Dienstag4. November 2025

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Fast zwei Jahre später als geplantLuxemburgs nationaler Aktionsplan gegen Rassismus soll bis Ende des Jahres fertig sein

Fast zwei Jahre später als geplant / Luxemburgs nationaler Aktionsplan gegen Rassismus soll bis Ende des Jahres fertig sein
Demonstration in Minneapolis im Mai 2021: Der Tod des Afroamerikaners George Floyd ein Jahr zuvor löste weltweite Proteste gegen Rassismus und rassistische Polizeigewalt aus Foto: AFP/Kerem Yucel

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Der nationale Aktionsplan gegen Rassismus wird zurzeit unter Federführung des Familienministeriums und in Zusammenarbeit mit anderen Ministerien und Verwaltungen sowie mit einer ganzen Reihe an Organisationen aus der Zivilgesellschaft ausgearbeitet. Bis Ende dieses Jahres soll er fertig sein – ursprünglich war Anfang 2024 vorgesehen.

Rassismus in Luxemburg? Das Thema wurde lange unter den Teppich gekehrt. Rassismus gebe es hierzulande nur unterschwellig, war häufig zu hören. Betroffene berichteten durchaus davon, wie sie ihm im Alltag ausgesetzt waren. Eine gesellschaftliche Debatte darüber blieb jedoch aus. Rassismus weiter gefasst, die Diskriminierung von Immigranten, wurde bereits früher aufgegriffen, etwas in dem Buch „Fremdarbeiter. Ein Schwarzbuch über ihre Situation in Luxemburg“ im Jahr 1974. Das Projekt „Retour de Babel“, das als Ausstellung und Buch entstand, als Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt 2007 war, hatte die Komplexität der Migration hierzulande als Thema: als schöne neue multikulturelle Welt. Für das Kulturjahr 2022 wurde das Projekt von einer Gruppe von Künstlern erneut aufgegriffen.

Der Rassismus etwa gegen People of Color (POC) wurde hin und wieder in manchen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln thematisiert. Erst die im November 2019 von den Ausländerhilfsorganisationen ASTI und CLAE sowie von der Menschenrechtskommission (CCDH) organisierte Konferenz „Being Black in Luxembourg“ stieß eine breitere Diskussion an. Im Jahr zuvor hatte die Europäischen Agentur für Menschenrechte die Studie „Being Black in the EU“ über die Diskriminierung dunkelhäutiger Menschen in Europa veröffentlicht. Dabei schnitt Luxemburg schlecht ab. So gab jeder zweite Bürger dunkler Hautfarbe an, in den fünf vorausgegangenen Jahren rassistisch beleidigt worden zu sein. Etwa 70 Prozent der Befragten gaben an, wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft benachteiligt worden zu sein. Michael O’Flaherty, Direktor der Agentur, nannte die Situation „äußerst besorgniserregend“. Die damalige liberale Familien- und Integrationsministerin Corinne Cahen, die an der Konferenz teilnahm, zeigte sich schockiert. Der Handlungsbedarf war groß.

Struktureller Rassismus

Der unverhohlen direkte, vulgäre Rassismus in Form von Beschimpfungen war im Lauf der Jahrzehnte größtenteils einem eher versteckten Rassismus gewichen, der sich als institutioneller oder struktureller Rassismus in verschiedenen Lebensbereichen äußert: etwa im Bildungswesen, im Wohnsektor und in der Arbeitswelt. Die Sozialarbeiterin Mirlene Fonseca Monteiro hatte für ihre Masterarbeit mit 22 Jugendlichen kapverdischer Abstammung gesprochen und herausgefunden, dass diese von klein auf das Gefühl des Andersseins vermittelt bekommen haben. Obwohl sie in Luxemburg geboren und aufgewachsen sind, obwohl sie die luxemburgische Nationalität haben und Luxemburgisch sprechen, würden sie als Fremde betrachtet, stellte Fonseca fest.

Bei der Jobsuche und Ausübung seiner Arbeit fühlte sich etwa jeder zweite Teilnehmer der Studie aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt. Hinzu kommt die finanzielle Situation, in der sich viele Menschen mit dunkler Hautfarbe befinden. 56 Prozent von ihnen sehen sich finanziell gefährdet und 14 Prozent haben Schwierigkeiten, um über die Runden zu kommen. Nach einer Studie des „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ (Cefis) von 2017 verfügen etwa die kapverdischen Einwanderer über die im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen im Durchschnitt kleinste Wohnfläche. Eine markante Zahl ist auch der geringe Anteil von Schülern kapverdischer Herkunft in den klassischen Lyzeen: zu jenem Zeitpunkt drei Prozent – im Vergleich dazu 31,5 Prozent unter der Gesamtbevölkerung.

Es ist das Gefühl, als ob Menschen mit dunkler Hautfarbe in der luxemburgischen Gesellschaft nicht existieren

Ghislaine Tchuisseu, Kweni

Der Rassismus hat viele Facetten und kann sowohl am Arbeitsplatz als auch im Bildungswesen oder bei der Wohnungssuche auftreten, aber sich auch in Form von Mikroaggressionen niederschlagen: „Kaum sichtbar, im Einzelnen auszuhalten, doch in schierer Summe wird der Schmerz unerträglich. Diese Mückenstiche haben einen Namen: Mikroaggressionen“, schreibt die deutsche Autorin und Journalistin Alice Hasters. Auch Ignoranz sei eine Mikroaggression. „Nur, weil man sich nie bewusst Gedanken über Herkunft, Hautfarbe und Identität gemacht hat, läuft man nicht vorurteilsfrei durch die Gegend“, so Hasters. „Man bemerkt nur nicht, dass man diese Vorurteile hat.“ Nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden und weitgehend „unsichtbar“ zu sein, gehöre zu den Erfahrungen, die viele Menschen mit afrikanischen Wurzeln auch in Luxemburg machen, bestätigte Ghislaine Tchuisseu von Kweni, der Vereinigung afrikanischer Frauen in Luxemburg, in einem Interview mit dem Tageblatt im März 2020. „Es ist das Gefühl, als ob Menschen mit dunkler Hautfarbe in der luxemburgischen Gesellschaft nicht existieren.“

„I can’t breathe“

Nach dem von einem Polizisten verursachten Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis am 25. Mai 2020 gingen in vielen Städten der Welt Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren. Im Zuge der weltweiten Proteste der antirassistischen Organisation Black Lives Matter kam es ungefähr zehn Tage nach Floyds Tod auch zu einer Demonstration vor der US-Botschaft in Luxemburg. Die Demonstranten hatten auf Schilder unter anderem „I can’t
breathe“ geschrieben, die letzten Worte von George Floyd. Hierzulande waren es vor allem Organisationen wie „Finkapé“ oder „Lëtz Rise Up“, die auf die Belange der Betroffenen aufmerksam machten.

Unter dem Einfluss der Proteste von Black Lives Matter wurde das Augenmerk auch auf rassistische Tendenzen in den europäischen Ländern gerichtet. „Es war höchste Zeit. Denn in Luxemburg war darüber bisher wenig geforscht worden“, sagte Michel Tenikue vom Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) dem Autor dieser Zeilen in einem Interview 2022. Dass Rassismus auch in Luxemburg gegenwärtig ist, sei lange verdrängt worden, so der Ökonom. In der vom Familien- und Integrationsministerium in Auftrag gegebenen Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ führte das Forscherteam um Tenikue eine quantitative Erhebung durch, das „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ (Cefis) befragte für eine qualitative Studie 139 Fachleute und Akteure aus 67 privaten und öffentlichen Strukturen über deren Wahrnehmung von Rassismus. Der Bericht spiegele „die Realität des Zusammenlebens und der Integration in der de facto multikulturellen Gesellschaft Luxemburgs wider“. Er schlägt zudem „konkrete Wege zur Verbesserung der Situation vor und liefert reichhaltiges und tiefgründiges Material für Überlegungen und Maßnahmen“.

Um heutige Konflikte in afrikanischen Ländern zu verstehen, müsse man auch die Kolonialgeschichte kennen und was Luxemburg damit zu tun hat

Antonia Ganeto, CCDH

Dass dieses Jahr erst der nationale Aktionsplan fertiggestellt werden soll, ist kein Ruhmesblatt für Luxemburg. Die Europäische Kommission hatte bereits im September 2020 den Aktionsplan gegen Rassismus 2020-2025 angenommen, der ein breites Spektrum von Politikbereichen abdeckt. Mit dem Aktionsplan sollten die EU-Länder ermutigt werden, bis 2022 in enger Mitarbeit mit der Zivilgesellschaft Aktionspläne zu verabschieden. Das Ministerium für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen von Ressortleiter Max Hahn (DP) hat die Federführung. Die Beratende Menschenrechtskommission (CCDH) wies bereits darauf hin, dass die Frist längst überschritten wurde. CCDH-Vizepräsidentin Antonia Ganeto, einst Mitgründerin von Finkapé, befürchtet, dass der Aktionsplan nur ein Alibi sein könne, „um zu zeigen, dass man etwas gemacht habe“. Er müsse daher mit konkreten Maßnahmen und Inhalten gefüllt sein. Ein Aktionsplan kann daher nicht nur eine symbolische Funktion haben und als Feigenblatt dienen.

Ganeto weist außerdem darauf hin, wie wichtig es ist, dass Experten und Vertreter der Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung des Aktionsplans, an dem einzelne Ministerien wie das Arbeits-, Bildungs- und Wohnungsbauministerium arbeiten, miteinbezogen werden. Diese Fachleute seien für eine Expertise unverzichtbar. Der Aktionsplan müsste zum Beispiel in der Bildung beinhalten, dass man sich in den Schulen mit den Aspekten der luxemburgischen Geschichte beschäftigt, die den Kolonialismus betreffen. „Luxemburg war schließlich in die Kolonialisierung des Kongo involviert“, sagt sie. „Um heutige Konflikte in afrikanischen Ländern zu verstehen, müsse man auch die Kolonialgeschichte kennen und was Luxemburg damit zu tun hat.“ Eine entsprechende Ausstellung über „Luxemburgs koloniale Vergangenheit“ setzte im Jahr 2022 in dieser Hinsicht Maßstäbe. Ein Aktionsplan gegen Rassismus und darüber hinaus die Aufnahme des Antirassismus in der Verfassung wären weitere Schritte.

Antonia Ganeto und Michael O’Flaherty bei der Konferenz „Being Black in Luxembourg“ im November 2019
Antonia Ganeto und Michael O’Flaherty bei der Konferenz „Being Black in Luxembourg“ im November 2019 Foto: Editpress/Julien Garroy
fraulein smilla
3. Februar 2025 - 14.56

@ Tim Damit der Rassismus uns noch lange erhalten bleibt , mussten ihn die woken " neo " Antirassisten erst mal auf Mikroaggressionen verduenen .
Fuer die "alten " Antirassisten war das Wort Rasse schon ein Unwort , weil es eben keine Rassen gibt .

Tim
3. Februar 2025 - 12.51

Es klingt, als hätte Fräulein Smilla diesen Artikel nicht gelesen oder nichts daraus gelernt. Das ist das Problem heutzutage. Die Leute glauben, ein Thema zu kennen und sich eine Meinung zu bilden, ohne wirklich zuzuhören. Zu wenig Zuhören, keine Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen zu versetzen – selbst wenn diese Schwierigkeiten in einem ganzen Artikel klar dargelegt werden. Das zu lesen und sich dann als Opfer darzustellen, weil sie unwissentlich jemanden beleidigt hat... was für eine Blamage.

fraulein smilla
3. Februar 2025 - 10.49

Ist der neue Nachbar , Arbeitskollege , Mitschueler hellhaeutig ist es selbsverstaendlich zu fragen woher er kommt . Ist er dagegen dunkelhaeutig
dann soll es sich um eine verduente rassistische Mikroaggression handeln .
Ich bekam mal einen schwarzen Arbeitkollegen , er sprach fliesend franzoesisch und ich fragte ihn woher er komme . Er kam aus dem Senegal ,haette er Diedenhofen gesagt ,so what . Anscheinend hatte ich mich einer Mikroaggression schuldig gemacht .Asche auf mein Haupt .