Samstag1. November 2025

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Krieg„Invasoren können keine Helden sein“: Gespräch mit Ukraine-Botschafterin Natalia Anoshyna

Krieg / „Invasoren können keine Helden sein“: Gespräch mit Ukraine-Botschafterin Natalia Anoshyna
Natalia Anoshyna vertritt die Ukraine in Belgien und in Luxemburg Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Natalia Anoshyna ist Botschafterin („Chargé d’affaires“) der Ukraine für Belgien und Luxemburg. Diesbezüglich war sie letzte Woche für politische Gespräche in Luxemburg. Am Rande davon hat sie sich mit dem Tageblatt über die Beziehungen beider Länder und über die aktuelle Lage in ihrer Heimat unterhalten.

Tageblatt: Wie sehen Sie die luxemburgisch-ukrainischen Beziehungen? Sie sind damit zufrieden?

Natalia Anoshyna: Absolut. Ich möchte mit Worten tiefer Dankbarkeit an Luxemburg, an die luxemburgische Bevölkerung, an alle luxemburgischen Behörden, an den Premierminister, die Regierung beginnen. Luxemburg zählt zu unseren wichtigsten Partnern. Ich bin wirklich dankbar für die starke Unterstützung und die Solidarität, die wir erfahren.

Das klingt aber sehr positiv.

Luxemburg hat uns von Beginn der russischen Aggression an geholfen. Luxemburg gehörte zu den ersten Ländern, die der Ukraine militärische Unterstützung gewährten. Wir können über praktische Hilfe in allen Bereichen sprechen, auf bilateraler und internationaler Ebene. Wir werden uns immer daran erinnern und sind sehr dankbar für die Hilfe, die wir erhalten haben und weiterhin erhalten.

Sind Sie auch mit der militärischen Hilfe zufrieden, die Luxemburg leistet?

Ja, absolut. Wir sind mit der starken Unterstützung Luxemburgs im militärischen Bereich zufrieden. Wie gesagt, Luxemburg hat uns bereits in den ersten Kriegstagen ohne Bürokratie starke militärische Unterstützung geschickt. Und ich möchte betonen, dass wir alle Hilfen, die der Luxemburger Staat angekündigt hat, auch rechtzeitig erhalten haben. Es ist für uns von entscheidender Wichtigkeit, alle Waffen und die gesamte notwendige militärische Ausrüstung rechtzeitig zu haben. Das würden wir uns auch von unseren anderen Partnern und Verbündeten wünschen. Um unsere Städte und unser Land schützen zu können.

Beim Angriff im Frühjahr 2022 hatte Luxemburg noch eine andere Regierung. Hat das einen Unterschied für Sie gemacht?

Wir haben mit den zwei Regierungen wirklich viel Glück gehabt. Wir schätzen beide sehr. Beide boten und bieten volle Unterstützung für unsere territoriale Integrität und für die Souveränität der Ukraine. Die luxemburgische Regierung hat sich auch immer an allen Initiativen des ukrainischen Präsidenten beteiligt. Erst kürzlich haben Wolodymyr Selenskyj und Luc Frieden in Washington ein Friedens- und Sicherheitsabkommen zwischen beiden Ländern unterzeichnet. Luc Frieden hat auch am ersten Friedensgipfel in der Schweiz teilgenommen, wie wir auch zuvor auf die volle Unterstützung von Herrn Bettel bei allen internationalen Veranstaltungen, zum Beispiel beim Krim-Plattform-Gipfel, zählen konnten.

Was bedeutet das, dass Luxemburg Teil einer Cybersicherheitsgruppe ist?

Luxemburg ist der Co-Leiter dieser Koalition und Luxemburg ist auch Teil der F-16-Koalition. Dabei geht es um ein breites Spektrum an Unterstützung, von Schulungen, finanziellen Hilfen bis hin zum Bereitstellen von Material. Im Bereich der Cybersicherheit ist Luxemburg Co-Leiter zusammen mit Estland. Unter der Leitung von Estland und Luxemburg wurden hier bereits insgesamt 58 Millionen Euro gesammelt … Schulungen, Ausrüstung, Monitore und Laptops.

Als jemand, der hier lebt, verstehen Sie, dass ein Teil der Bevölkerung nicht so sehr dafür ist, der Ukraine zu helfen?

Ich würde das Gegenteil behaupten. Ich liebe die Luxemburger wegen ihres sehr guten Herzens, wegen ihrer Gastfreundschaft und weil sie sehr offen sind. Sie sind sehr herzliche Menschen. Und ich bin wirklich froh, die Gelegenheit zu haben, mein Land hier in Luxemburg auf offizieller Ebene zu vertreten, wir haben immense Unterstützung von den Luxemburgern. Sie senden den Ukrainern weiterhin praktische Hilfe. Sie nehmen weiterhin Ukrainer bei sich auf.

Wir sehen hier in Luxemburg keinen russischen Einfluss und wir sehen auch keinen russischen Einfluss auf die Gedanken der Luxemburger.

Natalia Anoshyna, Ukraine-Botschafterin

Ich muss meine Frage anders stellen: Wie sehr fürchten Sie russische Desinformation bzw. wie erfolgreich ist Ihrer Meinung nach russische Desinformation im Kampf gegen die Ukraine?

Über diese Informationen, die Russland versucht, auf der ganzen Welt zu verbreiten, sind wir natürlich besorgt. Aber gleichzeitig sehen wir, dass die Menschen klar unterscheiden können, was wahr ist und was Desinformation von russischer Seite ist. Wir sehen hier in Luxemburg keinen russischen Einfluss und wir sehen auch keinen russischen Einfluss auf die Gedanken der Luxemburger. Wir sehen, dass die Luxemburger die Situation in der Ukraine klar verstehen: Sie sehen die Gräueltaten gegen die Ukrainer, sie sehen die Schäden, die die Russen in der Ukraine angerichtet haben und weiterhin anrichten, und sie haben volles Verständnis für diese Menschen, die Hilfe von Europa fragen.

Es gibt in Europa jedoch auch politische Länder, die das nicht so sehen. Und auch Nachbarländer wie Ungarn sind nicht eindeutig auf derselben Seite.

Lassen Sie uns über diese Situation im Allgemeinen sprechen. Ich will keine Kommentare für ein Land abgeben, für das ich (als Botschafterin) nicht verantwortlich bin. Aber im Allgemeinen sehen wir natürlich, dass die Russen nicht schlafen. Ja, sie machen weiterhin ihre schmutzige Arbeit. Sie versuchen, schwarze Dinge als weiße Dinge zu bezeichnen. Sie lügen weiter, versuchen ihre große blutige Kultur zu promovieren. Sachen, wie wir sie bei den Film-Festivals in Toronto und in Venedig gesehen haben, sind für uns absolut inakzeptabel. Invasoren können keine Helden sein. Das Töten von Kindern kann nicht gerechtfertigt werden. Wir verurteilen die Gräueltaten aufs Schärfste. Dass die Festivals die Vorführung dieses Films erlaubt haben, das ist inakzeptabel. Diese Leute sind keine Helden, es sind Mörder.

Wenn Menschen „mit eigenen Augen sehen, was in der Ukraine vor sich geht, werden sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine niemals unterstützen“
Wenn Menschen „mit eigenen Augen sehen, was in der Ukraine vor sich geht, werden sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine niemals unterstützen“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Wie sollen Staaten und Menschen auf Desinformation reagieren?

Ich kann nur etwas sagen: Die Leute sollten in die Ukraine gehen, sie sollten die Schäden sehen, die Gräueltaten, die die Russen den Ukrainern angetan haben. Es hat immer einen großen Einfluss auf die Menschen, wenn sie es mit eigenen Augen sehen können, wenn sie die Schäden sehen, wenn sie die wahren Geschichten von Familien hören können, die Kinder, Eltern, Ehemänner, Ehefrauen usw. verloren haben. Sobald sie mit eigenen Augen sehen, was in der Ukraine vor sich geht, werden sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine niemals unterstützen.

Und in der Ukraine?

Die Ukraine ist ein demokratisches Land. Seit vielen Jahren haben wir Medienfreiheit und man kann sehen, dass die Menschen selbst während der beiden Maidan, die wir in unserer Vergangenheit hatten, über alles sprechen konnten. Früher hatten wir russische Medien, aber seit dem ersten Mal, ich glaube sogar seit 2014, haben wir keine russischen Medien mehr. Die Menschen in der Ukraine leben in ständiger Angst und sie verstehen den Unterschied zwischen korrekten Informationen und diesen Informationen ganz genau.

Die Luxemburger kennen viele Geschichten ihrer Großeltern. Sie wissen, was Krieg bedeutet.

Natalia Anoshyna, Ukraine-Botschafterin

Wo kann der Strich gezogen werden zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit?

Ich denke, die Menschen hierzulande verstehen die Situation ganz klar. Wie ich von vielen Luxemburgern gehört habe, wissen sie, was Krieg bedeutet, weil sie viel Schaden erlitten haben, als das Land im Zweiten Weltkrieg besetzt wurde. Die Menschen kennen viele Geschichten ihrer Großeltern. Sie wissen, was Krieg bedeutet. Dabei ist es wichtig, den offiziellen Quellen der Ukraine zuzuhören. Dann kann man das mit völlig anderen Informationen vergleichen. Gleichzeitig müssen die Menschen Informationen überprüfen, sie müssen verschiedene Quellen sehen und nicht nur eine Quelle hören und dieser Quelle glauben. Wir sind froh, dass einige russische Medien verboten werden, nebenbei bemerkt.

Wie schätzen Sie das ein, wenn Russland Drittstaaten, die der Ukraine bei ihrer Verteidigung helfen, mit Atomwaffen droht?

Ich denke, es ist Terrorismus. Russland ist ein terroristischer Staat. Es wendet verschiedene Arten von Terror nicht nur gegen die Ukrainer an, sondern gegen alle demokratischen Staaten. Das Drohen mit Atomwaffen ist sehr gefährlich. Gleichzeitig sieht Putin, dass er den Krieg verliert, er versucht, alles zu nutzen, um die ukrainischen Partner zu verängstigen. Wir bitten die Ukrainer und die internationalen Verbündeten und Partner, stark und mutig zu sein. Die Ukrainer sollen keine Angst vor Terroristen haben. Terroristen müssen bekämpft werden. Der Platz für Putin ist der Gerichtshof in Den Haag.

Bedauern Sie, dass die Ukraine vor rund 30 Jahren ihre Atomwaffen gegen Sicherheitsgarantien abgegeben hat?

Ich denke, dass wir in der Vergangenheit einige Fehler gemacht haben und dass diese Fehler jetzt nicht zugunsten der Ukraine zu sehen sind. Ich meine, wir haben im Einklang mit dem Völkerrecht gehandelt. Aber gleichzeitig standen wir in dieser Zeit unter starkem Druck von verschiedenen Partnern.

Ist Russland heute im Krieg mit dem Westen oder herrscht Friede?

Russland will zwischen den USA und Russland polarisieren. Russland will der ganzen Welt seine Macht zeigen und will die Ukraine als Werkzeug hierzu benutzen. Wir sehen viele Mischformen, wie man derzeit in vielen Ländern sehen kann. Das Wichtigste für die Ukraine ist, dass wir Langstreckenwaffen brauchen und das Recht, Militärstützpunkte Russlands auf dem Territorium Russlands zu visieren. Einige Länder sehen dies als Eskalation im Krieg. Aber es ist keine Eskalation. Dies ist ein Teil des Schutzes der Ukraine. Sobald wir die russischen Luftwaffenstützpunkte zerstören, von denen aus Luftangriffe gesteuert wurden, werden diese nie wieder Ukrainer töten.

Putins Logik ist unlogisch. Niemand weiß, was in seinem kranken Kopf vorgeht.

Natalia Anoshyna, Ukraine-Botschafterin

Haben Sie Angst vor Atomschlägen?

Putins Logik ist unlogisch. Niemand weiß, was in seinem kranken Kopf vorgeht. Niemand hat geglaubt, dass Putin 2022 eine groß angelegte militärische Invasion gegen die Ukraine starten würde, aber er hat es getan. Ich kann also nicht zu 100 Prozent sagen, dass dieser Verrückte dies oder jenes nicht tun wird. Um dies zu verhindern, fordern wir starke Entscheidungen von der internationalen Gemeinschaft. Auch den Kachowka-Staudamm hat er gesprengt, er hat ihn in einer Minute zerstört, viele Ukrainer getötet und ein Öko-Desaster verursacht.

Wie ist die Stimmung derzeit in der Ukraine? Nach einer anfänglichen Welle vieler Freiwilliger liest man mittlerweile, dass es schwieriger wird, Soldaten zu finden.

Wir haben viele Versprechen auf dem Papier, von unseren Partnern, Waffen und Munition zu liefern. Wenn wir diese Munition und Waffen rechtzeitig erhalten, werden wir auf dem Schlachtfeld mehr Erfolg haben. Dann wird es auch einfacher sein, mehr Soldaten zu haben. Es ist natürlich so, dass Erfolg immer attraktiv ist und die Menschen an der Erfolgsgeschichte teilhaben wollen. Deshalb rufen wir unsere Partner auf, Teil der Erfolgsgeschichte der Ukraine zu werden. Wir sind unseren Verteidigern sehr dankbar. Sie sind unsere Helden. Trotz vieler Schwierigkeiten, manchmal ohne Wasser, ohne Waffenvorräte und mit schweren Verletzungen … Sie verteidigen unsere Unabhängigkeit und unsere Freiheit. Sie verteidigen ganz Europa. Wir sind sehr stolz auf sie und werden uns immer an sie erinnern und sie ehren.


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Claude
3. Oktober 2024 - 12.10

Et wier emol interessant, och déi aner Klack ze héieren.