lacht), sondern um darauf hinzuweisen, wie problematisch der Umgang mit dem VAR war. Zudem werden wir darlegen, dass die Besetzung nicht die glücklichste war. Derselbe Schiedsrichter hatte uns den Elfmeter nach VAR-Überprüfung gegen die Slowakei nicht gegeben.

Ist es für Sie nachvollziehbar, dass die UEFA mit José Maria Sánchez ausgerechnet einen Schiedsrichter nominierte, der nur wenige Monate zuvor beim Qualifikationsspiel gegen die Slowakei schon in der Kritik stand – und wegen dem die FLF bereits eine Geldstrafe wegen Schiedsrichterbeleidigung erhalten hatte?

Er ist intern bei der UEFA als Eliteschiedsrichter sehr hoch eingestuft. Wenn man allerdings bedenkt, dass es ein Finale war – und nicht gleichzeitig 500 Spiele am selben Tag stattgefunden hatten, dann fehlte doch sehr viel Fingerspitzengefühl … Der vierte Mann auf der Bank hat übrigens am Samstag Frankreich gegen Deutschland gepfiffen. Das Ganze ist eine unglückliche Situation, die sich so ergeben hat, oder es wurde bei der UEFA nicht aufgepasst. Bei einem Finale vor einer temperamentvollen Kulisse muss es jemand sein, der Erfahrung hat. Und die hatte er ja eigentlich in Spanien gesammelt …

Kann die FLF den spanischen Schiedsrichter auf eine Rote Liste setzen lassen?

Diese Möglichkeit, wie sie in einigen Meisterschaften besteht, gibt es nicht. Aber wir hoffen, dass die UEFA jetzt etwas mehr Fingerspitzengefühl beweist. 

Schauen wir noch einmal auf das Georgien-Spiel. Was war der Grund für die spielerischen Probleme der ersten Hälfte?

Ganz sicher der Druck. In den Köpfen war dieser Gedanke, dass so eine Chance einmalig sein kann. Wir haben keine zweiten Bälle gewonnen und selbst enorm viele Fehlpässe produziert. Auch die Arbeit nach hinten klappte nicht. Die Georgier waren aggressiver und schneller. Unsere Linien standen zu weit voneinander weg. Rein sportlich war die 1:0-Führung nicht unverdient. Wir hatten bis dahin keine Torgelegenheit und ein wenig gelähmt gewirkt. Aber in der zweiten Hälfte, bis zu den berühmten Aktionen, waren wir kompakter, hatten auch mal Ballstafetten über zu sechs Stationen – so wie wir es gewohnt sind. Zudem hatte die Kraft der Georgier nachgelassen. 

Der VAR griff nicht ein, als Mica Pinto mit der Sohle am Knie getroffen wurde. In der zweiten Hälfte wurde das Rodrigues-Tor annulliert und Maxime Chanot des Feldes verwiesen: Können Sie sich an eine ähnliche Achterbahn der Gefühle erinnern? 

Nein. In diesem Spiel war alles drin. Bei der Aktion von Chanot habe ich eigentlich nur beobachtet, was der Schiedsrichter machen würde. Er deutete ganz klar an, dass es weitergehen würde. Ich hatte das Gefühl, es wären noch zehn Minuten vergangen, bevor es diesen VAR-Check gab. Nach der Aktion habe ich Charles Schaack (Schiedsrichter-Obmann) gleich gefragt, ob es Konsequenzen geben würde. Er meinte zunächst, dass der Unparteiische eine klare Entscheidung getroffen hätte. Er hätte bei seiner Meinung bleiben können. Das machen allerdings nur die wenigsten … Danach war das Spiel eigentlich gelaufen – und das zu einem Zeitpunkt, als die Georgier angefangen hatten, sich Fragen zu stellen.

Wie haben Sie beide Szenen im Stadion erlebt?

Als Pinto bei der Aktion dazwischen ging, hatte ich mich schon gefreut und gedacht: „Endlich eine Umschaltsituation!“ Als er dann zu Boden ging, sah es von der anderen Seite des Stadions nach einer Zerrung aus. Plötzlich wurden uns dann Bilder aufs Handy geschickt, mit den Nachrichten, dass es klar Rot, sogar Doppelrot gewesen ist. Bei der Roten Karte hatte der Georgier es fertiggebracht, sich vor Chanot zu drücken. Er hat das clever ausgenutzt. Erst später sahen wir dann auf den Bildern, dass Chanot ihn oben leicht gezogen hatte, unten an den Füßen war es allerdings der Georgier, der drauf getreten ist. 

Sie waren selbst Nationalspieler, Trainer und jetzt Präsident: Für wen ist es am schwersten, so eine Niederlage zu verkraften?

Für die Spieler. Sie sind direkt betroffen. Ein Laurent Jans, der schon lange dabei ist, die Worte eines Florian Bohnert oder die Enttäuschung von Leandro Barreiro, der eine schwere Saison erlebt … Aber auch der Trainerstab sowie die Betreuer. Nicht zu vergessen sind auch die 500 Anhänger im Stadion. Diese Enttäuschung zu sehen, ging mir sehr nah. Im Fußball wird ja immer über Geld geredet. Klar, die Nationalspieler bekommen auch Geld. Ich hatte immer wieder Kontakt mit einigen, ihr ganzer Fokus lag seit Wochen auf diesem Spiel. Da ging es niemandem um das Finanzielle, sondern um den Stolz, den „Roude Léiw“ auf der Brust zu tragen. 

Was erhoffen Sie sich vom Schreiben an die UEFA?

Ganz ehrlich: Ich rechne nicht mit viel Reaktion. Es geht uns darum, auf verschiedene Dinge hinzuweisen. Es ist kein großes Referat, denn die UEFA hat ja bekanntlich noch ganz andere Probleme zu lösen … Das Handspiel hat man noch immer nicht im Griff. Ich erwarte mir aber, dass intern – obwohl sie es uns nicht sagen werden – darüber geredet wird. Für mich hat das VAR-Team noch deutlicher versagt als der Schiedsrichter. Die beiden im Keller hätten die Aktion sehen müssen. Es ist absolut nichts geschehen. Wir gehören zu den Kleinen und haben uns jetzt sozusagen einen gewissen Platz erarbeitet. Es geht nicht darum zu heulen, sondern darauf hinzuweisen, dass dem Fußball bei diesem Verlauf enorm geschadet wurde. 

Marvin Martins meinte nach Spielende, dass eine große Nation wohl anders behandelt worden wäre. Sind Sie der gleichen Meinung?

Ja, so etwas hört man immer wieder. Früher war es flagranter, wenn man in Osteuropa spielte, schaute man zuerst auf den Namen des Referees. Ist es fair, dass das Halbfinale nicht auf neutralem Platz gespielt worden ist? Georgien zu Hause oder auswärts – das ist ein Riesenunterschied. Hätte der Schiedsrichter in Luxemburg gleich gehandelt? Oder die VAR-Leute? Wir können diese Fragen nicht beantworten. 

Ist diese Benachteiligung irgendwie beeinflussbar?

Hauptsächlich die Tatsache, dass wir uns jetzt bemerkbar machen. Die UEFA wird unser Schreiben nicht mögen, das ist klar. Aber wir können nicht einfach stillsitzen und nichts tun, sondern wollen sogar möglicherweise eine Diskussion heraufbeschwören. Die Bilder hat ja jeder gesehen, auch aufseiten der UEFA: Wir zeigen, dass wir nicht alles akzeptieren. Nicht, weil wir Luxemburg sind, morgen kann es jemand anders sein. Jetzt stellt sich dennoch die Frage, ob es immer die Kleinen sind, oder manchmal auch die Großen …

Wo sehen Sie die Nationalelf in vier Jahren?

Auf jeden Fall will ich nicht sagen, dass es dann mit einer EM-Qualifikation klappen muss. Wichtig ist die Freude und die Art und Weise, wie sie aufgetreten sind. Fakt ist, dass man uns jetzt auf dem Zettel hat. In unserer Nations-League-Gruppe befinden wir uns auf Augenhöhe. Wir müssen schauen, was wir bei der Ausbildung besser machen können, um noch mehr Jungs im Ausland gut zu platzieren. Es wird auch weiterhin Rückschläge geben, wie man es bei den 15 Gegentoren gegen Portugal erlebt hat. Wenn konsequent weitergearbeitet wird, dann bin ich guter Dinge, dass wir uns verbessern können, auch wenn das nicht ausschließt, dass auch mal drei Spiele in Folge verloren gehen werden.

Wie viel Potenzial steckt noch in der aktuellen Generation?

So einiges. Es findet bereits ein kleiner Umbruch statt. Wenn wir uns verbessern, dann werden wir in Zukunft auch weiterhin Entscheidungsspiele, wie gegen die Slowakei, bestreiten. Diese Niederlage hätte eine direkte Qualifikation bedeuten können. Am Dienstag hätte das Match nach 45 Minuten entschieden sein müssen. Aber sich bei solchen Spielen zu verbessern, geht ja nur, wenn man schon ein paarmal in der Situation war – wo schön spielen nicht reicht, sondern wo gewonnen werden muss. 

Wie stufen Sie das Reservoir an jungen Talenten ein, die in den nächsten Jahren auftrumpfen könnten?

Das Reservoir besteht definitiv. Eine Garantie, es zu schaffen, hat aber niemand. Ständig suchen junge Spieler den Weg ins Ausland. Zahlenmäßig waren noch nie so viele junge Luxemburger im Ausland, wie es jetzt der Fall ist.

Letzte Frage: Sollte Stürmer Dany Mota noch eine Chance bekommen?

Das hängt von ihm ab. Er weiß, dass es eine Nominierung ist, die man sich verdienen muss. Man muss für ein Land spielen wollen und sich gleichzeitig damit identifizieren. Der Ball liegt bei ihm. Man soll nie nie sagen, aber von unserer Seite her wird es keine Anfrage mehr geben. 

„Es hat über 100 Jahre ohne VAR funktioniert“

Das Tageblatt wollte von FLF-Präsident Paul Philipp wissen, wie er sich den „VAR light“ in der BGL Ligue vorstellen könnte: „Ich bin der Letzte, der etwas gegen VAR einzuwenden hat, aber die Anwendung ist fragwürdig. Wird der ‚VAR light‘ bei Tätlichkeiten eingesetzt, oder wenn Gefahr für Spieler besteht, ist es nachvollziehbar. Dann geht der Schiri auch nichts als Verlierer vom Platz. Auch, dass eine Linie für Abseits gezogen werden kann, oder nachgeschaut werden kann, ob die Aktion nun im oder außerhalb des Strafraums stattgefunden hat. Aber wenn der VAR jetzt ein Spiel leiten soll und sich in den Grauzonen einmischt, dann gibt es von mir ein klares Nein.“ Er fügte hinzu: „Es wäre nicht schlecht, wenn man die Umsetzung vereinfachen würde. Wir wissen ja derzeit nicht einmal, was unter ‚VAR light‘ zu verstehen ist. Der Fußball hat über 100 Jahre ohne VAR funktioniert, und nie gab es so viele Probleme wie heute. Neben dem Kostenpunkt stellt sich auch die Frage, wie umsetzbar das überhaupt in unseren Stadien sein wird … Im Mai werden wir beim FIFA-Kongress wohl viele neue Statistiken aufgetischt bekommen.“ (chd)