Ukraine-Russland-KonfliktLuxemburger Friedensaktivist: „Leider haben wir ein paar Jahrzehnte so gelebt, als gäbe es nie wieder Krieg“

Ukraine-Russland-Konflikt / Luxemburger Friedensaktivist: „Leider haben wir ein paar Jahrzehnte so gelebt, als gäbe es nie wieder Krieg“
Claude Pantaleoni ist Präsident der Friedensorganisation „Pour la Paix et contre la Guerre Asbl - Ad pacem servandam“ und Lehrer an einer Sekundarschule in Luxemburg Archivfoto: Editpress/Isabella Finzi

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In der Ukraine herrscht Krieg. Menschen demonstrieren deshalb in vielen Ländern auf der ganzen Welt für den Frieden. Das Tageblatt hat sich mit Claude Pantaleoni, dem Präsidenten einer Luxemburger Friedensorganisation, unterhalten – die Asbl leistet bereits seit Jahren Hilfsarbeit in der Ukraine. Pantaleoni erklärt, was Menschen tun können, die helfen wollen, und was er über verschiedene Lösungsansätze denkt.

„Ich schlafe nachts nicht, wir sind aufgeregt und betroffen vom Krieg“, sagt Claude Pantaleoni. Der Grund dafür ist verständlich: Mitglieder seiner Familie befinden sich momentan in besetztem ukrainischen Gebiet und verstecken sich, zahlreiche Menschen müssten fliehen, berichtet er. „Es ist haarsträubend.“ Wie lange dieser Zustand andauern wird, wisse man nicht, sagt Pantaleoni. Er selbst ist der Präsident der Luxemburger Friedensorganisation „Pour la Paix et contre la Guerre Asbl – Ad pacem servandam“ und mit einer Ukrainerin verheiratet. Seiner Ansicht nach kommt Russlands Angriff auf die Ukraine vom Donnerstagmorgen jedoch nicht sonderlich überraschend.

Bereits seit mehreren Jahren setzt Pantaleoni sich mit seinen Kollegen von der Friedensorganisation für Menschen ein, die von Konflikten oder Kriegen betroffen sind. Zum Beispiel habe die Asbl bereits vor Russlands Angriff auf das Land Studenten in der Ukraine unterstützt, die es dort nicht leicht gehabt hätten. Nach der aktuellen Verschärfung der Lage versuche die Organisation weiter, ihnen zu helfen und sie beispielsweise aus den Ostgebieten herauszubekommen. „Die Jüngeren verstecken sich momentan, weil viele von ihnen eingezogen werden sollen“, sagt Pantaleoni. Man sei mit den Studenten und auch mehreren Familien in Kontakt, die versuchten, zu fliehen.

Unter den Studenten, die von der Vereinigung unterstützt werden, ist auch Susanna A. – sie ist laut Pantaleoni im Jahr 2015 innerhalb der Ukraine aus Gorkivka geflüchtet. Anschließend studierte sie mit finanzieller Hilfe der „Pour la Paix et contre la Guerre Asbl“ Medizin in Kharkiv. Momentan sei sie unterwegs in Richtung Lwiw, weil es in Kharkiv zu gefährlich sei, ihre Mutter sitze derweil in Kramatorsk fest, weil keine Evakuationszüge mehr fahren. „Ein anderer Student, den wir unterstützen, Sergij, konnte nicht mehr aus der Stadt rausfahren, er hat sich in seiner Wohnung eingesperrt“, berichtet Pantaleoni. Lev B., ein weiterer Student und Flüchtling aus Donezk, habe die vergangenen beiden Nächte in Kiew in der U-Bahn verbracht, um sich vor dem Raketenbeschuss zu schützen.

Dieser Krieg ist nicht vom Himmel gefallen, er ist über Jahre geplant worden

Claude Pantaleoni, Präsident der Friedensorganisation „Pour la Paix et contre la Guerre Asbl - Ad pacem servandam“

Dass Russland die Ukraine angreift, sei laut Pantaleoni trotz Hoffnungen, dass es anders geregelt werden könnte, jedoch nicht unvorhersehbar gewesen. „Dieser Krieg ist nicht vom Himmel gefallen, er ist über Jahre geplant worden“, sagt er. Seiner Ansicht nach hänge das auch damit zusammen, dass mittlerweile viel zu wenig über Kriege und Geschichte aufgeklärt werde. Dazu gehöre auch, zu wissen, welche Vorbedingungen zu einem Krieg führen könnten und auf welche Warnsignale und Parallelen zu vorangegangenen Eskalationen man achten müsse.

Das zeige sich auch in den Schulen – Pantaleoni ist selbst Lehrer an einer Luxemburger Sekundarschule und habe dazu eigene Erfahrungen gemacht. Unter den Schülern habe er beispielsweise Äußerungen bemerkt wie: „Das ist ja weit weg und solange es nicht hierherkommt, berührt es uns auch nicht“, berichtet der Asbl-Präsident. Doch genau das sei falsch: „Leider haben wir hier ein paar Jahrzehnte so gelebt, als gäbe es nie wieder Krieg“, sagt Pantaleoni. „Zu glauben, dass das Vergangenheit ist, das ist alles falsch.“ Dass aus dem aktuellen Konflikt eine Situation entstehen könnte, in der Atomwaffen zum Einsatz kommen, halte er zum Beispiel für durchaus realistisch, denn Russlands Präsident Wladimir Putin werde Pantaleonis Auffassung nach nach der Ukraine nicht unbedingt Halt machen.

Die Lösung ist nicht nur Russland, sondern auch wir

Claude Pantaleoni, Präsident der Friedensorganisation „Pour la Paix et contre la Guerre Asbl - Ad pacem servandam“

Der Asbl-Präsident erklärt zudem, dass er glaube, die von der EU verhängten Sanktionen täten Russland „gar nicht weh“. Sie seien seiner Ansicht nach eher dazu gedacht, der Bevölkerung zu zeigen: „Wir tun etwas“. Das reiche jedoch nicht aus: „Das Spiel mit den Sanktionen muss aufhören“, sagt Pantaleoni. „Dieses Diplomatiespiel gibt es seit Wochen. Wir müssten jetzt langsam wissen, dass es nichts bringt, immer noch zu versuchen, ihn umzustimmen – das ist kindisch.“ Er sei deshalb auch enttäuscht von vielen Politikern. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn könne er zum Beispiel zu dem Thema „nicht mehr hören“, da schalte er auch mal das Radio ab.

Doch wenn Diplomatie nicht funktioniert und Putin bei jedem militärischen Eingreifen mit einer nie dagewesenen Antwort droht, was bleibt dann als alternativer Lösungsansatz übrig? Pantaleoni nennt zu dieser Frage keinen konkreten Ansatz, sagt aber: „Der Mensch ist erfinderisch. Wir brauchen andere Modelle und die Politiker müssten sich dazu von Experten beraten lassen.“ Ihm als Präsident seiner Friedensorganisation sei wichtig: „Mir geht es darum, zu zeigen, dass Krieg keine Lösung ist – aber er gehört leider zu unserer Geschichte.“ Dennoch habe man derzeit einen „Feind“ und die EU müsse sich stärker positionieren, um dem entgegenzuwirken. „Die Lösung ist nicht nur Russland, sondern auch wir“, sagt Pantaleoni.

Und was können Menschen für die Betroffenen in der Ukraine tun, die beispielsweise von Luxemburg aus helfen wollen? Pantaleoni sagt, man könne auf die Straße gehen und demonstrieren – auch im Großherzogtum gebe es samstags auf dem Place Clairefontaine entsprechende Versammlungen, sagt der Asbl-Präsident. Eine weitere Möglichkeit zum Helfen sei, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen, was er selbst ebenfalls vorhabe. Pantaleoni stelle außerdem einen Newsletter zusammen, mit Dingen, die Menschen selbst aktiv tun können, um zu helfen. Darüber wolle er unter anderem Menschen finden, die sich freiwillig dazu bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen. Innerhalb der kommenden zwei Tage wolle man zudem eine Lieferung mit benötigten Dingen wie Bettwäsche zusammenstellen und es den Bedürftigen in der Region schicken.

„Pour la Paix et contre la Guerre Asbl – Ad pacem servandam“

Der Website der Friedensorganisation zufolge wurde 2015 zunächst die Initiative „Für Frieden und gegen Krieg“ nach dem Krieg in der Ostukraine ins Leben gerufen. Die Beteiligten suchten damals den direkten Kontakt zu den Opfern und Vertriebenen im Land und leisteten Hilfe. „Der Krieg in der Ukraine hat uns bewusst gemacht, dass die Zeit des Friedens in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg vorbei ist“, heißt es auf der Website der heutigen Asbl. „Wir treten in eine Zeit ein, in der Kriege wieder möglich werden, auch in Europa.“ Das habe die Beteiligten motiviert, am 11. Juli 2017 eine Vereinigung ohne Erwerbszweck zu gründen. Um Gelder für die Bedürftigen zu sammeln, organisiert die Asbl unter anderem Wohltätigkeitskonzerte, Versammlungen und Konferenzen, auf denen sie auf aktuelle Problematiken hinweist. Zurzeit unterstütze sie hauptsächlich Kriegsopfer und Binnenflüchtlinge in der Ukraine. „100 Prozent der erhaltenen Spenden werden für die Unterstützung der Opfer verwendet. Die Veranstaltungen unserer Informationsprojekte werden durch die Mitgliedsbeiträge finanziert“, so die Organisation.