Pensionssystem„Mouvement écologique“ kritisiert Wachstumsdogma bei der Rente

Pensionssystem / „Mouvement écologique“ kritisiert Wachstumsdogma bei der Rente
Schon heute finanzieren die Grenzgänger zu großen Teilen den luxemburgischen Sozialstaat Foto: Editpress/Julien Garroy

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Um das luxemburgische Sozialsystem zu sichern, allen voran die Rente, braucht es immer mehr Wachstum.  Doch wie sicher ist es, dass alles immer mehr wird? Und wie nachhaltig?

Das Dogma geht so: Luxemburg braucht Wachstum. Nun gehört es zum Wesen eines Dogmas, dass sein Wahrheitsanspruch als unumstößlich gilt. Dogmen kann und darf man nicht hinterfragen. Das Mouvement écologique macht es trotzdem. Weil sich wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit zwar nicht per se ausschließen, aber auch nicht selbstverständlich Hand in Hand gehen. Im Sinne der Dogma-Kritik hat die NGO sich deshalb die Rente vorgeknöpft und fordert, die finanzielle Abhängigkeit des Pensionssystems vom steten Wachstumszwang zu hinterfragen.

Der luxemburgische Sozialstaat braucht Wachstum. Genauer: Er rechnet damit. Modellierungen zur zukünftigen Finanzierung des Rentensystems gehen von Steigerungsraten bei verschiedenen Einflussfaktoren aus, z.B. bei der im Land lebenden Bevölkerung, der auf dem Arbeitsmarkt aktiven Bevölkerung, aber auch von einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung von Produktivität und Bruttoinlandsprodukt. Um diese Modelle zu überprüfen, hat das Mouvement écologique beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) eine Analyse in Auftrag gegeben, die untersuchen soll, „inwiefern die in Luxemburg angenommenen Voraussetzungen für eine gesicherte Finanzierung des Alterssicherungssystems plausibel erscheinen“.

Untersucht hat das WIFO den „Bilan technique du régime général d’assurance pension – 2022“ der Generalinspektion der Sozialen Sicherheit und den „Ageing Report“ der EU-Kommission, der alle drei Jahre langfristige Projektionen altersabhängiger Ausgaben wie Pensionen, Pflege oder Bildung erstellt. Die Experten der WIFO haben die Annahmen dieser beiden Berichte auf ihre Plausibilität und ihre finanzielle Tragfähigkeit bis 2070 überprüft – in insgesamt sieben Bereichen: Bevölkerungsentwicklung, Pendler, Erwerbsbeteiligung, Renteneintrittsalter, Arbeitszeit, Produktivität und Lohnquote. 

Noch sichern Grenzgänger die Rente

Nun sind Prognosen über einen Zeitraum von mehreren Jahren – geschweige denn eine Entwicklung über fünf Jahrzehnte – von Natur aus schwierig und fehleranfällig. Sie sind erheblichen Schwankungen und Ungewissheiten unterworfen. Unvorhersehbare Krisen und Ereignisse können Berechnungen sehr schnell hinfällig machen – wie die Covid-Pandemie samt globaler Lieferkettenprobleme oder geopolitische Spannungen wie der Krieg in der Ukraine in den vergangenen Jahren bewiesen haben. Bei aller erwartbarer Unsicherheit isolieren die österreichischen Experten jedoch zwei zentrale Annahmen, die ihrer Meinung nach „kritische Punkte“ enthalten.

Die erste laut WIFO ungesicherte Annahme findet sich laut dem Institut im Zusammenhang mit den Pendlern. Etwa die Hälfte aller Beschäftigten in Luxemburg sind Grenzgänger. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung des Großherzogtums und der Finanzierung des Sozialstaates beigetragen. Nun hängt die Attraktivität des luxemburgischen Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitskräfte vor allem von der Differenz ab, die zum umliegenden Ausland besteht. Liegt das Lohnniveau dort unter jenem oder die Arbeitslosenquote über jener von Luxemburg, kann man davon ausgehen, dass mehr Arbeitskräfte ins Großherzogtum pendeln. Die Realität der vergangenen Jahre sah so aus: Die Zahl der Grenzgänger hat konstant zugenommen, die meisten von ihnen stammen aus dem französischen Lothringen. Dort ist die Differenz zu Luxemburg, was Lohnniveau und Arbeitslosenquote angeht, am größten – im Vergleich zur Wallonie sowie zu Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Die Frage ist: Wird das auch in Zukunft so bleiben?

Die Experten der WIFO kritisieren in den Simulationen zum Rentensystem, dass regionale Einkommensunterschiede, regionale Arbeitslosenquoten und der zeitliche Pendelaufwand sowie die Kosten des Pendelns nicht berücksichtigt würden. Dabei könnten sich Entwicklungen in der Großregion auf das luxemburgische Modell auswirken: Pendeln könnte weniger attraktiv und lukrativ werden; ein weniger dynamisches Wachstum des Pendels als von Statec angenommen könnte sich negativ auf die Finanzierungsbasis der Alterssicherung auswirken.

Angesichts neuer ökologischer Prioritäten ist mit keinem weiteren Ausbau des Straßennetzes zu rechnen und die Treibstoffpreise werden durch höhere Karbonsteuern sowohl in Luxemburg als auch in den umliegenden Ländern deutlich anziehen. In der Folge sollte die Zahl der pendelnden Personen weniger dynamisch wachsen als die Zahl der Immigranten, wie von Statec angenommen.

Weniger Arbeitszeit, weniger Produktivität

Ein zweiter kritischer Punkt ist laut WIFO die Einschätzung der Produktivität. Diese könne nicht einfach aus der Entwicklung der Vergangenheit abgeleitet werden, so die Experten, da sie sich aufgrund technologischer, wirtschaftlicher und demografischer Rahmenbedingungen ständig verändere. Ihrer Meinung nach gibt es einen Trend, der ein Wachstum der Pro-Kopf-Produktivität verhindern könnte: die Arbeitszeitverkürzung. Die Annahme eines Pro-Kopf-Produktivitätswachstums von 1,2 Prozent im „Bilan technique“ scheint den Experten demnach „übermäßig optimistisch zu sein“.

Mit den Ergebnissen des WIFO möchte das Mouvement écologique nun keineswegs den Sozialstaat infrage stellen. Vielmehr will man sie als Appell verstanden wissen, „der Fantasielosigkeit des Wachstumsdogmas neue Modelle der sozialen, ökologischen und ökonomischen Entwicklung entgegenzustellen, bei denen der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, der Mensch und die zukünftigen Generationen im Fokus stehen.“ Es zeige sich einmal mehr der Bedarf einer reellen Debatte über die „Ausrichtung unseres Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells“.

Eine Debatte über das Rentensystem will auch Premier Frieden. Dieses zwinge Luxemburg zu konstantem Wachstum, sagte er vor einigen Wochen im RTL-Interview. Das Dogma, man sieht es wohl auch in der Politik nicht mehr ganz so dogmatisch.

ökostalinist
17. Februar 2024 - 11.59

Tja, vielleicht sollten wir mal das Geld bei denen holen, die ohnehin nicht wissen, wohin damit? Dann müssen wir nicht ewig wachsen und diese Leute verpesten nicht aus Dummheit die Umwelt mit Privatjets, Porsche, usw.

Lucilinburhuc
14. Februar 2024 - 13.36

..."Treibstoffpreise werden durch höhere Karbonsteuern sowohl in Luxemburg als auch in den umliegenden Ländern deutlich anziehen. In der Folge sollte die Zahl der pendelnden Personen weniger dynamisch wachsen"... Treibstoffpreise sind zum aussterben verdammt. Die alternative: Strom wird mittelfristig günstiger. Wer es nicht nachvolziehen kann: "Tony Seba" von der Stanford Uni googlen.

Nomi
13. Februar 2024 - 13.33

Et geht einfach net ob, so'ulaang wei' eise Pensio'unsystem oofhaengeg ass vum Wuesthum vun den Beitragszuehler, den Arbechtsplaatzen. An dann rem mei' Pensio'unsempfaenger an rem mei' Arbechtsplaaten. An der Finazwelt ass deen Schnei'ballsystem well verbueden !