GesprächeNeue Dynamik für EU-Mercosur-Vertrag: Große Freihandelszone vor dem Durchbruch

Gespräche / Neue Dynamik für EU-Mercosur-Vertrag: Große Freihandelszone vor dem Durchbruch
Mit der Wahl von Luiz Inacio Lula da Silva (r.) zum neuen Präsidenten in Brasilien – hier mit seinem argentinischen Amtskollegen Alberto Fernandez (l.) – wurden die Gespräche zwischen der EU und den Mercosur-Staaten über ein Handelsabkomen wieder aufgenommen Foto: Evaristo Sa/AFP

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Hinter den Kulissen laufen die Gespräche zwischen EU und Mercosur auf Hochtouren, seit Brasilien einen neuen Präsidenten gewählt hat. In Brüssel wird in Kürze ein Durchbruch bei den Verhandlungen über die europäisch-lateinamerikanische Freihandelszone erwartet.

Inmitten der schmerzhaften Teuerungswellen lässt die wachsende Hoffnung auf deutliche Vergünstigungen bei besonders begehrten Produkten aufhorchen: Steaks aus Argentinien, Biokraftstoffe aus Brasilien und Soja aus Paraguay könnten demnächst wesentlich erschwinglicher für europäische Firmen und Verbraucher werden. Noch versuchen Europa und Lateinamerika, ihre Wirtschaftsräume durch extrem hohe Einfuhrzölle gegeneinander abzuschotten. Das 20 Jahre lang verhandelte EU-Mercosur-Abkommen sollte die Hürden 2019 mit Übergangszeiten abbauen, kam dann aber nicht durch die Ratifizierung. Nun wird es wieder hervorgeholt und in Brüssel rechnet man mit einem neuen Abschluss noch in diesem Jahr.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die wachsenden Spannungen zwischen amerikanischen sowie asiatischen Ländern mit China haben die Interessenlage verändert. Es geht nicht mehr darum, sich den größten Anteil am chinesischen Markt zu sichern. „Diversifizierung“, also das Erschließen neuer Märkte zur Risikostreuung, lautet das Gebot in Kriegs- und Krisenzeiten. Das gilt sowohl in Europa als auch in den lateinamerikanischen Ländern, für die China der wichtigste Handelspartner geworden ist. Dabei haben Südamerikaner und Europäer ihre seit Jahrzehnten geplante, aber nie verwirklichte Option auf die seinerzeit größte Freihandelszone der Welt neu entdeckt. Inzwischen hat die asiatische Freihandelszone dieses Prädikat erobert.

Beschleunigt wurde die neue Entwicklung durch die Entscheidung der Brasilianer, die Führung des Landes nach den vier Jahren unter dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro wieder dem früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei anzuvertrauen.

Das Ende der Eiszeit betrifft auch das Mercosur-Abkommen. Allerdings ist die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europäischen Palrlament (EP), die Grünen-Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini, noch skeptisch. Sie sieht die Forderung nach Nachverhandlungen sowohl beim brasilianischen Präsidenten Lula als auch beim argentinischen Präsidenten Alberto Fernández. In verschiedenen EU-Mitgliedstaaten und Teilen des EU-Parlamentes gebe es ebenfalls Widerstand gegen das Abkommen in seiner jetzigen Form, denn es sei „vollkommen veraltet und würde den Druck auf wertvolle Ökosysteme wie den Amazonas weiter erhöhen“. Die Kommission müsse Teile des Abkommens nachverhandeln und Nachhaltigkeitsstandards sowie Garantien zum Waldschutz fest verankern, sonst werde sie mit einem neuen Anlauf scheitern.

Zusatzerklärung mit Klarstellungen

Deutlich optimistischer blickt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der EVP-Abgeordnete David McAllister, auf die Optionen. Er erinnert daran, dass sich beide Seiten 2019 zumindest über den Handelsteil einig geworden seien. Bei der Ratifizierung hake es aufgrund von Handelsschutz- und Umweltfragen. „Es gilt sicherzustellen, dass europäische Landwirte, die viele strenge Auflagen erfüllen, durch unlautere Konkurrenz aus Südamerika nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren“, unterstrich McAllister. Hinter den Kulissen werde jedoch derzeit intensiv verhandelt, um diese Fragen „endgültig auszuräumen und das Abkommen 2023 unter Dach und Fach zu bekommen“. Zumindest in Brüssel sei der politische Wille dazu deutlich gestiegen, auch der Machtwechsel in Brasilien habe eine neue Dynamik mit sich gebracht. Für McAllister gibt es berechtigten Anlass zu der Erwartung, dass die spanische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres „endgültig abschließt“.

Diesen Optimismus vermag der S&D-Abgeordnete Bernd Lange mit einer Reihe von Hinweisen zu unterstreichen. Als Vorsitzender des EP-Handelsausschusses ist er besonders nah dran. Nach intensiven Gesprächen mit der neuen brasilianischen Regierung ist er sicher: „Es wird eine Zusatzerklärung zum Mercosur-Abkommen geben.“ Darin würden sowohl Klarstellungen zur Entwaldung, zu den Rechten von Arbeitnehmern und der indigenen Bevölkerung als auch zu den noch fehlenden Überwachungsmechanismen enthalten sein. „Alles ist in Arbeit“, versichert Lange. Mitte des Jahres werde etwas auf dem Tisch liegen, das auch mit den anderen Mercosur-Mitgliedern besprochen werden könne. „Das ist eine Priorität“ sagte Lange dem Tageblatt. Wenn alles gut laufe, sei Ende des Jahres die Einigung unter Dach und Fach. „Es ist wichtig in dieser Zeit, sowohl verlässliche Partner als auch regelbasierte Strukturen zu haben“, unterstrich der Sozialdemokrat.

Wirtschaftsraum mit 710 Millionen Menschen

Größe Das EU-Mercosur-Abkommen würde 450 Millionen Menschen in der EU und 260 in den Mercosur-Staaten zusammenbringen.
Mitglieder des Mercosur-Wirtschaftsraumes sind Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Venezuelas Mitgliedschaft ist seit 2016 suspendiert. Erweiterungsverhandlungen laufen mit weiteren Staaten Mittel- und Südamerikas.
Verständigung Das Handelsabkommen soll Zölle auf über 90 Prozent des Warenhandels abschaffen, allein den europäischen Unternehmen damit vier Milliarden Euro an Kosten pro Jahr ersparen. Bei bestimmten Agrarprodukten sind Höchstliefermengen festgelegt, um Landwirte in der EU zu schützen.