NahostkonfliktMit vereinter Stimme: Breites Bündnis positioniert sich zur Lage in Gaza

Nahostkonflikt / Mit vereinter Stimme: Breites Bündnis positioniert sich zur Lage in Gaza
Breites Bündnis: (v.l.) Alessandro Morini (Amnesty International), Julie Smit (Action Solidarité Tiers Monde), Claude Grégoire (Comité pour une paix juste au Proche-Orient) und Magali Paulus (CELL) Foto: Editpress/Julien Garroy

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Acht luxemburgische Organisationen fordern einen sofortigen Waffenstillstand und das Ende der Blockade des Gaza-Streifens, damit Geiseln frei und humanitäre Helfer ins Land kommen können. Von der Frieden-Regierung verlangen sie mehr Durchsetzungsvermögen.

Es ist ein breites Bündnis, das sich an diesem Donnerstagmorgen im Grund versammelt hat. Acht Organisationen der luxemburgischen Zivilgesellschaft haben sich zusammengeschlossen, um sich mit vereinter Stimme zur Situation in Israel, dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland zu positionieren: Amnesty International, Action Solidarité Tiers Monde (ASTM), CELL, Comité pour une paix juste au Proche-Orient (CPJPO), Friddens- a Solidaritéitsplattform, Médecins sans frontières, Médecins du monde und Unicef Luxemburg. Die Hintergründe dieser Organisationen sind verschieden, manche arbeiten in der internationalen Solidarität oder der humanitären Hilfe, andere setzen sich für Menschenrechte, Pazifismus oder Nachhaltigkeit ein. An diesem Tag aber haben sie eine gemeinsame Forderung: einen unmittelbaren und dauerhaften Waffenstillstand in Gaza.

Mehr als drei Monate sind seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Beginn der israelischen Militäroffensive im Gaza-Streifen vergangen. Nach Angaben verschiedener Akteure der Vereinten Nationen sind seit Beginn des Konflikts mehr als 25.000 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 60.000 verletzt worden. An die 70 Prozent der Opfer sind Frauen und Kinder. Die Situation der Überlebenden in den Ruinen von Gaza verschlechtere sich Tag für Tag, so die dringliche Botschaft der luxemburgischen Organisationen. Auch die sanitäre Krise werde jeden Tag schlimmer, sagt Magali Paulus von CELL, zwei von drei Krankenhäusern seien nicht mehr funktionsfähig – was dazu führe, dass sich gefährliche Infektionen verbreiten können.

Bewusstsein schaffen für die Dringlichkeit

85 Prozent der gesamten Bevölkerung des Gaza-Streifens seien im Moment auf der Flucht, fast 2 Millionen Menschen, sagt Paulus. Ein Großteil der öffentlichen Infrastruktur, Häuser und Schulen seien ganz oder teilweise zerstört. Seit Beginn des Konflikts seien 300 medizinische Fachkräfte, 167 Arbeiter der humanitären Hilfe und mehr als 80 Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit ums Leben gekommen. „Es ist schlimm, dass man immer diese Zahlen anführen muss, um ein Bewusstsein für die Situation zu schaffen“, so Paulus. Ein Ende der Blockade des Gaza-Streifens, um dringend benötigte Hilfsgüter liefern zu können, ist deshalb die zweite Forderung der luxemburgischen Organisationen.

Fordern Waffenstillstand: Magali Paulus (CELL) und Claude Grégoire (Comité pour une paix juste au Proche-Orient)
Fordern Waffenstillstand: Magali Paulus (CELL) und Claude Grégoire (Comité pour une paix juste au Proche-Orient) Foto: Editpress/Julien Garroy

Alessandro Morini, Präsident von Amnesty International, erinnert an die Klage, die Südafrika gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht hat. Ein Urteil zum Vorwurf des Völkermordes steht noch aus. „Gerechtigkeit für die Opfer muss bekräftigt werden, so schnell wie möglich“, sagt Morini. Um einen Genozid zu beweisen, müsse jedoch Intension nachgewiesen werden. Es sei die Aufgabe des Gerichtshofes, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Um internationale Untersuchungen zu Kriegsverbrechen zu ermöglichen, brauche es ebenfalls einen Waffenstillstand, so die Organisationen in ihrem Positionspapier. Eine ebensolche Klarheit und juristische Gerechtigkeit wünscht Morini sich auch für die Frauen, die am 7. Oktober Opfer von grausamer sexualisierter Gewalt seitens der Hamas geworden sind. Im Allgemeinen nimmt Amnesty die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft wahr, den Konflikt im Nahen Osten zu beenden. „Doch sie reichen nicht aus“, sagt Morini.

Neben einem sofortigen Waffenstillstand und einem Ende der Blockade fordert das Bündnis auch die Freilassung aller Geiseln. „Das ist fundamental“, sagt Morini, bezieht sich dabei aber nicht nur auf die israelischen Geiseln in Gaza, sondern auch auf palästinensische Gefangene in Israel. Auch hier würden Menschenrechte verletzt, so der Amnesty-Präsident.

In unseren Augen ist das ein Krieg gegen das gesamte palästinensische Volk

Claude Grégoire, Comité pour une paix juste au Proche-Orient

Claude Grégoire vom CPJPO findet es unerträglich, zu beobachten, „wie eine Bevölkerung von einem Ort zum anderen gejagt wird wie die Tiere“. Das CPJPO organisiert deshalb jeden Samstag Demonstrationen für einen Waffenstillstand. Grégoire kritisiert im Kontext des Nahostkonflikts auch die Sprache der „westlichen Medien“, die von einem „Krieg Israels gegen die Hamas“ schreiben. „In unseren Augen ist das ein Krieg gegen das gesamte palästinensische Volk“. Das CPJPO habe den Angriff der Hamas als Kriegsverbrechen verdammt, „aber man darf die 75 Jahre Besatzung und Enteignung nicht vergessen“. In diesem Zusammenhang erinnert Grégoire an die Worte von UN-Generalsekretär António Guterres, der sagte, der Überfall der Hamas habe nicht „in einem Vakuum“ stattgefunden. Für Grégoire habe die israelische Regierung nie einen Hehl daraus gemacht, dass man die Palästinenser aus Gaza vertreiben wolle. Er spricht von einem „Soziozid“: „Das ist die systematische Zerstörung einer Gesellschaft, eines Raumes, einer Landschaft, der Häuser, der Politik, der Wirtschaft, der Bildung, der Kultur, bis zu den Erinnerungen und der Identität.“ Man müsse das, was dort passiere, als Kolonialkrieg begreifen, so Grégoire. „Die Palästinenser haben ein Recht auf Widerstand.“

Verschärfte Situation im Westjordanland

Auch im Westjordanland hat sich die Situation seit dem 7. Oktober verschärft. Angriffen radikaler Siedler seien bislang 380 Menschen zum Opfer gefallen, 6.195 Personen wurden festgenommen, so Grégoire. Das seien die aktuellsten Zahlen der palästinensischen Autonomiebehörde. Das CPJPO informiert sich auch auf direktem Weg über die Situation der Palästinenser vor Ort. Man arbeitet mit zwei Projekten, eines in Gaza, eines im Westjordanland. Grégoire erzählt von Übergriffen, Vandalismus, Verhaftungen und zerstörter Infrastruktur. Die israelische Armee arbeite dabei Hand in Hand mit den Siedlern. „Die Situation im Westjordanland ist extrem explosiv“, so Grégoire.

Auch ASTM hat direkte Kontakte ins Westjordanland. Seit dem 7. Oktober sei sie in regelmäßigem Kontakt mit ihren Partnern vor Ort, sagt Julie Smit. Da ist zum einen die Union der palästinensischen Bauern in Ramallah. „Sie berichten regelmäßig vom Leid ihrer Mitglieder.“ Seit dem 7. Oktober habe sich die Situation noch einmal dramatisch verschlechtert, unterstreicht Smit. Die israelische Regierung habe den Siedlern Zugang zu Waffen ermöglicht. Seit Beginn des Jahres habe man bereits 120 Angriffe gegen die Bauern gezählt – 23 davon in Präsenz der israelischen Armee. 50 Bauern seien seit Beginn des Konflikts ums Leben gekommen. „Unsere Partner vor Ort drücken immer wieder ihre enorme Frustration mit der Reaktion der internationalen Gemeinschaft aus“, sagt Smit. Claude Grégoire vom CPJPO sieht hier auch Luxemburg in der Pflicht. „Wir sind froh darüber, dass Außenminister Bettel die Zwei-Staaten-Lösung wiederentdeckt hat“, aber man müsse sie auch durchsetzen. Die EU als mächtiger Handelspartner hätte dafür die geeigneten Mittel. Außerdem solle Luxemburg Palästina als eigenständigen Staat anerkennen, so Grégoire.

Marc Burggraff von der Friddens- a Solidaritéitsplattform erinnert am Ende der Gesprächsrunde noch einmal daran, dass Opfer des Konflikts im Nahen Osten auch in Luxemburg leben. Familien, die aus Gaza stammen und die seit einigen Wochen versuchen würden, ihre Angehörigen aus Gaza herauszubekommen. Sie seien in Kontakt mit Vertretern der Chamber, so Burggraff. „Bislang bekommen sie aber keine Hilfe.“