GroßbritannienJulian Assange bleibt in Haft – Londoner High Court verlangt neue Garantien von US-Regierung

Großbritannien / Julian Assange bleibt in Haft – Londoner High Court verlangt neue Garantien von US-Regierung
Vor dem Gericht hatten Unterstützer von Assange eine Demo organisiert. Ihre Forderung ist klar. Foto: AFP

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Julian Assange wird einstweilen nicht an die USA ausgeliefert. Im schier endlosen Irrweg des Wikileaks-Gründers durch die Instanzen der britischen Justiz verfügte der Londoner High Court am Dienstag eine weitere Verzögerung. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was hat das Gericht entschieden?

Unter Vorsitz der höchsten Zivilrichterin von England und Wales musste sich die zweiköpfige Kammer im Verfahren „Assange gegen die Regierung der Vereinigten Staaten“ mit insgesamt neun Argumenten der Assange-Anwälte gegen die Überstellung ihres Klienten an die US-Justiz auseinandersetzen. Davon verwarf sie sechs. In den drei verbliebenen Punkten habe Assange „echte Aussicht auf Erfolg“.

Dabei geht es um den geplanten US-Prozess gegen den 52-Jährigen wegen Geheimnisverrats. Der Australier müsse sich auf das US-Verfassungsrecht zur Meinungsfreiheit berufen dürfen, auch dürfe er nicht als Ausländer diskriminiert werden. Vor allem aber müsse sichergestellt sein, dass ihm nicht die Todesstafe droht. Um Richterin Victoria Sharp und ihren Kollegen Adam Johnson zufriedenzustellen, müssen Regierung und Justiz der Vereinigten Staaten dem Gericht nun binnen drei Wochen Garantien zu den drei genannten Punkten vorlegen.

In Washington gilt Wikileaks als „feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst“. Sollte Assange in allen 18 Anklagepunkten nach dem US-Spionagegesetz von 1917 schuldig gesprochen werden, könnte sich die Haftstrafe theoretisch auf 175 Jahre Freiheitsstrafe addieren. Im Auslieferungsverfahren bezeichneten die Vertreter der US-Regierung eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren als realistisch.

Was wird Assange konkret vorgeworfen?

Seine Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan und Irak ans Licht. Dazu zählte das Video eines Hubschrauberangriffs auf Zivilisten von 2007, bei dem zwei Mitarbeiter der weltberühmten Nachrichtenagentur Reuters ums Leben kamen. Trotz klarer Beweise kam es zu keiner Anklage, geschweige denn Verurteilung gegen die Verantwortlichen.

Wenig später forderte zunächst Schweden seine Auslieferung wegen angeblicher Sexualdelikte, das Verfahren wurde 2017 eingestellt. Später folgten die USA mit der Aufforderung an Großbritannien, Assange zu überstellen. Ihm werden Computer-Hacking und Spionage zur Last gelegt. Auch ohne rechtsgültige Verurteilung muss der mittlerweile 52-Jährige auf seine Freiheit verzichten: Zwei Jahren Hausarrest sowie sieben Jahren Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors folgte seit April 2019 die Straf- und Auslieferungshaft.

Warum verwarf das Gericht zwei Drittel der Einspruchsgründe?

Das Assange-Team konzentrierte sich auf die Darstellung ihres Mandanten als politischen Gefangenen: „Die Strafverfolgung ist politisch motiviert. Herr Assange hat schlimme Verbrechen aufgedeckt und dabei normale journalistische Vorgehensweisen angewandt“, sagte sein Kronanwalt Ed Fitzgerald bei der mündlichen Verhandlung im Februar.

Ob aber Assange tatsächlich ein „politischer Gefangener“ (Moris) ist oder nicht, spielt für seine Auslieferung keine Rolle. Darauf wies die Kammer ausdrücklich hin. Zwar seien in früheren Gesetzen politische Delikte ausdrücklich von der Auslieferung ausgenommen gewesen. Dies gelte aber nicht für das Abkommen, das die britische Regierung unter Premier Tony Blair 2003, also zur Hochzeit der amerikanischen Terror-Hysterie und im Jahr des Irak-Kriegs, mit Washington abschloss.

In ihrer 66-seitigen Urteilsbegründung macht die Kammer eine Reihe feinsinniger Bemerkungen zu den Argumenten der Assange-Anwälte. Dass deren Klient aus einer tiefempfundenen politischen Überzeugung heraus gehandelt habe, stehe nicht in Zweifel. Auch habe er mit den ursprünglichen Wikileaks-Enthüllungen die Verwicklung staatlicher Stellen in „schwere Verbrechen“ aufgedeckt. Daraus folge aber nicht, dass die Auslieferung „wegen seiner politischen Ansichten“ betrieben werde, wie von den Kronanwälten des Inhaftierten behauptet.

Wie reagiert das Assange-Lager?

Vom Betroffenen selbst kam aus der Haftzelle natürlich kein Kommentar. Seine Frau und Anwältin Stella Moris gab sich in einer kurzen Stellungnahme mehrfach „erstaunt“ über das Urteil.

Wie geht das Verfahren jetzt weiter?

Die Amerikaner haben bis zum 16. April Zeit, dem High Court die gewünschten Garantien vorzulegen. Sollte dies nicht geschehen, könnte Assange unmittelbar ein neuerliches Verfahren gegen seine Auslieferung anstrengen. Im viel wahrscheinlicheren Fall, dass Washington dem Gerichtsansuchen nachkommt, haben die Prozessparteien Zeit für weitere Schriftsätze. Über diese würde die Kammer dann am 20. Mai in mündlicher Verhandlung öffentlich beraten. Sollte sie dann gegen Assange entscheiden, könnte sich der Aktivist noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Ob sich dieser des Falles annehmen würde, ist allerdings keineswegs sicher.

Die Biden-Administration solle lieber das Auslieferungsbegehren zurückziehen und „dieses schändliche Verfahren beenden“, forderte Stella Moris am Dienstag. Einen anderen Ausweg erwägt einem Bericht des Wall Street Journal zufolge das US-Justizministerium: Sollte Assange sich von London aus in einem minderen Fall des „unerlaubten Umgangs mit geheimen Dokumenten“ für schuldig bekennen, werde man die 18 Anklagepunkte fallen lassen. Da die zu erwartende Strafe weit unter den bisher verbüßten, beinahe fünf Jahren Haft liegt, käme der Aktivist umgehend auf freien Fuß.

So elegant diese Lösung auf dem Papier aussieht – im Assange-Lager gibt man sich ahnungslos. „Uns wurde in keiner Weise signalisiert, dass das Justizministerium den Fall beenden will“, berichtete Anwalt Barry Pollack.

Welche möglichen Folgerungen ergeben sich für ähnliche Fälle?

Ganz gewiss werden der derzeitige Amtsinhaber James Cleverly und dessen Nachfolgerinnen im Innen-Ressort das Urteil der höchsten Zivilrichterin genau studieren. Denn quasi im Vorbeigehen erteilte das Gericht auch der früheren Innenministerin Priti Patel einen schweren Rüffel. Diese hatte 2022 dem Auslieferungsverfahren von politischer Seite her grünes Licht erteilt. Das sei falsch gewesen, heißt es in der Urteilsbegründung: Angesichts der mangelnden Garantien die Todesstrafe betreffend „hätte die Ministerin zu dem Schluss kommen sollen, dass die Auslieferung ausgeschlossen ist“.

Nicht ganz zufällig gerät hier eine enge Vertraute des Chaos-Premiers Boris Johnson ins Rampenlicht: Als Vertreterin des äußersten rechten Flügels der konservativen Regierungspartei machte Patel noch kurz vor ihrer Wahl ins Unterhaus 2010 als Befürworterin der Todesstrafe von sich reden. Im Amt fiel sie weniger durch juristische Kenntnisse auf als vielmehr durch ihre Schreianfälle gegen Spitzenbeamte.