Die Nachwehen der nationalen Demonstration werden Premierminister Luc Frieden (CSV) in den kommenden Wochen, speziell in der Sozialrunde vom 9. Juli, noch begleiten. Die Gewerkschaften gehen gestärkt hervor. Sie sind aber nicht die Einzigen, die mit neuem Selbstvertrauen in die kommenden Wochen blicken. Erschwerend dürfte für Luxemburgs Premier nämlich hinzukommen, dass die Kritik an seinem Führungsstil und seiner Politik nach der erfolgreichen Demonstration der Gewerkschaften wohl auch parteiintern nicht abnehmen wird. Im Gegenteil: Der soziale Flügel der CSV dürfte sich in seiner Position gestärkt fühlen.
Ein erstes Anzeichen dafür lieferte der CSV-Abgeordnete und Bettemburger Bürgermeister Laurent Zeimet am Montagmorgen bei RTL. „Marc Spautz hat bereits vor Monaten eine Möglichkeit vorgeschlagen, die Sonntagsarbeit über ‚accords interprofessionnels’ zu regeln und die Kollektivverträge beizubehalten“, sagt Zeimet. Er selbst würde dem Gesetz in seiner jetzigen Form in der Chamber jedenfalls nicht zustimmen. „Hätte man vor Monaten auf Marc Spautz gehört, wäre man jetzt vermutlich schon etwas weiter.“ Worte, die in dieser Deutlichkeit vor dem 28. Juni allenfalls vom CSV-Fraktionspräsidenten Marc Spautz höchstpersönlich zu vernehmen waren.
Doch nicht nur positionierte sich der CSV-Abgeordnete und ehemalige Staatsratsmitglied klar gegen den bisherigen Konfrontationskurs der Regierung mit den Gewerkschaften. „Es ist noch niemand auf mich zugekommen, der gefordert hat, sonntags arbeiten zu können“, erklärt Zeimet im Interview und dreht das oft genutzte Argument der CSV-Regierungskollegen – „vill Leit soe mir awer, dass …“ – kurzerhand ins Gegenteil um und veranschaulicht auf prägnante Art und Weise die Absurdität solcher „Debattenbeiträge“ und Argumentationsstränge.
Spautz-Zeimet-Fraktion
Die „Spautz-Zeimet-Fraktion“ innerhalb der CSV geht aus dem Demonstrationswochenende mit einem neuen Selbstvertrauen hervor. „Ich habe ja immer gesagt, dass ich nicht alleine bin“, sagt Marc Spautz gegenüber dem Tageblatt. „Ich gehe davon aus, dass sich in den kommenden Tagen neben Laurent Zeimet noch weitere outen werden.“ Wie viele es sind, wollen weder Spautz noch Zeimet gegenüber dem Tageblatt sagen. „Das sollen diejenigen selbst kundtun“, sagt Spautz. Nur so viel: „Es sind genug, damit die Regierung in der Chamber keine Mehrheit mehr hat“, sagt Zeimet. Spautz äußert sich in der Frage sehr ähnlich.
Zur Stimmung innerhalb der Fraktion wagen die beiden CSV-Politiker vor der Fraktionssitzung am Dienstagmorgen keine Aussage. „Ech krut mol nach net de Kapp erofgerappt“, scherzt Zeimet. Jedoch habe er von denjenigen, die ihn nach seinen Aussagen bei RTL kontaktiert hätten, Zuspruch für seine Worte erhalten. „Laurent hat alles gesagt“, meint auch Spautz. Wie es jetzt weitergehe, werde bei der nächsten Fraktionssitzung besprochen. Eine Krisensitzung wurde nach der Demonstration vom Samstag nicht einberufen. „Es kann nicht so weitergehen, dessen ist sich jeder von uns bewusst“, sagt Marc Spautz. Inhaltlich müsse die Regierung jetzt vorgeben, wie sie bei den jeweiligen Streitpunkten vorgehen will. „Unabhängig davon müssen der Sozialdialog und eine Vertrauensbasis zwischen Gewerkschaften, Politik und Patronat wiederhergestellt werden.“ Er sei zuversichtlich, dass dies gelingen könne, wenngleich dies nicht von heute auf morgen passiere. „Dann können wir wieder Lösungen finden, wie wir es seit Jahrzehnten schon gemacht haben.“
Marc Spautz zeigt sich über die Ankündigung der Gewerkschaften, an der Sozialrunde vom 9. Juli unter bestimmten Voraussetzungen teilnehmen zu wollen, durchaus erfreut und hat auch Verständnis für die vorgetragenen Forderungen seitens der Gewerkschaften. „Ich will aber auch ganz klar sagen, dass wir nicht alles zusammen diskutieren können“, sagt Spautz. Besonders in puncto Sonntagsarbeit erhofft sich der CSV-Fraktionspräsident einige Fortschritte in den kommenden Tagen und Wochen. „Wenn ich die DP-Präsidentin Carole Hartmann richtig verstehe, verschließt sie sich keinen Lösungen, die am Verhandlungstisch zustande kommen“, sagt Spautz. „Kollektivverträge oder ‚accords interprofessionels’ – das ist genau das, wovon hier die Rede ist.“ Sowohl Spautz als auch Zeimet wollen jedoch erkannt haben, dass in dem Punkt „Bewegung an den Dossier“ kommen könnte. Das wolle man jedoch zuerst CSV-intern besprechen. „Et gesäit awer dono aus, wéi wann een déi Kou ka vum Äis kréien.“

Gegengewicht zur „sozial-liberalen“ DP
Das aufblühende Selbstbewusstsein des sozialen Flügels innerhalb der CSV fällt genau in die Zeit, in der sich die DP unter ihrer neuen Präsidentin Carole Hartmann als „sozial-liberale“ Alternative präsentiert. Wie das aussehen könnte, wurde in den vergangenen Wochen deutlich: Während Außenminister Xavier Bettel in der Rentendebatte Gesprächsbereitschaft signalisiert, übt Hartmann mehr oder weniger deutlich – ohne die CSV-DP-Koalition zu gefährden – Kritik an der neoliberalen Linie der CSV. In das soziale Vakuum, das Luc Frieden mit seiner Politik der DP eröffnete, stößt die politisch flexibel agierende DP hinein. Wohl auch zum Missfallen des sozialen Flügels der CSV ist es auf einmal die liberale DP, die sich als soziales Gewissen der Koalition positionieren kann, obschon auch diese bisher wenig Bedenken an den vorgelegten Gesetzentwürfen angemeldet hat. Interessanterweise dient aber genau diese Neuausrichtung der DP dem sozialen Flügel der CSV nun als Bündnispartner gegen die liberalen Tendenzen von Frieden, Mischo und Delles. Der von OGBL-Präsidentin Nora Back monierte neoliberale Wind scheint sich zu drehen.
Ein erster Schritt zur politischen Neuausrichtung wird die Fraktionssitzung der CSV am Dienstagmorgen sein. Dann kommen die christsozialen Abgeordneten erstmals nach dem Demonstrationszug am Samstag zusammen. Auf der Tagesordnung werden sicherlich die Lehren aus dem Erfolg der Gewerkschaften stehen. Möglicherweise werden auch Laurent Zeimets Aussagen bei RTL noch einmal intern diskutiert. Fest steht: Es ist wohl der soziale Flügel, der gefühlt erstmals seit Beginn dieser Legislatur das Agenda-Setting betreibt und möglicherweise sogar am längeren Hebel sitzt.
Premierminister Luc Frieden wird bei der Fraktionssitzung am Dienstag nicht anwesend sein. Er wird Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einer Stippvisite in Berlin besuchen. Möglicherweise kann Friedrich Merz Luc Frieden erklären, dass Mehrheiten trotz gewonnener Parlamentswahlen erarbeitet werden müssen. Eine Lektion, die Merz bei seiner Wahl zum Bundeskanzler lernen musste und Luc Frieden eine Lehre sein sollte. Regieren ist eben mehr als das bloße Abstottern eines Koalitionsprogramms. Und Politik ist mehr als die trügerische Annahme, sich ohne weitere Rücksicht auf eine parlamentarische Mehrheit stützen zu können.
De Maart

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