InterviewMyriam Jacoby vom Luxemburger Roten Kreuz über ihre Arbeit in und für die Ukraine

Interview / Myriam Jacoby vom Luxemburger Roten Kreuz über ihre Arbeit in und für die Ukraine
Myriam Jacoby bei ihrem letzten Ukraine-Besuch im September Fotos: privat/Myriam Jacoby, Collage: Yannick Schumacher

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Seit 2012 kümmert sich Myriam Jacoby für das Luxemburger Rote Kreuz um die Ukraine. Die 41-Jährige aus Reckingen geht damit einige Risiken ein. Ohne eine alte Schulfreundin und eine bekannte Band aus den 90ern wäre es wohl nicht dazu gekommen. 

Tageblatt: Seit wann engagiert sich das Luxemburger Rote Kreuz in der Ukraine?

Myriam Jacoby: Wir sind seit mehr als 30 Jahren in der Ukraine aktiv. Angefangen hat es in Lwiw, im Westen der Ukraine, in einem regionalen Krankenhaus, wo wir eine Abteilung für Herzchirurgie aufgebaut haben, unter anderem mit dem Escher Kardiologen Dr. Rischard Schneider. Das ging bis 2018.

Hat das Jahr 2014 Ihre Arbeit vor Ort bereits verändert?

Ja, sehr. Seit 2014, der Krim und dem Donbass konzentrieren wir uns auf die Notfallhilfe. Erst einmal ging es darum, die Binnenflüchtlinge von der Krim und aus den Oblasten Donezk und Luhansk unterzubringen und mit dem Nötigsten zu versorgen. Dann haben wir Bürogebäude vom Staat in Unterkünfte umgebaut, sie mit ausreichend Küchen, Badezimmern und Toiletten ausgestattet, damit sie den Normen der internationalen humanitären Hilfe entsprechen. Ab 2015 haben wir in der Oblast Donezk die Städte Slowjansk und Kramatorsk wieder mit aufgerichtet. Wir haben beschädigte Häuser repariert und zerstörte wieder aufgebaut.

Macht das Luxemburger Rote Kreuz diese Arbeit dort alleine oder wie funktioniert das?

All das geschah und geschieht immer in enger Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Roten Kreuz und den Kommunalpolitikern vor Ort. Ab 2016 haben wir mit den Krankenhäusern begonnen, acht Stück haben wir auf den Stand der Zeit gebracht und daneben 16 Gesundheitszentren, die ähnlich funktionieren wie unsere „Maisons médicales“, aufgestellt, sie mit Material beliefert, Ärztinnen und Ärzte sowie das Gesundheitspersonal weitergebildet. Während der Wintermonate haben wir zudem ärmere Menschen, vor allem Ältere, mit Kohlen beliefert, damit sie nicht frieren mussten.

Dann kam am 24. Februar Russlands Krieg über das Land. Wie war das für Sie und das Luxemburger Rote Kreuz?

Zu Kriegsbeginn war unser Team in Kramatorsk. Wer in sichere Regionen der Ukraine wollte, konnte das tun, aber die meisten blieben. Ende März schaffte es ein Teil unseres Teams mental nicht mehr. Da gab es schwere Angriffe auf Kramatorsk und Städte wie Lyman, Bachmut und Slowjansk. Das sind die Gegenden, wo „unsere“ Spitäler und Gesundheitszentren stehen.

Wenn die Rakete an jenem Tag in Kiew explodiert wäre, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht miteinander reden

Gab es auch an diesen Gebäuden Kriegsschäden?

Zum Teil sind Gebäude, die wir aufgebaut hatten, wieder kaputt. Sie sind nicht ganz zerstört, aber beschädigt.

Sie kümmern sich seit 2012 für das Luxemburger Rote Kreuz um die Ukraine, arbeiten aber auch als Physiotherapeutin. Wie machen Sie das und wie sieht Ihre Arbeit für die Ukraine aus?

Normalerweise bin ich drei-, viermal im Jahr in der Ukraine. Dieses Jahr war ich erstmals im September dort. Der für Juli geplante Termin war kurzfristig aus Sicherheitsgründen abgesagt worden. Zum Glück, muss ich sagen, da es dann die ganze Woche tatsächlich Attacken gegen die gesamte Ukraine gab. Im September jetzt war ich in Winnyzja, in Kiew und der Region Kiew, vor allem in der Gegend um Irpin, wo einige unserer Projekte sind, insbesondere fünf Spitäler, darunter auch ein großes Rehazentrum. In der Stadt Irpin sind 40 Prozent der Häuser und Hochhäuser zerstört oder schwer beschädigt. Was mein Leben in Luxemburg angeht, verstehen meine Patienten, warum ich manchmal nicht da bin. Meine Familie, ich habe zwei Kinder, tut das auch. Diese Unterstützung ist ein großes Geschenk, ohne die ginge es nicht.

Lastwagen mit dem Emblem des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz bringen Hilfsgüter in die von den Ukrainern zurückeroberte Stadt Swjatohirsk in der Oblast Donezk
Lastwagen mit dem Emblem des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz bringen Hilfsgüter in die von den Ukrainern zurückeroberte Stadt Swjatohirsk in der Oblast Donezk Foto: AFP/Yasuyoshi Chiba

Wie war Ihr Eindruck bei Ihrem letzten Besuch im September?

Wie die Leute wieder aufstehen und weitermachen, beeindruckt mich. Die Geschäfte sind geöffnet, die Bars und Restaurants laufen gut, es gibt in Kiew sogar wieder Staus. Das war vor wenigen Monaten noch ganz anders. Das Leben dort ist fast wieder normal. Auch deswegen hat mich der vergangene Montag so erschrocken, als Russland das Zentrum Kiews unter Beschuss nahm. Eine Rakete schlug neben einem Spielplatz in einem zentralen Park ein. Im September habe ich gleich nebenan in einer kleinen Bar einen Kaffee getrunken. Wenn die Rakete an jenem Tag dort explodiert wäre, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht miteinander reden.

Warum tun Sie das überhaupt alles?

In den 1990er Jahren, während der Jugoslawienkriege, hatte ich eine Schulfreundin, die von dort nach Luxemburg geflüchtet war. Sie erzählte mir, dass sie nur dank des Roten Kreuzes nach Luxemburg kommen konnte. Und dann hatte die Band U2 zu der Zeit auch ein Video mit dem Roten Kreuz gemacht, in dem es um Hungersnöte in Afrika ging. Damals sagte ich mir: Falls ich mich einmal als Freiwillige engagieren würde, dann für das Rote Kreuz, um einen richtigen Unterschied zu machen. Und so kam es dann auch. Seit 2006 bin ich freiwillig dabei, seit 2010 auch berufstätig.

Das Luxemburger Rote Kreuz hat sich auf die Bereitstellung von Unterkünften spezialisiert. Seit wann ist das der Fall? Was bedeutet das?

Unsere internationale Abteilung hat sich 2012 darauf spezialisiert, erst in Afrika, seit 2015 wie gesagt auch in der Ukraine, wo wir in der Gegend um die Stadt Sumi jetzt bereits 400 Familien das Haus neu aufgebaut haben. Das ist unsere Spezialisierung und es ist das, was in der Ukraine die kommenden Jahre auf uns zukommen wird. Deswegen haben wir gemeinsam mit dem ukrainischen Roten Kreuz auch eine neue Abteilung mit dem Namen „Shelter“ gegründet. So sollen Ingenieure fortgebildet und Menschen aus dem humanitären Sektor eingebracht werden. Das kostet alles viel Geld und wir wollen, dass alles korrekt betrieben wird. Dafür braucht es auch eine Kontrolle vor Ort.

Wer bezahlt das alles?

Was wir aktuell machen, ist nur möglich durch die Spenden der einzelnen Leute. Deshalb an dieser Stelle ein ganz, ganz, ganz großer Dank an die Öffentlichkeit! Das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit hat uns 250.000 Euro für ein Nothilfeprojekt zur Verfügung gestellt. Aber dank der Hilfen der vielen Spender haben wir bereits jetzt etwas mehr als drei Millionen Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung. Ohne unsere Spender könnten wir unsere Arbeit nicht machen. Alleine als luxemburgisches Rotes Kreuz haben wir 400.000 Menschen in der Ukraine geholfen und 157 Tonnen Hilfsmaterial in die Ukraine geliefert. Ohne Spenden, ohne Hilfe geht nichts.